Suche starten De menü de ClientConnect
Suche starten
Ergebnisse
Top-5-Suchergebnisse Alle Ergebnisse anzeigen Erweiterte Suche
Häufigste Suchbegriffe
Meistbesuchte Seiten

Stellen Sie sich vor, wir blasen den Klimakiller CO2 nicht in die Atmosphäre, sondern nutzen ihn als Kraftstoff. Klingt utopisch, könnte aber schon bald Realität werden. Das Karlsruher Start-up INERATEC hat ein chemisches Verfahren entwickelt, das genau das verspricht.

„Wir kehren den Verbrennungsprozess um“, sagt INERATEC-Chef Tim Boeltken. „Mit dem von uns entwickelten chemischen Verfahren nehmen wir das unliebsame Treibhausgas CO2, kombinieren es mit grünem Wasserstoff und stellen daraus einen synthetischen Kraftstoff her.“

INERATEC

Sektoren, in denen es kaum klimaneutrale Alternativen gibt, könnten mit dem INERATEC-Verfahren ihre Emissionen senken. Dazu gehört zum Beispiel die Luftfahrt, die für einen wachsenden Anteil der globalen Emissionen verantwortlich ist. Neben Unternehmen aus dem Luftfahrtsektor hat INERATEC auch bereits Kunden aus der Schifffahrt und der chemischen Industrie. Aber um die Technologie in größerem Maßstab einzusetzen, baut das Unternehmen in der Nähe des Frankfurter Flughafens jetzt eine Produktionsanlage. Die EIB stellt dafür einen Venture-Debt-Kredit von 40 Millionen Euro bereit. Das Projekt wird von der EU unter dem InvestEU-Programm gefördert. Hinzu kommt ein 30-Millionen-Euro-Zuschuss von Breakthrough Energy Catalyst, einer von Bill Gates gegründeten Finanzierungsplattform für Klimainnovationen.

„Die Luftfahrtbranche tut sich schwer mit der Dekarbonisierung“, sagt Stephan Mitrakas, der bei der EIB als Kreditreferent an dem Projekt arbeitet. „Flugbenzin-Alternativen wie Strom und Wasserstoff haben erhebliche Nachteile und würden eine völlig neue Infrastruktur für Transport, Speicherung und Betankung erfordern.“

„Das Schöne an synthetischen Kraftstoffen ist, dass sie mit der bestehenden Infrastruktur kompatibel sind“, sagt Mitrakas. „Die E-Fuels von INERATEC lassen sich einfach mit herkömmlichem Kerosin mischen. INERATEC ist in diesem Bereich momentan das vielversprechendste Start-up – auf jeden Fall in Europa, wahrscheinlich sogar weltweit.“

Nachhaltiges Spin-off

INERATEC ist 2016 als Spin-off aus dem Karlsruher Institut für Technologie hervorgegangen. Die Liste der Investoren ist beeindruckend. Sie reicht vom französischen Flugzeugtriebwerks-Hersteller Safran und Honda aus Japan über den US-Wagniskapitalgeber PIVA Capital Partners, die Wagniskapitalsparte des französischen Versorgers Engie und den deutschen Wagniskapitalfonds High-Tech Gründerfonds bis zum Karlsruher Institut für Technologie selbst.

Die neue Produktionsanlage von INERATEC entsteht im Industriepark Höchst, einem der größten Forschungs- und Produktionsstandorte für die chemische und pharmazeutische Industrie in Europa. Mit einem jährlichen Produktionsvolumen von bis zu 2 500 Tonnen wird die Anlage der weltgrößte Produktionsstandort für nachhaltige synthetische Kraftstoffe. Der Industriepark Höchst ist für INERATEC besonders attraktiv. Dort kann das Start-up nämlich Abfallprodukte anderer nutzen, etwa Wasserstoff, der als Nebenprodukt in einer Chlorgasfabrik anfällt, und CO2 aus einer Biogasanlage. Außerdem gibt’s dort grünen Strom. Die Anlage produziert synthetisches Rohöl, das in einer Raffinerie vor Ort zu gebrauchsfertigem nachhaltigem Flugkraftstoff verdedelt wird.

„Damit schaffen wir die Voraussetzungen für den weltweiten Roll-out europäischer Klimatechnologien. Sie funktionieren überall, wo es billigen Ökostrom und CO2-Emissionen gibt“, sagt INERATEC-Chef Boeltken.

INERATEC

Mit der neuen Anlage kann INERATEC sein hocheffizientes modulares Reaktorsystem in einem größeren Maßstab vorstellen. Die wegweisende Technologie des Unternehmens arbeitet mit chemischen Reaktoren, die 80-mal kleiner sind als herkömmliche Systeme. Sie enthalten Mikroröhren mit Katalysatoren, die hochkontrollierte chemische Reaktionen ermöglichen. Diese Reaktionen verwandeln Wasserstoff und CO2 in synthetisches Rohöl, das dann zu Flugkraftstoff und anderen Produkten für die Chemie- und Lebensmittelindustrie raffiniert wird.

INERATEC

Die Produktionsanlagen von INERATEC sind modular und lassen sich mit einem Lkw transportieren. Und weil die Module der Anlagen in Standardformaten produziert werden können, eignen sie sich für die Serienfertigung – anders als herkömmliche Chemieanlagen, die individuell angepasst werden müssen. Betreiber können mit ein paar Standardeinheiten anfangen und später nach Bedarf Module hinzukaufen.

Ein weiterer Vorteil: Das Hochfahren und Abschalten der Anlagen geht schnell. Damit eignet sich die Technologie gut für unregelmäßig bereitstehende Energiequellen wie Wind und Sonne. Alles, was man für den Betrieb der Anlagen braucht, sind billiger grüner Strom und CO2.

Regulierung erhöht den Bedarf

Die Dekarbonisierungsziele der EU lassen die Nachfrage nach synthetischem Flugkraftstoff steigen. Denn die ReFuelEU Aviation-Verordnung der EU schreibt für Flugbenzin künftig einen Mindestanteil an synthetischem Kraftstoff vor: Ab 2030 müssen es mindestens 1,2 Prozent sein, ab 2050 dann 35 Prozent.

„Europa hat diesen neuen Markt regelrecht nach vorn katapultiert“, sagt Boeltken. „Die USA sind uns zunächst gefolgt, machen jetzt aber eine Kehrtwende. Das ist eine Riesenchance für Europa, bei Klimatechnologie wirklich in Führung zu gehen, aber klar ist auch, dass wir unbedingt einen klaren, langfristigen Regelungsrahmen brauchen.“