Firmen und Menschen in Europa ächzen unter der Inflation und den Handelsstörungen durch den Ukraine-Krieg, die den Aufschwung abwürgen und viele in die Armut drängen
Der Krieg in der Ukraine gefährdet die wirtschaftliche Erholung in Europa und hat eine schwere humanitäre Krise ausgelöst: Fast sieben Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen. Der Konflikt und die Sanktionen behindern die Ausfuhr von Metallen, Nahrungsmitteln, Öl, Gas und anderen Rohstoffen aus der Region und treiben die Inflation in die Höhe wie seit Jahrzehnten nicht.
Die EU erwartet für 2022 nun ein reales Wirtschaftswachstum von deutlich unter 3 Prozent – vor dem Krieg hatte die Europäische Kommission noch mit 4 Prozent gerechnet. Weitere Störungen oder schärfere Wirtschaftssanktionen könnten Europa in die Rezession stürzen.
Besonders spürbar lahmt das Wachstum in Ländern wie Polen und Ungarn, die an die Ukraine grenzen und viele Flüchtlinge aufgenommen haben. Auch Italien und Deutschland stehen unter Druck, weil sie stark von russischem Öl und Gas abhängig sind.
Geschwächte Firmen erneut unter Druck
Die Coronakrise hat viele EU-Firmen hart getroffen, vor allem kleine. Sie waren gerade erst dabei, sich von Staatshilfen zu lösen, als der Ukraine-Krieg ausbrach. Jetzt kämpfen die Unternehmen mit steigenden Energiepreisen, Handelsrückgängen und womöglich höheren Finanzierungskosten, wenn die Banken risikoscheuer werden.
Die Abteilung Volkswirtschaftliche Analysen der Europäischen Investitionsbank hat analysiert, wie sich der Krieg auf die Ertragslage von EU-Firmen auswirkt. Ihr Modell beruht auf mehreren Annahmen:
- Doppelt so hohe Energiekosten für mindestens ein Jahr
- Absorption der höheren Kosten durch Gewinneinbußen statt Weitergabe über höhere Preise
- Vollständiger Exportstopp in die Ukraine und nach Russland und Belarus
Nach diesem Modell steigt der Anteil der EU-Firmen, die Verluste machen, im Jahr nach Kriegsbeginn vom normalen Durchschnitt von 8 Prozent auf 15 Prozent. Gleichzeitig wächst der Anteil der Unternehmen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten, von 10 Prozent auf 17 Prozent. Besonders stark leiden Transport-, Chemie- und Pharmafirmen, aber auch die Lebensmittelbranche und landwirtschaftliche Betriebe. Große Probleme haben zudem Unternehmen in Ländern, die wie Polen, Lettland und Litauen in der Nähe der Ukraine liegen, und Firmen in Griechenland, Kroatien und Spanien.
Insgesamt ist die EU-Wirtschaft nur wenig vom Ausfuhrstopp in die Ukraine und nach Russland und Belarus betroffen. 2019 machten die Exporte in diese Länder gerade 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Aber manche Länder in Mittel- und Osteuropa trifft es härter: Lettland und Litauen beispielsweise lieferten Waren im Wert von mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Ukraine und nach Russland und Belarus.
Europas Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen hat sich über die Jahre verringert, weil die Produktion weniger Energie verbraucht, der Dienstleistungssektor wächst und die Wirtschaft technologielastiger geworden ist. Aber auch da gibt es große Unterschiede zwischen den Regionen: In Litauen, Griechenland und Kroatien ist die Produktion sehr energieintensiv, während Luxemburgs Wirtschaft kaum energieabhängig ist.
Zehn EU-Länder sind stark von russischer Energie abhängig (siehe nachstehende Grafik). Sie beziehen mehr als die Hälfte ihres Öls und Gases, das nicht aus der EU kommt, von Russland. Diese Länder sind auch bei der Energieerzeugung stärker auf Öl und Gas angewiesen. Diejenigen, die mehr auf erneuerbare Energien, Biokraftstoffe und Atomkraft setzen, sind entsprechend weniger von Importen aus Russland abhängig. Allerdings ist das Land ein so wichtiger Lieferant für die internationalen Öl- und Gasmärkte, dass jede Störung – sanktionsbedingt oder anderweitig – die Preise nach oben treibt.
Inflation könnte Armut verschärfen
Die Ukraine und Russland sind wichtige Lieferanten von Energie und landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Weil bei den Kämpfen Produktionsanlagen zerstört werden, dürften die Preise weiter steigen – vor allem für schwer zu ersetzende Güter wie Weizen, Düngemittel und Gas. Die Inflation im Euroraum soll 2022 nun auf über 6 Prozent klettern. Das sind 2,5 Prozentpunkte mehr als noch vor wenigen Monaten erwartet.
Diese Preissteigerungen könnten die Nachfrage abwürgen. Ein Anstieg um rund 2 bis 2,5 Prozentpunkte durch den Krieg könnte nach unseren Schätzungen den privaten Konsum in der Europäischen Union um 1,1 Prozent nach unten drücken. Vor allem ärmere Menschen würde es hart treffen.
Die Fachleute der EIB haben die Auswirkungen steigender Preise EU-weit modelliert und dabei vor allem die schwächsten Haushalte in den Blick genommen. Ihre Berechnungen berücksichtigen, dass Lebensmittel und Energie in manchen Ländern ein größeres Gewicht im Warenkorb haben, vor allem in Mittel- und Südosteuropa. Außerdem wird angenommen, dass der Ölpreis zumindest über die nächsten Monate hoch bleibt. Und schließlich ist eingerechnet, dass die Haushalte sparen und mit ihren Ersparnissen höhere Preise auffangen können.
Die Ergebnisse belegen, dass höhere Lebensmittel- und Energiepreise überall in der EU einkommensschwache Menschen am stärksten treffen. Allerdings können sie in den reicheren Ländern Nord- und Westeuropas Preissteigerungen eher auffangen als in Mittel- und Südosteuropa, was vor allem mit den insgesamt höheren Sparquoten und Einkommen zusammenhängt.
Wie die nachstehende Grafik zeigt, leiden ärmere Haushalte in Ländern wie der Slowakei, Litauen, Lettland und Bulgarien weitaus stärker unter der Inflation als Haushalte in den Niederlanden oder Frankreich. In der Slowakei würde ein Preisanstieg um 2 bis 2,5 Prozentpunkte den Anteil der Bevölkerung mit Armutsrisiko um 4,3 Prozentpunkte nach oben drücken – das sind etwa 230 000 Menschen.
Damit vulnerable Menschen nicht in die Armut rutschen, müssen die Länder Europas erneut eingreifen und ein Sicherheitsnetz aufspannen. Mit staatlichen Mitteln und Hilfsmaßnahmen ist es in der Pandemie relativ gut gelungen, die Armut einzudämmen. Nun sind starke Preisanstiege das Problem.
Banken unter Druck
Der Konflikt hat die Raiffeisenbank und andere europäische Institute gezwungen, den Rückzug aus Russland zu prüfen. Insgesamt ist das direkte Engagement europäischer Banken gegenüber Russland und der Ukraine jedoch relativ gering. Laut der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde waren sie Ende 2021 mit Krediten, Vorschüssen und Schuldtiteln von insgesamt 76 Milliarden Euro in Russland engagiert und mit 11 Milliarden Euro in der Ukraine.
In Russland waren vor allem österreichische, französische und italienische Banken aktiv, in der Ukraine französische, österreichische und ungarische Institute. Allerdings machen die beiden Länder nur bei österreichischen und ungarischen Banken mehr als 2 Prozent des Kreditvolumens aus. Insgesamt haben die Banken ihre Kapitalrücklagen in den letzten Jahren ausreichend gestärkt, sodass sie die Verluste in der Region verkraften können.
Ihr größtes Risiko liegt aktuell in Branchen, die von den Handelsstörungen am stärksten betroffen sind: Chemie, Verkehr, Nahrungsmittel und Landwirtschaft. Auf diese Risikobranchen entfallen jedoch im Durchschnitt nur 30 Prozent der Kredite von EU-Banken.
Die größte Gefahr für die Wirtschaft ist vielmehr, dass die Kreditmärkte austrocknen. Steigende Zinsen haben die Kreditaufnahme bereits verteuert, in Mittel- und Südosteuropa haben die Banken auch ihre Kreditstandards verschärft. Durch die Belastungen, unter denen EU-Firmen leiden, könnte sich außerdem die Kreditqualität verschlechtern. Und dann werden sich die Banken noch stärker zurückhalten.
Ein bisschen viel für EU-Firmen, die schon jetzt bedrohlich wanken.