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Jeden Morgen um 5:10 Uhr fährt in Sarajevo die erste Tram aus dem Vorort Ilidža zum historischen Marktplatz Baščaršija im Herzen der Altstadt. Die Verbindung gibt es schon seit 140 Jahren. Generationen von Menschen sind hier schon gefahren, und die Tram ist längst ein fester Teil von Sarajevo.

1885 wurden die ersten Tram-Wagen noch von Pferden gezogen. Doch schon zehn Jahre später war Sarajevo bei den ersten europäischen Städten, die ihre Straßenbahnen elektrifizierten. Im Lauf der Jahrzehnte hat die Tram für das Wachstum der Stadt eine entscheidende Rolle gespielt.

Für Esad Mujagić ist sie mehr als ein Verkehrsmittel: Sie ist sein Lebenswerk. „Als ich in den 1980er-Jahren bei den städtischen Verkehrsbetrieben anfing, hätte ich nicht gedacht, dass die Tram mein ganzes Berufsleben bestimmen würde“, sagt er.

Esad Mujagić neben der neuesten Tram in Sarajevo
EIB

Während der brutalen Belagerung von Sarajevo in den 1990er-Jahren stellte die Tram das erste Mal in ihrer Geschichte den Betrieb ein – weil die Strecken blockiert waren. Nach zwei langen Jahren fuhr sie dann wieder, auch wenn die Stadt immer noch eingeschlossen war. Von da an reparierte Mujagić Tag für Tag Einschusslöcher und Schäden durch Granatsplitter. „Wir wollten die Tram unbedingt am Laufen halten“, erinnert er sich. „Die Menschen sollten ein Stück Normalität in ihrem Alltag haben.“

Nach dem Krieg trugen die Tram-Züge in Sarajevo noch jahrelang die Narben der Kämpfe, und Mujagić machte sich dafür stark, dass sie ersetzt würden. 2024 war es dann endlich so weit. Das erste Mal seit 40 Jahren nahm Sarajevo eine Flotte nagelneuer gelber Tram-Züge in Betrieb.

Die neue Tram ist nur eines der vielen Anzeichen dafür, dass Bosnien und Herzegowina mit seinen langfristigen Projekten und EU-Ambitionen 2024 einen entscheidenden Punkt erreicht hat: Anfang des Jahres stimmten die EU-Spitzen offiziell Beitrittsverhandlungen mit dem Land zu. Infrastrukturprojekte im ganzen Land erreichen wichtige Meilensteine, etwa neue Straßen, Windparks und Krankenhaus-Modernisierungen. Die EIB treibt diesen Fortschritt gemeinsam mit dem öffentlichen und dem privaten Sektor voran.

Dabei geht es aber nicht nur um Brücken, Tunnel und Straßenbahnen. Es geht um Menschen, die vor Ort etwas bewegen. Menschen wie Esad Mujagić, die das Leben der anderen verbessern wollen. Wir haben in Bosnien und Herzegowina einen Hydraulik-Ingenieur besucht, der seine Stadt vor Überschwemmung schützt, einen Vertreter der Stadtverwaltung, der dem Fluss zu altem Glanz verhilft, und einen Politiker, der für sauberes Wasser in entlegenen Regionen sorgt. Wir stellen Ihnen einen Umweltschützer vor, der die einheimische Fischpopulation retten will. Einen Ingenieur, der Straßen sicherer macht. Und eine Ärztin, die in ihr Land zurückgekehrt ist, um die medizinische Versorgung zu verbessern.

Der Geist von Olympia

Das letzte Mal, dass Sarajevo neue Tram-Züge bekam, war 1984 – zu den olympischen Winterspielen. Sarajevo gehörte damals noch zu Jugoslawien und hinterließ weltweit einen bleibenden Eindruck – mit dem Charme und der Gastfreundschaft, für die Bosnien und Herzegowina in der ganzen Region bekannt ist.

Im Vorfeld der Spiele gab es keinen Schnee, ungewöhnlich für die Jahreszeit. Doch am Vorabend der Eröffnungsfeier zog ein Schneesturm über die Stadt. „Alle packten mit an, um die Straßen zu räumen“, erinnert sich Mujagić. „Einigkeit und Stolz prägten diesen Moment.“

Blick auf Sarajevo vom Berg Trebević, wo die Bob- und Rodelbahn für die olympischen Winterspiele 1984 gebaut wurde

Dieses Bild von Sarajevo wurde nur wenige Jahre später zerstört – mit dem Ausbruch des Kriegs, der zur Auflösung Jugoslawiens führte. Doch Mujagić sagt, mit der neuen Tram und anderen Fortschritten kehre Sarajevo zu alter Größe zurück. „Es fühlt sich an wie vor dem Krieg. Ich hoffe, dass noch viele solche Projekte folgen, die Sarajevo zu einer wirklich europäischen Stadt machen und das Land der EU näherbringen.“

„Einigkeit und Stolz prägten diesen Moment.“
Esad Mujagić

Tram-Verkehrskoordinator in Sarajevo

„Die Fahrgäste sind begeistert“

Mujagić ist aus gutem Grund optimistisch. Die neue Tram ist der Auftakt zu einem ehrgeizigen Projekt zur Modernisierung und Ausweitung des ÖPNV in der Stadt. Dabei werden mit zwei EIB-Krediten über 75 Millionen Euro in die Jahre gekommene Tram-Züge und Oberleitungsbusse ersetzt und neue Tram-Linien gebaut. Das Ziel: weniger Staus und Luftverschmutzung, eines der größten Probleme in Sarajevo.

„Ich freue mich so, dass ich die neuen Trams noch miterlebe, bevor ich in Rente gehe“, sagt Mujagić, der Ende des Jahres in den Ruhestand geht, nachdem er jahrzehntelang für die Tram gearbeitet hat. Und das ist erst der Anfang. Bis Ende 2025 erhält die Stadt 25 weitere Trams.

Für Hilmo Pljevljak ist es bereits die achte Modellgeneration. Als Routinier mit fast 30 Jahren Erfahrung als Straßenbahnfahrer war er es, der bei der Jungfernfahrt der neuen Tram am Steuer saß. Jetzt bringt er anderen bei, die neue Bahn zu fahren. „Die neue mag ich mit Abstand am liebsten. Sie hat nicht nur Videoüberwachung, Heizung und Klima, sondern auch Platz für mehr Fahrgäste. Und sie ist einfach viel bequemer“, sagt Pljevljak. Sie bietet Platz für 180 Passagiere und ist vollständig barrierefrei – vor allem für Pendlerinnen und Pendler mit Behinderung ein Riesenvorteil.

„Die Fahrgäste sind begeistert“, sagt Pljevljak. „Die meisten fahren schon ihr Leben lang mit den gleichen Trams. Da ist das eine enorme Verbesserung.“

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Eine Tramfahrt durch Sarajevo mit Hilmo Pljevljak am Steuer

Jahrhundert-Hochwasser

In einem Tal, eingerahmt von fünf immergrünen Bergen, liegt Sarajevo malerisch an den Ufern der Miljacka. An dem oft besungenen Fluss finden sich einige der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. So ist unter den mehr als einem Dutzend Brücken auch die Lateinerbrücke, auf der 1914 das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand verübt wurde – der Auslöser des Ersten Weltkriegs.

Verlässt man die Stadt am Fluss entlang Richtung Osten, gelangt man schnell in ein weitläufiges Waldgebiet. Hier grenzt die Föderation Bosnien und Herzegowina an die Republika Srpska. Aus diesen beiden autonomen Teilgebieten setzt sich das Land seit dem Krieg zusammen. Die Republika Srpska wird mehrheitlich von der serbischen Bevölkerung bewohnt und deckt große Teile des Ostens und des Nordens des Landes ab.

Einmal rechts abbiegen, und es geht zum olympischen Skigebiet von Sarajevo. Wer links abbiegt, erreicht über eine der malerischsten Strecken des Landes Bijeljina, die nach Einwohnern zweitgrößte Stadt der Republika Srpska. Genau wie Sarajevo hat Bijeljina eine bewegte Geschichte. Im Mai 2014 gab es dort das schlimmste Hochwasser Südosteuropas seit Beginn der Aufzeichnungen. Mehr als 100 000 Menschen waren betroffen, 33 000 wurden evakuiert. Über 90 000 Hektar Land sowie 35 000 Häuser und Gebäude standen unter Wasser. Der geschätzte Schaden kletterte auf eine Milliarde Euro.

„Das war eine Katastrophe. Es gab tagelang kein Wasser und keinen Strom. Die Menschen konnten nicht zurück in ihre Häuser.“

Miroslav Čvrgić

„Das war eine Katastrophe“, erinnert sich Miroslav Čvrgić. „Es gab tagelang kein Wasser und keinen Strom. Die Menschen konnten nicht zurück in ihre Häuser.“ Čvrgić wohnt in Bijeljina und ist in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen. Die Flut trennte ihn von seiner Frau und seiner Tochter. Sein Elternhaus wurde überschwemmt, sodass seine Mutter und sein Vater kein Dach mehr über dem Kopf hatten.

Als er mit uns durchs Dorf geht und uns zeigt, wo das Wasser Straßen und Bauernhöfe überschwemmt hatte, treffen wir seinen Nachbarn Branimir Andrić. Andrić, Bauer und Vater von fünf Kindern, erinnert sich noch lebhaft an die Nacht, als das Wasser kam. „Ich behielt den Wasserstand im Auge und wusste, dass der Uferdamm nicht halten würde“, sagt er. „Wir versuchten verzweifelt, das Vieh den Hügel rauf zu treiben. Und als die Fluten das Dorf erreichten, half ich Menschen mit meinem Traktor, von A nach B zu kommen.

Bauer Branimir Andrić brachte Menschen mit seinem Traktor aus dem überschwemmten Dorf

Čvrgić nickt und sagt mit einem breiten Grinsen: „Da haben wir alle zusammen einen Traktor-ÖPNV organisiert.“

Aber auch als das Wasser wieder weg war, blieb noch lange die Sorge vor weiteren Überschwemmungen. „Wir waren monatelang nervös. Bei jedem stärkeren Regen bekamen wir Angst“, sagt Čvrgić.

Heute haben sie die Angst überwunden. Čvrgić sitzt inzwischen im Management der staatlichen Gesellschaft für Wasserwirtschaft der Republika Srpska und arbeitet seit zehn Jahren an einem Hochwasserschutz-Projekt. Die unter anderem mit 74 Millionen Euro von der EIB finanzierte Initiative hat 160 Kilometer an Wasserwegen und 100 Kilometer an Deichen saniert. Dadurch ist die Region gegen die durch den Klimawandel immer häufigeren Überschwemmungen besser gewappnet.

Miroslav Čvrgić an der verstärkten Uferbefestigung bei seinem Dorf

„Vor einem katastrophalen Hochwasser, einer Jahrhundertflut wie 2014, sind wir jetzt geschützt“, sagt Čvrgić. Eine Jahrhundertflut ist so selten, dass ihre Wahrscheinlichkeit pro Jahr bei nur einem Prozent liegt.

Während er spricht, fängt es an zu regnen. „Kein Problem“, sagt er mit einem Blick zum Himmel. „Wir haben jetzt keine Angst mehr vor dem Regen.“

„Das war damals das größte Gesundheitsprojekt in der Republika Srpska. Alle Augen waren auf uns gerichtet.“
Dr. Siniša Maksimović

Thoraxchirurg

„Endlich fühle ich mich wie ein richtiger Arzt“

Als 2014 die verheerende Flut in Bijeljina viele Menschen buchstäblich aus ihren Häusern schwemmte, war es gut, dass es das neue Krankenhaus gab. Seit 1939 war in der Region keine große neue Gesundheitseinrichtung mehr gebaut worden. „Das war in der Republika Srpska seinerzeit das größte Gesundheitsprojekt“, sagt Dr. Siniša Maksimović, der das Krankenhaus damals leitete.

Die neue Einrichtung, die 2013 nach nur drei Jahren Bauzeit eröffnet wurde, ersetzte eine Reihe von veralteten Häusern. Das Haus hat knapp 250 Betten und fünf OP-Säle. „Alles war neu. Die Ausstattung, das Gebäude. Es war damals das modernste Krankenhaus des Landes“, sagt Maksimović. „Und es ist uns gelungen, diesen Standard zu halten.“

Das neue Krankenhaus in Bijeljina wurde 2013 eröffnet

Oberschwester Radmila Simić arbeitet seit 24 Jahren dort und bezeichnet den Umzug in das neue Gebäude als transformativ. „Damit hat praktisch eine neue Ära begonnen“, sagt sie. „Seitdem ging es schnell bergauf.“ Heute kommen die Patientinnen und Patienten aus ganz Bosnien und Herzegowina und sogar aus den Nachbarländern. „Wir bieten eine hochmoderne Gesundheitsversorgung, die es vorher nicht gab“, sagt der Kinderarzt Dr. Mikajlo Lazić, der das Haus aktuell leitet.

Der Bau des Krankenhauses war Teil eines größeren Projekts, zu dem auch der Wiederaufbau des Klinikums in Banja Luka gehörte, der größten Stadt der Republika Srpska. Finanzierung von der EIB: 115 Millionen Euro. 2023 unterzeichnete die EIB einen weiteren Kredit; diesmal für den Bau eines neuen medizinischen Campus an der Universität von Banja Luka und für die weitere Modernisierung des dortigen Klinikums.

„Das Wichtigste ist, dass unsere Patientinnen und Patienten zufrieden sind“, sagt Simić.

Radmila Simić arbeitet seit 24 Jahren in dem Krankenhaus EIB

Und sie sind mehr als zufrieden. Ajis Hanušić, dessen Familie in fünfter Generation in Bijeljina lebt, erinnert sich noch allzu gut an das alte Krankenhaus. „Damals war es schwer, von einer Abteilung in die andere zu kommen“, sagt er. „Allein für die Wege im Krankenhaus musste man schon kerngesund sein, scherzten wir damals.“

Das heißt aber nicht, dass das alte Haus dem Verfall überlassen wurde. Als die Corona-Pandemie zuschlug, gab es eine neue Verwendung dafür. „Wir waren wohl die einzige Stadt in der Region mit einem eigenen Corona-Krankenhaus“, sagt Lazić. „Dank des alten Hauses mussten wir – anders als andere – keine geplanten Operationen absagen oder verschieben.“

Der Neubau hat den Klinikalltag für alle Beteiligten grundlegend verändert. „Nach der Eröffnung sagte eine Kollegin zu mir: ‚Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal wie eine richtige Ärztin.‘“, erinnert sich Maksimović.

Der Fluss als Lebensader

Bijeljina ist nicht die einzige Region in Bosnien und Herzegowina, die durch ihre Flüsse definiert wird (in diesem Fall Save und Drina). Das Land selbst ist nach dem Fluss Bosna benannt, dessen Name wiederum von dem illyrischen Wort für „fließendes Wasser” kommt. Bosnien und Herzegowina ist mit 262 Flüssen eines der wasserreichsten Länder Europas. Mit rund 9 000 Kubikmetern erneuerbarem Süßwasser pro Kopf – fast dem Doppelten des europäischen Durchschnitts von 5 000 Kubikmetern – gehört es zu den Ländern mit der besten Trinkwasserversorgung in Europa.

Aber kein Fluss prägt seine Region stärker als die Neretva im Süden des Landes. Sie ist der kälteste Fluss der Welt und für ihr smaragdgrünes Wasser bekannt. Auf 225 Kilometern verläuft sie durch wildromantische Schluchten und historische Städte, allen voran durch Mostar, wo eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten des Landes steht: die Alte Brücke. Die osmanische Steinbrücke aus dem 16. Jahrhundert, die sich über die Neretva wölbt, verbindet seit Langem die bosnischen Muslime im Osten der Stadt mit der kroatischen und serbischen Bevölkerung im Westen. Die im Krieg zerstörte und danach wieder aufgebaute Brücke ist heute ein Symbol der Versöhnung.

Die Alte Brücke verbindet seit Langem die bosnischen Muslime von Mostar im Osten mit der kroatischen und serbischen Bevölkerung im Westen der Stadt. In den 90er-Jahren wurde sie im Krieg zerstört und später wieder aufgebaut. Heute ist sie ein Symbol der Versöhnung.

Mostar ist so eng mit dem Fluss verbunden, dass die meisten Menschen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens von der „Stadt an der Neretva“ sprechen. Die jahrelange Vernachlässigung macht sich allerdings bemerkbar. „Als Kinder sind wir mitten in der Stadt in der Neretva geschwommen, nur 50 Meter von der Altstadt entfernt“, sagt Emir Nuspahić, ein alteingesessener Mostarer. „Das war für uns völlig normal.“ Heute ist die Wasserqualität so schlecht, dass der Fluss seine berühmte türkis-grüne Farbe zu verlieren droht. „Planungsfehler beim Ausbau der Kanalisation haben uns jede Menge Abwasserlecks beschert, versteckt in der Ufervegetation“, sagt Nuspahić.

Er wohnt schon sein ganzes Leben lang in Mostar und hat auch seine Kinder an der Neretva großgezogen. „Das Leben ist wie ein Fluss, heißt es. Aber bei uns gilt eher: Der Fluss ist das Leben“, sagt Nuspahić.

Emir Nuspahić, städtischer Angestellter und alteingesessener Mostarer

Er will der Neretva ihren alten Glanz zurückgeben und leitet in der Stadtverwaltung seit zehn Jahren ein Flussreinigungsprojekt. „Wir haben auf beiden Seiten des Flusses große Schlammsammler installiert, damit kein ungeklärtes Abwasser mehr einfließt. Der Erfolg zeigt sich bereits.“

„Das Leben ist wie ein Fluss, heißt es. Aber bei uns gilt eher: Der Fluss ist das Leben.“
Emir Nuspahić

Stadtverwaltung Mostar

Nedžad Selimović sieht das genauso. Der Mostarer ist Vorsitzender des örtlichen Fischereiverbands. Er schaut auf den Fluss und sinniert über die Veränderungen. „Man sieht schon, dass weniger Schlamm im Fluss ist. Und die Fische kommen zurück“, sagt er.

Die Neretva ist der kälteste Fluss der Welt und für ihr smaragdgrünes Wasser bekannt.

Selimović hofft, dass auch die Menschen an den Fluss zurückkehren. „Wir haben Strände mitten in der Stadt, und einen Wildwasserabschnitt nur ein paar Hundert Meter entfernt. Ich bin schon überall auf der Welt gewesen, aber so etwas habe ich nirgendwo anders gesehen.“ Der Vater von zwei Kindern hofft, dass die jüngere Generation wieder eine Bindung zum Fluss aufbaut. „Sie sollen erkennen, dass sie hier etwas ganz Besonderes haben.“

Nuspahić teilt diese emotionale Bindung. „Wir mussten für dieses Projekt die gesamte Innenstadt aufgraben“, sagt er. „Das hat vielen nicht gefallen, deshalb war es manchmal schwierig.“ Aber jetzt, wo sie das Schlimmste hinter sich haben, ist Nuspahić optimistisch. „Das ist noch nicht alles. Es gibt noch so viel zu tun. Wir werden nicht ruhen, ehe die Neretva wieder vollständig sauber ist.“

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Emir Nuspahić erklärt, wie wichtig die Neretva für Mostar ist
„Wenn jemand flussaufwärts das Wasser verschmutzt, betrifft das alle, die flussabwärts wohnen.“
Boro Đolo

Stadtverwaltung Široki Brijeg

Wir wohnen alle flussabwärts

25 Kilometer nordwestlich ist ein anderer Flussretter aktiv. Boro Đolo wuchs am Ufer der Lištica auf. „Hier lernen die Kinder schwimmen, bevor sie laufen können“, sagt er.

Der freundliche Großvater arbeitet in seiner Freizeit mit einer lokalen Organisation daran, dass sich die einheimische Fischpopulation wieder erholt. Beruflich kümmert sich Đolo als städtischer Angestellter in Široki Brijeg seit 35 Jahren um den Wassersektor. Dort leitet er ein Projekt zur Verbesserung der Abwasserentsorgung in Lištica. 25 Kilometer Abwasserleitungen und 4 Kilometer Regenwasserkanäle hat die Stadt bereits gebaut und modernisiert. Aktuell baut sie für ihre 15 000 Einwohnerinnen und Einwohner eine Kläranlage.

Die Lištica entspringt nicht weit entfernt, schlängelt sich durch die Landschaft und mündet bei Mostar in die Neretva. „Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Lištica sauber halten. Wir leben alle flussabwärts“, sagt Đolo. „Wenn jemand flussaufwärts das Wasser verschmutzt, betrifft das alle, die flussabwärts wohnen.“

Die Projekte in Mostar und Široki Brijeg sind Teil von größer angelegten EIB-finanzierten Verbesserungen der Wasser- und Sanitärversorgung in diesem Landesteil. Und die 60 Millionen Euro, die die Bank in diese Initiativen investiert, fallen unter die 240 Millionen Euro, die sie insgesamt für Wasserinfrastruktur und Flutschutz in Bosnien und Herzegowina zugesagt hat.

„Das Projekt deckt 19 Kommunen ab und hat die Lebensqualität dort erheblich verbessert“, sagt Sukavata Bejdić, Projektleiterin beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Wassermanagement und Forstwirtschaft. Sie sitzt in einem beengten Büro, umringt von stapelweise Papierkram, und strahlt mit einem ansteckenden Lächeln Optimismus aus: „In den vergangenen 15 Jahren hat das Projekt mehr als 500 000 Menschen sauberes Trinkwasser und eine bessere Kanalisation gebracht.“ 

Sukavata Bejdić arbeitet seit 15 Jahren an dem Projekt

Bejdić weiß, dass sie etwas bewegt: „Das war ein langer Prozess und viel Arbeit, aber ich spreche jeden Tag mit Menschen vor Ort und freue mich, dass ich etwas für sie tun kann.“

Rückenwind für die grüne Wende

Die Europäische Investitionsbank schützt nicht nur die Umwelt, sie hilft Bosnien und Herzegowina auch bei den Zielen im Bereich der erneuerbaren Energien und damit bei der grünen Wende. Die EIB Global, der Geschäftsbereich für Entwicklungsfinanzierung, hat einen Kredit über 36 Millionen Euro an den staatlichen Stromversorger des Landes unterzeichnet. Damit baut das Unternehmen einen 50 Megawatt-Windpark auf dem Vlašić-Gebirgsmassiv im Zentrum von Bosnien und Herzegowina auf.

Das Projekt soll die Energieversorgung stärken und die Stromerzeugung aus Erneuerbaren erhöhen. Auf dem für Ziegenkäse bekannten Gebirgszug stehen schon bald 18 Windräder. Das ist zu erwarten:

  • 115 Gigawattstunden Stromerzeugung pro Jahr, genug für 20 000 Haushalte
  • 140 000 Tonnen weniger CO2-Emissionen pro Jahr – dafür müsste man 33 000 Autos ein Jahr lang aus dem Verkehr ziehen

Zusätzlich zu dem Darlehen gibt es einen EU-Zuschuss von 21 Millionen Euro aus dem Investitionsrahmen für den westlichen Balkan (WBIF).

Auf dem Vlašić-Gebirgsmassiv werden 18 Windräder genug Strom für 20 000 Haushalte erzeugen
Wikimedia
Auf dem Vlašić-Gebirgsmassiv werden 18 Windräder genug Strom für 20 000 Haushalte erzeugen
„2023 waren nur zwei Verkehrstote auf Autobahnen zu beklagen, weniger als ein Prozent.“
Zlatko Demirovski

Leiter Verkehrskontrolle und -überwachung

Verkehrsader durchs Land

Neben der Neretva gibt es noch eine weitere Lebensader, die Menschen im ganzen Land miteinander verbindet.

Der Korridor Vc ist eine 679 Kilometer lange Autobahn von Budapest bis zur kroatischen Küste, und der Großteil der Strecke verläuft durch Bosnien und Herzegowina. Die Autobahn verbindet Menschen und Unternehmen, verkürzt Reisezeiten und stärkt den Handel. Sie ist buchstäblich und im übertragenen Sinne der Weg in die EU.

Jenseits von Handel und Verkehr geht es aber noch um etwas Wichtigeres: Verkehrssicherheit. Allein 2023 gab es im Land über 35 000 Verkehrsunfälle mit 255 Todesopfern. Das sind knapp 80 pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner – der EU-Durchschnitt liegt bei 46. „Der beste Weg zu mehr Verkehrssicherheit sind mehr Autobahnen“, sagt Zlatko Demirovski, Leiter der Verkehrsüberwachung bei der staatlichen Autobahngesellschaft. „Nur zwei der tödlichen Unfälle sind auf Autobahnen passiert, also weniger als ein Prozent.“

Alles im Blick dank 550 Kameras auf den Autobahnen des Landes: Demirovski und sein Team im Verkehrskontrollzentrum

Im Verkehrskontrollzentrum etwa 70 Kilometer nördlich von Sarajevo haben Demirovski und sein Team die Bilder von 550 Kameras auf den Autobahnen des Landes im Blick. Eine spezielle Software erkennt Unfälle automatisch und ermöglicht eine sofortige Reaktion. Der Streckenabschnitt zwischen Zenica und Sarajevo hat sich bereits bewährt.

Auf den dortigen Landstraßen gab es früher jedes Jahr bis zu 15 Verkehrstote. Seit es die Autobahn gibt, ist die Zahl auf 1 zurückgegangen. „Überhöhte Geschwindigkeit und riskantes Überholen sind für 50 Prozent aller Unfälle verantwortlich. Mehrspurige und besser gebaute Autobahnen haben diese Risiken drastisch gesenkt“, sagt Demirovski. Und das ist noch nicht alles. Das Land bereitet sich auf eine Zukunft vor, in der Autos untereinander und direkt mit der Straßeninfrastruktur kommunizieren. Das minimiert menschliches Versagen und verbessert die Verkehrssicherheit weiter.

Mit mehr als 148 Brücken und 46 Tunneln ist der Korridor Vc das größte Infrastrukturprojekt in Bosnien und Herzegowina. Zwei wichtige Meilensteine waren 2024 der Durchbruch für den längsten Tunnel des Landes und die Einweihung der einen Kilometer langen Herzegowina-Brücke über die Neretva. Die Europäische Investitionsbank spielt hier eine wichtige Rolle: Sie hat bereits eine Milliarde Euro in den Korridor Vc investiert.

Die Hausärztin

Die Bank der EU investiert nicht nur in öffentliche Projekte. Ein Großteil ihrer Finanzierungen geht an Unternehmerinnen und Unternehmer. So flossen 880 Millionen Euro an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Bosnien und Herzegowina.

Eines davon ist Sirius Medical, ein Diagnosezentrum in Ost-Sarajevo.

Mitten in einem Wohngebiet ist es leicht zu übersehen, wenn man nicht danach sucht. Drinnen wirkt es ruhig und klinisch, aber einladender als andere medizinische Einrichtungen. Das ist vor allem Dr. Nevenka Pantić-Vuković zu verdanken. Die Ärztin vereint ein sanftes Auftreten mit einer natürlichen Autorität.

Dr. Nevenka Pantić-Vuković in dem von ihr mitgegründeten Diagnosezentrum

Pantić-Vuković kommt aus einer Ärztefamilie und wollte zunächst Chirurgin werden. Aber als sie im Ausland die moderne Radiologie kennengelernt hatte, ging sie nach Bosnien zurück und eröffnete das Diagnosezentrum. „Wir bieten hier modernste radiologische Diagnostik – einschließlich CT, MRT, Ultraschall und Röntgen“, sagt sie. „Das Wichtigste ist aber: Wir sorgen dafür, dass alle unsere Patientinnen und Patienten nach ihrer Diagnose an Spezialisten überwiesen werden.“

Seit der Eröffnung mitten in der Pandemie hat sich das Diagnosezentrum schnell etabliert und in vier Jahren mehr als 10 000 Menschen behandelt. Trotzdem vermittelt es immer noch das Gefühl einer Hausarztpraxis von nebenan.

Die EIB hat in Bosnien und Herzegowina kleine und mittlere Unternehmen mit 880 Millionen Euro gefördert.

In einem der Behandlungsräume sitzt Slađana Novaković mit ihrem sechsjährigen Sohn, der zu einem Check-up gekommen ist. „Wir waren vorher bei so vielen Ärzten, und keiner konnte uns sagen, was er hat“, erinnert sich Novaković. „Dr. Nevenka hatte binnen einer Stunde eine Diagnose und blieb auch während der anschließenden Behandlung im Ausland mit uns in Kontakt.“

„Sie hat ihm das Leben gerettet“, sagt die Mutter mit Tränen in den Augen und umarmt ihren Sohn. „Dank ihr kommt mein Sohn dieses Jahr in die Schule.“

Im Wartezimmer hat eine andere Patientin nur lobende Worte für das Zentrum. Bei ihrer Mutter, einer Lehrerin, wurde ein Tumor früh genug diagnostiziert, dass sie rechtzeitig behandelt werden konnte. „Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass wir so ein modernes Diagnosezentrum in unserer Stadt haben“, sagt Kovac.

Für Dr. Pantić-Vuković sind Vertrauen und Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg des Zentrums. „Heutzutage vertrauen viele dem Internet mehr als ihrer Ärztin“, sagt sie. „Seine Patientinnen und Patienten samt ihrer medizinischen Vorgeschichte zu kennen, sind 70 Prozent einer guten Diagnose. Und dafür muss man zuhören.“

„Dr. Nevenka hatte binnen einer Stunde eine Diagnose und blieb auch während der anschließenden Behandlung im Ausland mit uns in Kontakt“, sagt Slađana Novaković
„Sie hat ihm das Leben gerettet. Dank ihr kommt mein Sohn dieses Jahr in die Schule.“
Slađana Novaković

Die Menschen machen das Land

In einem sind sich in Bosnien und Herzegowina alle einig: Die Menschen hier sind besonders widerstandsfähig. Es gab immer Konflikte und Not, und trotzdem sind die Menschen in der Region als resilient, herzlich und humorvoll bekannt. Gastfreundschaft ist nicht nur eine Tradition, sondern ein Lebensgefühl. Trotz der schwierigen Geschichte nehmen sie immer noch alle mit offenen Armen auf.

Wer wüsste das besser als Nevenka Pantić-Vuković? Die gebürtige Belgraderin folgte nach dem Krieg ihrem Mann nach Sarajevo. „Die Liebe hat mich hergeführt“, sagt sie. Und nach Jahren im Ausland kam sie erneut zurück. Diesmal war es wegen der Liebe zu den Menschen. „Die Menschen hier haben so viel durchgemacht, und ich wollte einfach etwas für sie tun.“

Radmila Simić, Oberschwester im Krankenhaus Bijeljina, geht es genauso. Sie wuchs in Deutschland auf und kehrte in die Heimat ihrer Eltern zurück, um den Menschen etwas zurückzugeben. „Unsere Leute haben die unglaubliche Fähigkeit, sich an alles anzupassen.“

Alle, die wir in Bosnien und Herzegowina kennengelernt haben, gehen mit dieser Einstellung an ihre Arbeit. Es gibt ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl: Die Gemeinschaft muss wieder aufgebaut und gestärkt werden. So wie Boro Đolo sagt, dass wir „alle flussabwärts wohnen“, ist hier in diesem kleinen Land allen bewusst, dass alles, was man tut, einen Dominoeffekt entfaltet – dass sie mit dem eigenen Handeln das Leben der Menschen in ihrem Umfeld prägen und verbessern können.