Auf dem 85 Hektar großen Gelände eines stillgelegten Wiener Güterbahnhofs läuft eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Mitteleuropas. Das neue Viertel beherbergt Büros, Restaurants, Grünflächen, ein Kongresszentrum und ein öffentliches Parkhaus, das mit eigenem Solarstrom betrieben wird, sowie Tausende neue Wohnungen, die um einen zehn Hektar großen Park herum gebaut wurden. Letzterer blieb als „urbane Wildnis“ in der Mitte des Geländes erhalten. In vielen Städten wären Wohnungen in einem so schicken Neubaugebiet für Durchschnittsverdiener unerschwinglich. Nicht so im Nordbahnviertel. Ein Großteil der neuen Wohnungen sind auch für Normalverdienende bezahlbar.
„Ich schätze es sehr, in einem schönen und zentralen Viertel mit viel Ruhe und Charme zu leben“, sagt Anwohnerin Nathalie Stevanovic. „Es ist so lebendig und lässt kaum Wünsche offen. Seine tolle Lage mit vielen Bars und Restaurants und die erschwinglichen Mieten machen es besonders für die jüngere Generation attraktiv.“
Sie bewohnt eine Wohnung des ÖVW (Österreichisches Volkswohnungswerk). Das ist einer der größten Vermieter der Stadt und Tochtergesellschaft der österreichischen Erste Bank. Die Europäische Investitionsbank hat den Wohnkomplex kofinanziert. Und Stevanovic ist nicht die Einzige, die die Wohnsituation in Österreichs Hauptstadt schätzt.
Gut geplant und bezahlbar
Wien wird seit Jahren als eine der lebenswertesten Städte der Welt gefeiert. In diesem Jahr stand die Stadt sogar zum dritten Mal in Folge auf Platz eins des Liveability Index des Economists, einer jährlichen Rangliste von 173 Städten weltweit. Nicht ohne Grund. Wien erhielt Bestnoten für Stabilität, Gesundheitsversorgung, Bildung und Infrastruktur. Mit ihrem Angebot an hochwertigem Wohnraum setzt sich die Stadt von anderen Top-Ten-Metropolen wie Melbourne, Sydney und Vancouver ab, die aufgrund ihrer Immobilienmärkte in der Rangliste zurückgefallen sind.
Aber bezahlbare Wohnungen in Wien und anderen österreichischen Städten sind kein Zufall, sondern das Ergebnis eines gut konzipierten Systems, das seit über 100 Jahren besteht und von den nationalen und regionalen Behörden stark unterstützt wird.
Ein wesentliches Merkmal des Systems: Fast die Hälfte der Bevölkerung wohnt zur Miete und nicht im Eigenheim. In Wien liegt der Anteil der Mietwohnungen bei 75 Prozent. Die Wohneigentumsquote in Österreich ist deutlich niedriger als der EU-Durchschnitt von 80 Prozent, aber ähnlich hoch wie in Deutschland und der Schweiz. Dass so viele Menschen mieten ist jedoch kein Zeichen für Marktversagen, sondern vom Land so gewollt, um den Zugang zu qualitativ hochwertigem Wohnraum zu fördern.
Ein zentrales Element des österreichischen Ansatzes sind die gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften. Dabei handelt es sich um Immobilieneigentümer, die dem Gemeinwohl dienen, indem sie Mietwohnungen meist 25 Prozent unter Marktpreis anbieten. Fast 40 Prozent aller Mietwohnungen stehen in Österreich im Eigentum von 182 unabhängigen Wohnbaugenossenschaften. Das System stellt sicher, dass Menschen mit mittlerem Einkommen, die oft vom privaten Markt ausgeschlossen sind, trotzdem stabile, langfristige Wohnverhältnisse haben.
Mirel Dakic, der auch im Nordbahnviertel wohnt, sieht einen weiteren Vorteil. „Es ist beruhigend, in einer Wohnung eines gemeinnützigen Bauträgers zu leben, der sich um die Belange seiner Mieterinnen und Mieter kümmert“, sagt Dakic.
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Eine österreichische Lösung
Österreichs Erfolgskonzept basiert auf zwei weiteren Faktoren: dem Zugang zu bezahlbaren Grundstücken und einer stabilen Finanzierungsstruktur. Wiens Stadtplanungspolitik verknüpft geschickt die Verfügbarkeit von Grundstücken mit der Verpflichtung, bezahlbaren Wohnraum anzubieten. Bauträger erhalten Zugang zu erstklassigen Grundstücken – häufig umgewidmete öffentliche Flächen, wie stillgelegte Bahnhöfe – und müssen im Gegenzug einen erheblichen Teil (50–75 Prozent) ihrer Projekte für bezahlbaren Wohnraum vorsehen. Das stellt ein beständiges Angebot an erschwinglichen Wohneinheiten in neuen Wohnkomplexen sicher.
Langfristige, festverzinsliche und günstige Kredite wie die der Europäischen Investitionsbank bieten die nötige finanzielle Stabilität, um den Mietpreis dauerhaft niedrig zu halten. Diese Planbarkeit schützt die Mietenden vor der Volatilität des privaten Marktes. Sie können ohne Angst vor ausufernden Wohnkosten für die Zukunft planen.
„Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen“, betont ÖVW-Geschäftsführer Andreas Reittinger. „In wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist eine planbare, langfristige Finanzierung besonders wichtig, um auch bei steigenden Zinsen gleichbleibende Mieten zu garantieren.“
Bezahlbar und nachhaltig
Die Europäische Investitionsbank arbeitet bereits seit 30 Jahren mit der Erste Bank zusammen. Die beiden Einrichtungen haben in den letzten fünf Jahren über eine halbe Milliarde Euro an Krediten für bezahlbares Wohnen sowie 100 Millionen Euro für den Bau neuer energieeffizienter Wohnungen und die Sanierung von Bestandswohnungen bereitgestellt. Mithilfe der EIB sind so in den letzten Jahren in Österreich mehr als 6 800 neue bezahlbare Wohnungen entstanden.
2024 hat die EIB 175 Millionen Euro für den Bau bezahlbarer, energieeffizienter Mietwohnungen in Salzburg und Innsbruck zugesagt. Die Kredite an die Salzburger Sparkasse und die Tiroler Sparkasse, die beide zur Erste Group gehören, sind zinsgünstig, damit wieder mehr in den Wohnungsbau investiert wird.
„Für uns spielt vor allem die Finanzierung von grünen Immobilien eine zentrale Rolle“, sagt Patrick Götz, Vorstandsmitglied der Tiroler Sparkasse. „Wir sind gemeinsam mit der Erste Group der Net-Zero Banking Alliance beigetreten und wollen bis 2050 Netto-Null erreichen. Der Klimawandel ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für eine lebenswerte Zukunft in unserer Region.“
„Wir glauben, dass Wohlstand mit bezahlbarem Wohnraum beginnt, und sehen es als unsere Aufgabe, allen Menschen Zugang zu finanziellem Wohlstand zu ermöglichen“, ergänzt Christoph Paulweber, CEO der Salzburger Sparkasse. „Mit langfristigen, festverzinslichen Wohnungsbaukrediten schaffen wir Anreize für Wohnungsbaugesellschaften, neue Projekte in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig können die künftigen Wohnungen zu erschwinglichen Preisen gemietet werden.“
AFFORDABLE HOUSING SALZBURGER SPARKASSE
Operation to finance social and affordable housing units in the Austrian state of Salzburg. Final beneficiaries of the EIB financing will be limited-profit housing development companies, commercial property companies and local authorities.