„Einigkeit und Stolz prägten diesen Moment.“
Jeden Morgen um 5:10 Uhr fährt in Sarajevo die erste Tram aus dem Vorort Ilidža zum historischen Marktplatz Baščaršija im Herzen der Altstadt. Die Verbindung gibt es schon seit 140 Jahren. Generationen von Menschen sind hier schon gefahren, und die Tram ist längst ein fester Teil von Sarajevo.
1885 wurden die ersten Tram-Wagen noch von Pferden gezogen. Doch schon zehn Jahre später war Sarajevo bei den ersten europäischen Städten, die ihre Straßenbahnen elektrifizierten. Im Lauf der Jahrzehnte hat die Tram für das Wachstum der Stadt eine entscheidende Rolle gespielt.
Für Esad Mujagić ist sie mehr als ein Verkehrsmittel: Sie ist sein Lebenswerk. „Als ich in den 1980er-Jahren bei den städtischen Verkehrsbetrieben anfing, hätte ich nicht gedacht, dass die Tram mein ganzes Berufsleben bestimmen würde“, sagt er.
Während der brutalen Belagerung von Sarajevo in den 1990er-Jahren stellte die Tram das erste Mal in ihrer Geschichte den Betrieb ein – weil die Strecken blockiert waren. Nach zwei langen Jahren fuhr sie dann wieder, auch wenn die Stadt immer noch eingeschlossen war. Von da an reparierte Mujagić Tag für Tag Einschusslöcher und Schäden durch Granatsplitter. „Wir wollten die Tram unbedingt am Laufen halten“, erinnert er sich. „Die Menschen sollten ein Stück Normalität in ihrem Alltag haben.“
Nach dem Krieg trugen die Tram-Züge in Sarajevo noch jahrelang die Narben der Kämpfe, und Mujagić machte sich dafür stark, dass sie ersetzt würden. 2024 war es dann endlich so weit. Das erste Mal seit 40 Jahren nahm Sarajevo eine Flotte nagelneuer gelber Tram-Züge in Betrieb.
Die neue Tram ist nur eines der vielen Anzeichen dafür, dass Bosnien und Herzegowina mit seinen langfristigen Projekten und EU-Ambitionen 2024 einen entscheidenden Punkt erreicht hat: Anfang des Jahres stimmten die EU-Spitzen offiziell Beitrittsverhandlungen mit dem Land zu. Infrastrukturprojekte im ganzen Land erreichen wichtige Meilensteine, etwa neue Straßen, Windparks und Krankenhaus-Modernisierungen. Die EIB treibt diesen Fortschritt gemeinsam mit dem öffentlichen und dem privaten Sektor voran.
Dabei geht es aber nicht nur um Brücken, Tunnel und Straßenbahnen. Es geht um Menschen, die vor Ort etwas bewegen. Menschen wie Esad Mujagić, die das Leben der anderen verbessern wollen. Wir haben in Bosnien und Herzegowina einen Hydraulik-Ingenieur besucht, der seine Stadt vor Überschwemmung schützt, einen Vertreter der Stadtverwaltung, der dem Fluss zu altem Glanz verhilft, und einen Politiker, der für sauberes Wasser in entlegenen Regionen sorgt. Wir stellen Ihnen einen Umweltschützer vor, der die einheimische Fischpopulation retten will. Einen Ingenieur, der Straßen sicherer macht. Und eine Ärztin, die in ihr Land zurückgekehrt ist, um die medizinische Versorgung zu verbessern.
„Die Fahrgäste sind begeistert“
Mujagić ist aus gutem Grund optimistisch. Die neue Tram ist der Auftakt zu einem ehrgeizigen Projekt zur Modernisierung und Ausweitung des ÖPNV in der Stadt. Dabei werden mit zwei EIB-Krediten über 75 Millionen Euro in die Jahre gekommene Tram-Züge und Oberleitungsbusse ersetzt und neue Tram-Linien gebaut. Das Ziel: weniger Staus und Luftverschmutzung, eines der größten Probleme in Sarajevo.
„Ich freue mich so, dass ich die neuen Trams noch miterlebe, bevor ich in Rente gehe“, sagt Mujagić, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht, nachdem er jahrzehntelang für die Tram gearbeitet hat. Und das ist erst der Anfang. Bis Ende 2025 erhält die Stadt 25 weitere Trams.
Für Hilmo Pljevljak ist es bereits die achte Modellgeneration. Als Routinier mit fast 30 Jahren Erfahrung als Straßenbahnfahrer war er es, der bei der Jungfernfahrt der neuen Tram am Steuer saß. Jetzt bringt er anderen bei, die neue Bahn zu fahren. „Die neue mag ich mit Abstand am liebsten. Sie hat nicht nur Videoüberwachung, Heizung und Klima, sondern auch Platz für mehr Fahrgäste. Und sie ist einfach viel bequemer“, sagt Pljevljak. Sie bietet Platz für 180 Passagiere und ist vollständig barrierefrei – vor allem für Pendlerinnen und Pendler mit Behinderung ein Riesenvorteil.
„Die Fahrgäste sind begeistert“, sagt Pljevljak. „Die meisten fahren schon ihr Leben lang mit den gleichen Trams. Da ist das eine enorme Verbesserung.“
Jahrhundert-Hochwasser
In einem Tal, eingerahmt von fünf immergrünen Bergen, liegt Sarajevo malerisch an den Ufern der Miljacka. An dem oft besungenen Fluss finden sich einige der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. So ist unter den mehr als einem Dutzend Brücken auch die Lateinerbrücke, auf der 1914 das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand verübt wurde – der Auslöser des Ersten Weltkriegs.
Verlässt man die Stadt am Fluss entlang Richtung Osten, gelangt man schnell in ein weitläufiges Waldgebiet. Hier grenzt die Föderation Bosnien und Herzegowina an die Republika Srpska. Aus diesen beiden autonomen Teilgebieten setzt sich das Land seit dem Krieg zusammen. Die Republika Srpska wird mehrheitlich von der serbischen Bevölkerung bewohnt und deckt große Teile des Ostens und des Nordens des Landes ab.
Einmal rechts abbiegen, und es geht zum olympischen Skigebiet von Sarajevo. Wer links abbiegt, erreicht über eine der malerischsten Strecken des Landes Bijeljina, die nach Einwohnern zweitgrößte Stadt der Republika Srpska. Genau wie Sarajevo hat Bijeljina eine bewegte Geschichte. Im Mai 2014 gab es dort das schlimmste Hochwasser Südosteuropas seit Beginn der Aufzeichnungen. Mehr als 100 000 Menschen waren betroffen, 33 000 wurden evakuiert. Über 90 000 Hektar Land sowie 35 000 Häuser und Gebäude standen unter Wasser. Der geschätzte Schaden kletterte auf eine Milliarde Euro.
„Das war eine Katastrophe“, erinnert sich Miroslav Čvrgić. „Es gab tagelang kein Wasser und keinen Strom. Die Menschen konnten nicht zurück in ihre Häuser.“ Čvrgić wohnt in Bijeljina und ist in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen. Die Flut trennte ihn von seiner Frau und seiner Tochter. Sein Elternhaus wurde überschwemmt, sodass seine Mutter und sein Vater kein Dach mehr über dem Kopf hatten.
Als er mit uns durchs Dorf geht und uns zeigt, wo das Wasser Straßen und Bauernhöfe überschwemmt hatte, treffen wir seinen Nachbarn Branimir Andrić. Andrić, Bauer und Vater von fünf Kindern, erinnert sich noch lebhaft an die Nacht, als das Wasser kam. „Ich behielt den Wasserstand im Auge und wusste, dass der Uferdamm nicht halten würde“, sagt er. „Wir versuchten verzweifelt, das Vieh den Hügel rauf zu treiben. Und als die Fluten das Dorf erreichten, half ich Menschen mit meinem Traktor, von A nach B zu kommen.
Čvrgić nickt und sagt mit einem breiten Grinsen: „Da haben wir alle zusammen einen Traktor-ÖPNV organisiert.“
Aber auch als das Wasser wieder weg war, blieb noch lange die Sorge vor weiteren Überschwemmungen. „Wir waren monatelang nervös. Bei jedem stärkeren Regen bekamen wir Angst“, sagt Čvrgić.
Heute haben sie die Angst überwunden. Čvrgić sitzt inzwischen im Management der staatlichen Gesellschaft für Wasserwirtschaft der Republika Srpska und arbeitet seit zehn Jahren an einem Hochwasserschutz-Projekt. Die unter anderem mit 74 Millionen Euro von der EIB finanzierte Initiative hat 160 Kilometer an Wasserwegen und 100 Kilometer an Deichen saniert. Dadurch ist die Region gegen die durch den Klimawandel immer häufigeren Überschwemmungen besser gewappnet.
„Vor einem katastrophalen Hochwasser, einer Jahrhundertflut wie 2014, sind wir jetzt geschützt“, sagt Čvrgić. Eine Jahrhundertflut ist so selten, dass ihre Wahrscheinlichkeit pro Jahr bei nur einem Prozent liegt.
Während er spricht, fängt es an zu regnen. „Kein Problem“, sagt er mit einem Blick zum Himmel. „Wir haben jetzt keine Angst mehr vor dem Regen.“
Und sie sind mehr als zufrieden. Ajis Hanušić, dessen Familie in fünfter Generation in Bijeljina lebt, erinnert sich noch allzu gut an das alte Krankenhaus. „Damals war es schwer, von einer Abteilung in die andere zu kommen“, sagt er. „Allein für die Wege im Krankenhaus musste man schon kerngesund sein, scherzten wir damals.“
Das heißt aber nicht, dass das alte Haus dem Verfall überlassen wurde. Als die Corona-Pandemie zuschlug, gab es eine neue Verwendung dafür. „Wir waren wohl die einzige Stadt in der Region mit einem eigenen Corona-Krankenhaus“, sagt Lazić. „Dank des alten Hauses mussten wir – anders als andere – keine geplanten Operationen absagen oder verschieben.“
Der Neubau hat den Klinikalltag für alle Beteiligten grundlegend verändert. „Nach der Eröffnung sagte eine Kollegin zu mir: ‚Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal wie eine richtige Ärztin.‘“, erinnert sich Maksimović.
Der Fluss als Lebensader
Bijeljina ist nicht die einzige Region in Bosnien und Herzegowina, die durch ihre Flüsse definiert wird (in diesem Fall Save und Drina). Das Land selbst ist nach dem Fluss Bosna benannt, dessen Name wiederum von dem illyrischen Wort für „fließendes Wasser” kommt. Bosnien und Herzegowina ist mit 262 Flüssen eines der wasserreichsten Länder Europas. Mit rund 9 000 Kubikmetern erneuerbarem Süßwasser pro Kopf – fast dem Doppelten des europäischen Durchschnitts von 5 000 Kubikmetern – gehört es zu den Ländern mit der besten Trinkwasserversorgung in Europa.
Aber kein Fluss prägt seine Region stärker als die Neretva im Süden des Landes. Sie ist der kälteste Fluss der Welt und für ihr smaragdgrünes Wasser bekannt. Auf 225 Kilometern verläuft sie durch wildromantische Schluchten und historische Städte, allen voran durch Mostar, wo eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes steht: die Alte Brücke. Die osmanische Steinbrücke aus dem 16. Jahrhundert, die sich über die Neretva wölbt, verbindet seit Langem die bosnischen Muslime im Osten der Stadt mit der kroatischen und serbischen Bevölkerung im Westen. Die im Krieg zerstörte und danach wieder aufgebaute Brücke ist heute ein Symbol der Versöhnung.
Mostar ist so eng mit dem Fluss verbunden, dass die meisten Menschen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens von der „Stadt an der Neretva“ sprechen. Die jahrelange Vernachlässigung macht sich allerdings bemerkbar. „Als Kinder sind wir mitten in der Stadt in der Neretva geschwommen, nur 50 Meter von der Altstadt entfernt“, sagt Emir Nuspahić, ein alteingesessener Mostarer. „Das war für uns völlig normal.“ Heute ist die Wasserqualität so schlecht, dass der Fluss seine berühmte türkis-grüne Farbe zu verlieren droht. „Planungsfehler beim Ausbau der Kanalisation haben uns jede Menge Abwasserlecks beschert, versteckt in der Ufervegetation“, sagt Nuspahić.
Er wohnt schon sein ganzes Leben lang in Mostar und hat auch seine Kinder an der Neretva großgezogen. „Das Leben ist wie ein Fluss, heißt es. Aber bei uns gilt eher: Der Fluss ist das Leben“, sagt Nuspahić.
Er will der Neretva ihren alten Glanz zurückgeben und leitet in der Stadtverwaltung seit zehn Jahren ein Flussreinigungsprojekt. „Wir haben auf beiden Seiten des Flusses große Schlammsammler installiert, damit kein ungeklärtes Abwasser mehr einfließt. Der Erfolg zeigt sich bereits.“
„Das Leben ist wie ein Fluss, heißt es. Aber bei uns gilt eher: Der Fluss ist das Leben.“
Nedžad Selimović sieht das genauso. Der Mostarer ist Vorsitzender des örtlichen Fischereiverbands. Er schaut auf den Fluss und sinniert über die Veränderungen. „Man sieht schon, dass weniger Schlamm im Fluss ist. Und die Fische kommen zurück“, sagt er.
Selimović hofft, dass auch die Menschen an den Fluss zurückkehren. „Wir haben Strände mitten in der Stadt, und einen Wildwasserabschnitt nur ein paar Hundert Meter entfernt. Ich bin schon überall auf der Welt gewesen, aber so etwas habe ich nirgendwo anders gesehen.“ Der Vater von zwei Kindern hofft, dass die jüngere Generation wieder eine Bindung zum Fluss aufbaut. „Sie sollen erkennen, dass sie hier etwas ganz Besonderes haben.“
Nuspahić teilt diese emotionale Bindung. „Wir mussten für dieses Projekt die gesamte Innenstadt aufgraben“, sagt er. „Das hat vielen nicht gefallen, deshalb war es manchmal schwierig.“ Aber jetzt, wo sie das Schlimmste hinter sich haben, ist Nuspahić optimistisch. „Das ist noch nicht alles. Es gibt noch so viel zu tun. Wir werden nicht ruhen, ehe die Neretva wieder vollständig sauber ist.“
In einem der Behandlungsräume sitzt Slađana Novaković mit ihrem sechsjährigen Sohn, der zu einem Check-up gekommen ist. „Wir waren vorher bei so vielen Ärzten, und keiner konnte uns sagen, was er hat“, erinnert sich Novaković. „Dr. Nevenka hatte binnen einer Stunde eine Diagnose und blieb auch während der anschließenden Behandlung im Ausland mit uns in Kontakt.“
„Sie hat ihm das Leben gerettet“, sagt die Mutter mit Tränen in den Augen und umarmt ihren Sohn. „Dank ihr kommt mein Sohn dieses Jahr in die Schule.“
Im Wartezimmer hat eine andere Patientin nur lobende Worte für das Zentrum. Bei ihrer Mutter, einer Lehrerin, wurde ein Tumor früh genug diagnostiziert, dass sie rechtzeitig behandelt werden konnte. „Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass wir so ein modernes Diagnosezentrum in unserer Stadt haben“, sagt Kovac.
Für Dr. Pantić-Vuković sind Vertrauen und Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg des Zentrums. „Heutzutage vertrauen viele dem Internet mehr als ihrer Ärztin“, sagt sie. „Seine Patientinnen und Patienten samt ihrer medizinischen Vorgeschichte zu kennen, sind 70 Prozent einer guten Diagnose. Und dafür muss man zuhören.“
„Sie hat ihm das Leben gerettet. Dank ihr kommt mein Sohn dieses Jahr in die Schule.“
Die Menschen machen das Land
In einem sind sich in Bosnien und Herzegowina alle einig: Die Menschen hier sind besonders widerstandsfähig. Es gab immer Konflikte und Not, und trotzdem sind die Menschen in der Region als resilient, herzlich und humorvoll bekannt. Gastfreundschaft ist nicht nur eine Tradition, sondern ein Lebensgefühl. Trotz der schwierigen Geschichte nehmen sie immer noch alle mit offenen Armen auf.
Wer wüsste das besser als Nevenka Pantić-Vuković? Die gebürtige Belgraderin folgte nach dem Krieg ihrem Mann nach Sarajevo. „Die Liebe hat mich hergeführt“, sagt sie. Und nach Jahren im Ausland kam sie erneut zurück. Diesmal war es wegen der Liebe zu den Menschen. „Die Menschen hier haben so viel durchgemacht, und ich wollte einfach etwas für sie tun.“
Radmila Simić, Oberschwester im Krankenhaus Bijeljina, geht es genauso. Sie wuchs in Deutschland auf und kehrte in die Heimat ihrer Eltern zurück, um den Menschen etwas zurückzugeben. „Unsere Leute haben die unglaubliche Fähigkeit, sich an alles anzupassen.“
Alle, die wir in Bosnien und Herzegowina kennengelernt haben, gehen mit dieser Einstellung an ihre Arbeit. Es gibt ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl: Die Gemeinschaft muss wieder aufgebaut und gestärkt werden. So wie Boro Đolo sagt, dass wir „alle flussabwärts wohnen“, ist hier in diesem kleinen Land allen bewusst, dass alles, was man tut, einen Dominoeffekt entfaltet – dass sie mit dem eigenen Handeln das Leben der Menschen in ihrem Umfeld prägen und verbessern können.
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