Nachhaltiges Lederimitat aus Dänemark verschont Tiere und entlastet das Abwasser
Mikael Eydt hat sich in Kopenhagen zweimal verliebt, sagt er.
Eydt stammt aus einer deutschen Kleinstadt, und nach dem Studium stand sein Werdegang eigentlich fest: Er sollte das Hotel leiten, das seine Familie seit sechs Generationen betreibt. Doch vorher wollte er noch ein bisschen herumkommen und nahm in der dänischen Hauptstadt einen Job als Barkeeper an.
Seine Neugier aus Studienzeiten, Fachrichtung Business und Nachhaltigkeit, behielt er sich bei. „Wie kann man als Unternehmer Gutes tun und gleichzeitig Erfolg haben? Schließlich überlebt eine Firma langfristig nur, wenn sie Gewinne einfährt und wächst.“
2018 in Kopenhagen angekommen, sah er sich schon bald nach jungen dänischen Unternehmen um, die so dachten wie er. Dabei traf er Hannah Michaud, die mit dem „Upcycling“ von Apfeltrester aus der Mostherstellung ein Unternehmen auf die Beine stellen wollte. Sie wurden erst Freunde, dann Geschäftspartner. Und schließlich gründeten sie Beyond Leather Materials. In dieser Zeit lernte Eydt auch seine Freundin kennen und beschloss, in Dänemark zu bleiben.
Zwei Monate nach dem Umzug nach Kopenhagen rief er seine Eltern an: „Ich wollte nur sagen, dass ich wahrscheinlich nicht zurückkomme. Tut mir leid, aber Ihr müsst jemand anderen für das Hotel finden.“
Hannah Michaud hatte in einem Biomimikry-Kurs an der Copenhagen School of Design and Technology (KEA) untersucht, was sich mit Apfelpulpe anfangen lässt. „Zuerst wollten wir Pappe daraus machen“, erzählt Mikael Eydt. „Aber ziemlich schnell war klar, dass es dafür keinen Markt gibt.“ Und dann erkannten sie das Marktpotenzial für nachhaltige Lederimitate.
Aus für Leder
„Wir sind davon ausgegangen, dass die Zukunft für Leder genauso aussieht wie die für Fleisch, nämlich mau“, so Eydt. „Die Menschen achten bei ihren Kaufentscheidungen immer mehr auf die Umwelt. Der Trend geht weg von tierischen Produkten. Dafür sind Nex-Gen-Materialien voll im Kommen.“
Neben Nachhaltigkeit geht es auch darum, Tierleid zu vermeiden und weniger Chemie ins Abwasser zu leiten.
„Es wird immer mehr darüber berichtet, wie umweltschädlich die Lederbranche ist. Sie verbraucht enorm viel Wasser und setzt jede Menge Chemikalien ein. Deshalb haben wir uns gesagt: ‚Wir schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe und stellen Leder aus Apfelresten her.‘“
Gemeinsam mit Ingenieurinnen und Ingenieuren von KEA entwickelten die Tüftler einen lederartigen Stoff und nannten ihn „Leap“, abgeleitet von „leftover apples“ (Apfelabfälle). Derzeit ist Leap zu etwa 80 Prozent biobasiert (davon über 30 Prozent Apfelabfälle). Ziel ist ein komplett biobasiertes Produkt. Bei der Herstellung werden 99 Prozent weniger Wasser verbraucht und 85 Prozent weniger CO2 freigesetzt als bei der herkömmlichen Lederherstellung.
2020 erhielt Beyond Leather Materials 1,1 Millionen Euro, um die Produktion zu erhöhen und zu expandieren. Das Unternehmen gehörte 2021 zu den Finalisten des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Mit diesem Wettbewerb fördert das EIB-Institut Start-ups, die Lösungen für Umwelt- und Sozialprobleme anbieten.
Mikael Eydt und Hannah Michaud haben sich für das Business-to-Business-Geschäft entschieden. Sie wollen Leap selbst produzieren und dann an Modeunternehmen verkaufen. Für die Zukunft visieren sie weitere Leder verarbeitende Branchen an, wie Automobil- und Möbelhersteller.
Für Eydt ähnelt die Geschäftsidee dem Erfolgsrezept von Gore-Tex, das sein Qualitätsprodukt an Bekleidungshersteller verkauft. „So können wir uns aussuchen, mit wem wir zusammenarbeiten wollen. Denn unsere Abnehmer müssen auch unseren Standards entsprechen“, erklärt Eydt. „Wir bieten ein hochwertiges Produkt, das transparent hergestellt wird und nachhaltig ist. Damit werden auch unsere Kunden nachhaltiger.“
Tolle Sachen aus Abfall
Beyond Leather Material steht mit seinem achtköpfigen Team zwischen Labor- und Pilotphase. Momentan produziert das Start-up pro Monat rund 100 Quadratmeter Lederimitat.
Im März steht der Umzug in eine 1 000 Quadratmeter große Produktionsstätte an. Dort könnten dann jährlich viele Tausend Quadratmeter vom Band laufen, so Eydt. „Die ersten Produkte aus unserem Leder sind voraussichtlich zum Jahresende im Handel.“
Inzwischen interessieren sich Apfelproduzenten aus aller Welt für das dänische Unternehmen. Denn die Entsorgung von Trester – Kerne, Stiele, Schale und Pulpe, die bei der Herstellung von Apfelwein und Saft übrig bleiben – ist teuer. Das meiste davon landet auf Deponien.
Eigentlich würde das Unternehmen Leap-Fabriken gerne überall dort bauen, wo Äpfel angebaut werden. Dann ließe sich das Problem vor Ort lösen. „Wäre das nicht toll?“, begeistert sich Eydt. „Jedes Jahr fallen mehr als drei Millionen Tonnen Trester an, und für einen Quadratmeter Leap brauchen wir gerade einmal fünf Kilo.“
Eydt träumt davon, Leap am Markt zu etablieren und damit zu einer kreislauforientierten, nachhaltigen Wirtschaft beizutragen. „Wir wollen zeigen, dass sich aus Abfall durchaus etwas Tolles machen lässt. Das stößt vielleicht ein Umdenken an. Die Leute sollen sehen, dass Upcycling nicht nur eine gute Idee ist, sondern auch ein ausgezeichnetes Geschäftsmodell.“