Zwei Wissenschaftlerinnen sagen dem Plastik den Kampf an – mit einer hausgemachten Kunststoffalternative aus Zucker

Isabel Álvarez-Martos aus Spanien und Deby Fapyane aus Indonesien sind gute Freunde. Álvarez-Martos ist Chemikerin, Fapyane Spezialistin für Nanowissenschaften und Pharmazie. Beide forschten gemeinsam an der Universität Aarhus und verbrachten dort viel Zeit zusammen.

Als Wissenschaftlerinnen hatten sie schon immer einen Blick fürs Detail.

So fiel ihnen beim gemeinsamen Einkauf auf, wie viel Plastik in Produkten oder ihrer Verpackung steckte. Zahnpasta etwa enthält oft Polyethylen – den gleichen Stoff, aus dem Plastiktüten gemacht werden.

„Wenn wir Zähne putzen, spülen wir jedes Mal Mikroplastik in die Meere“, erklärt Álvarez-Martos. „Überall ist Plastik, sogar, wenn wir Bio-Lebensmittel kaufen. Das hat schon eine gewisse Ironie. Eigentlich möchten wir alle nachhaltiger und natürlicher leben, aber trotzdem verbrauchen wir am Ende mehr Plastik. Das hat uns aufgerüttelt und brachte uns auf unsere Idee.“

Diese Idee bestand darin, ein Material zu entwickeln, das Kunststoffe ersetzt: eine umweltfreundliche Biozellulose, die biologisch abbaubar ist und für die keine Bäume abgeholzt werden müssen.

Das Forschungslabor für ihre Arbeit richteten sich die beiden Wissenschaftlerinnen zu Hause ein.

„Wir haben wirklich bei uns im Wohnzimmer angefangen“, erinnert sich Álvarez-Martos. „Überall standen Laborgefäße und -geräte herum.“

So entwickelten Álvarez-Martos und Fapyane mithilfe spezieller Bakterien eine Art Zellulose, die die Kunststoffe in Zahncremes, Lotionen, wasserfesten Beschichtungen und sogar in Textilien ersetzen könnte.

Hausgemachte Fermentation

2018 nahmen Álvarez-Martos und Fapyane mit ihrem neuen Produkt an einem Wettbewerb der Universität Aarhus teil. Sie gewannen und Cellugy war geboren. Drei Jahre und acht Beschäftigte später arbeitet das Unternehmen an einer Pilotanlage.

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© Cellugy

Deby Fapyane and Isabel Alvarez-Martos, founders of Cellugy

Beim Wettbewerb für Soziale Innovation 2021 gewann Cellugy den mit 75 000 Euro dotierten ersten Preis in der Kategorie nachhaltige Lebensweise. Mit dem Wettbewerb würdigt das EIB-Institut Unternehmen, die Lösungen für ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen finden. Neben weiteren Auszeichnungen erhielt Cellugy auch Mittel aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizont 2020“ der Europäischen Union.

Der Kunststoffersatz von Cellugy – EcoFLEXY – unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von den Produkten der Konkurrenz.

Álvarez-Martos: „Der wichtigste Unterschied aus technischer Sicht ist, dass wir nichts der Natur abringen müssen. Wir brauchen keine Bäume oder andere natürliche Ressourcen. Stattdessen haben wir eine hauseigene Fermentationstechnik entwickelt.“

Mit einem speziellen Bakterienstamm, der sich von Zucker ernährt, stellt Cellugy sein Produkt in Gärtanks her. Das ist überall auf der Welt in unterschiedlichen Anlagen und mit vorhandener Ausrüstung möglich. Derzeit hat das Unternehmen Partnerschaften mit Firmen in Spanien, Portugal und Deutschland.

Nutzung von überschüssigem Zucker

Der Zucker für die Bakterien stammt aus Zuckerrüben. In Europa bleiben jedes Jahr über eine Million Tonnen überschüssiger Zucker unverkauft, so Álvarez-Martos. Die Bakterien von Cellugy können Zellulose allerdings auch aus anderen Zuckerquellen produzieren. Das wird auch nötig sein, wenn das Unternehmen größer wird.

Das neu geschaffene Material von Cellugy ist vielseitig einsetzbar: als wasserfeste Beschichtung von Papier oder Karton, als Kunststoffersatz in Kosmetika oder sogar als Textilbeschichtung und damit als mögliche Alternative, um Parkas und Jacken wasserdicht zu machen.

Weitere Vorteile von EcoFLEXY: Durch seine Zusammensetzung werden Materialkombinationen zu sogenannten Monomaterialien. Ein kunststofffreies Gewebe oder Papier, das mit dem Material beschichtet ist, kann also leicht recycelt werden – anders als etwa ein Karton mit Kunststoffbeschichtung.

Cellugy hat sich große Ziele gesteckt. Der Markt für nachhaltige Beschichtungen von Fasermaterialien hat eine Größe von sechs Milliarden Euro. Zwei Prozent dieses Markts will das Unternehmen bis 2026 erobern. Das entspräche einem Umsatz von jährlich über 102 Millionen Euro.

Als kleines Start-up ohne große Ressourcen liegt der Schwerpunkt von Cellugy auf gemeinsamen Entwicklungsvereinbarungen mit größeren Unternehmen, die ihre Kunststoffe durch EcoFLEXY ersetzen wollen.

Mit dem Preisgeld aus dem Wettbewerb des EIB-Instituts will Cellugy zunächst eine Pilotanlage mit einem 50-Liter-Tank errichten. „Wenn wir mit einer Menge von 50 Litern erfolgreich sind, dann können wir das leicht ausbauen, sogar um das Zehnfache auf 500 Liter“, sagt Parun Sihombing, der Chief Financial Officer. „Bis 2023 soll EcoFLEXY auf dem Markt sein.“

Ehrgeizige Ziele

Für Álvarez-Martos ist klar: „Wir wollen nicht einfach nur die Beschichtung für ein ganz bestimmtes Produkt herstellen. Denn wir wissen, dass wir sehr viel mehr Probleme lösen können. Unser Traum ist es, die Welt nachhaltiger zu machen und unseren Kindern damit eine bessere Zukunft zu schaffen.“