Miguel Neiva hat eine Symbolsprache entwickelt, mit der Farbenblinde Farben erkennen können
Von Chris Welsch
Wie erkennen Farbenblinde, was die Sicherheitsflaggen am Strand anzeigen? Wie ziehen sie sich farblich passend an, und wie vermeiden sie es, in der Schule ausgelacht zu werden, weil sie den Himmel grün malen? Grafikdesigner Miguel Neiva hat eine Lösung gefunden.
Für Neiva war es immer selbstverständlich, die Welt in Farbe zu sehen, und Farben sind auch bei seiner Arbeit wichtig. Nicht mehr in Farbe sehen zu können, war für ihn eine schreckliche Vorstellung. Deshalb wollte er herausfinden, wie sich Farbenblinde in unserer bunten Welt zurechtfinden.
„Als ich anfing zu recherchieren, stellte ich fest, dass es nichts gab – überhaupt kein System“, erklärte der gebürtige Portugiese, heute noch ganz ungläubig. „Mehr als 350 Millionen Menschen sind farbenblind, aber es gab keine Hilfe für sie. Damals suchte ich nach einem Thema für meine Masterarbeit, und das war es.“
Doch schon bald war das Projekt für den 49-Jährigen aus Porto mehr als eine akademische Übung. Für seine Masterarbeit an der Universidade do Minho entwickelte er eine einfache Symbolsprache, mit der sich die gesamte Farbpalette wiedergeben lässt. Als er 2008 seinen Abschluss in der Tasche hatte, machte er sich daran, das System weltweit zu verbreiten und wählte dafür ein soziales Geschäftsmodell.
Neiva hat mit seinem Projekt vor einigen Jahren den Wettbewerb für Soziale Innovation gewonnen. Damit zeichnet das EIB-Institut jedes Jahr europäische Sozialunternehmer aus, die in erster Linie soziale, ethische oder ökologische Ziele verfolgen.
Gemeinsam mit seinem sechsköpfigen Team arbeitet er in einem Großraumbüro im zweiten Stock eines Gebäudes im Zentrum von Porto, direkt gegenüber von seiner Wohnung.
Als wir an einem sonnigen Tag auf der Terrasse eines Restaurants sitzen, erzählt Neiva, wie der Name seiner Symbolsprache und seines Unternehmens zustande kam – ColorADD bezieht sich auf das Farbmischsystem, das alle von klein auf kennen.
„Kinder lernen, dass man durch Mischen zweier Grundfarben wie Blau und Gelb eine dritte Farbe erhält. In diesem Fall Grün“, erläutert er.
Wie ColorADD funktioniert, veranschaulicht das Logo: Drei sich überlappende Kreise stellen die Grundfarben Rot, Gelb und Blau dar, denen jeweils ein Symbol zugeordnet ist (verschieden ausgerichtete Dreiecke und eine Linie). Wo sich die Kreise überlappen, werden die Symbole kombiniert und ergeben dann Lila, Grün und Orange. Ausgehend von dieser Grundstruktur lassen sich mit komplexeren Kombinationen verschiedene Farbtöne und Schattierungen darstellen. Da das System ausschließlich Symbole verwendet, ist es leicht verständlich – unabhängig von der Sprache.
Der globale Markt für das Farbcodesystem ist riesig. Rund zehn Prozent der männlichen Weltbevölkerung sind farbfehlsichtig. Grund ist ein genetischer Defekt auf dem X-Chromosom.
Kartenspiel für Farbenblinde
Neiva hat mit seinem Farbcodesystem auf dem Markt bereits beachtliche Erfolge erzielt.
Einige große Unternehmen wie der multinationale Spielehersteller Mattel verwenden ColorADD und zahlen dem portugiesischen Unternehmen dafür eine Lizenzgebühr. 2017 brachte Mattel eine ColorADD-Version des weltweit beliebtesten Kartenspiels UNO auf den Markt. Prompt schnellte der Umsatz im ersten Jahr um 66 Prozent in die Höhe.
„Wir wollten UNO auch für Farbenblinde spielbar machen. Da es aber viele verschiedene Arten von Farbfehlsichtigkeit gibt, konnten wir nicht einfach nur zwei Spielfarben auswechseln“, erklärte Spielemacher Ray Adler von Mattel Games 2017 in einem Interview. „Das ColorADD-System ist noch relativ neu, stößt aber weltweit schon auf großen Zuspruch und eignet sich für alle Arten von Farbfehlsichtigkeit.“
„Durch unsere Partnerschaft mit ColorADD können wir das Spiel nun auch den 350 Millionen Farbenblinden weltweit und den 13 Millionen Betroffenen in den USA anbieten“, sagte Adler bei der Ankündigung der neuen Karten.
ColorADD kommt auch im öffentlichen Bereich gut an. Die Sicherheitsflaggen an Portugals Stränden tragen nun die ColorADD-Symbole, sodass auch farbenblinde Badegäste wissen, wann und wo sie sicher ins Wasser gehen können. In Porto sind die Recycling- und Müllcontainer mit ColorADD-Symbolen gekennzeichnet, ebenso wie die Netzpläne der öffentlichen Verkehrsmittel.
Neiva hofft, dass sich das ColorADD-System langfristig rund um den Erdball durchsetzt – auf Verkehrsnetzplänen, Bahnen und Bussen, an Ampeln und sogar auf Bekleidungsetiketten, damit sich Farbenblinde problemlos farblich passend anziehen können. Außerdem wünscht er sich, dass das System an Schulen bekannter wird, damit farbenblinde Kinder nicht mehr ausgelacht werden, wenn sie den Himmel grün und die Bäume blau malen.
„Es wäre unmöglich, die weltweit 350 Millionen Farbenblinden ausfindig zu machen – die meisten reden nicht darüber, weil sie nicht als farbenblind abgestempelt werden wollen, und sie bitten auch nicht um Hilfe. Deshalb will ich alle sieben Milliarden Menschen erreichen und so jede Diskriminierung ausschließen“, beschreibt Neiva seine Vision.
Eine bunte Welt für alle
Dann musste er sich noch überlegen, wie er mit seinem Unternehmen auch Geld verdienen konnte. Ein Urheberrechtsanwalt riet ihm, ColorADD so schnell und so weit wie möglich zu verbreiten. Damit werde jeder Wettbewerb von Vornherein überflüssig.
Deshalb versuchte Neiva, ColorADD so erschwinglich wie möglich zu machen. Gewinnorientierte Unternehmen zahlen eine Lizenzgebühr, die von der Firmengröße abhängt – für Mattel ist sie höher als für den portugiesischen Buntstifthersteller Viarco. Schulen und andere Bildungseinrichtungen zahlen gar nichts.
ColorADD will wachsen und sucht nach weiteren Firmen, die eine farbenblinde Kundschaft erreichen wollen. Auch farbenblinde Influencer sollen das Produkt bekannter machen. Neiva träumt davon, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg für sein Projekt zu gewinnen.
„Er kann Rot und Grün nicht unterscheiden. Deshalb ist Facebook blau. Die Farbe sieht er am besten.“ Mit Zuckerbergs Hilfe könnte Neivas Farbcodesystem noch viel mehr Menschen erreichen.
„Wir werden weiter expandieren und Wege finden, mit großen Playern zusammenzuarbeiten. Der Erfolg wird dann noch mehr Unternehmen neugierig machen. So können wir die Welt für alle ein bisschen bunter machen.“