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Eine finanzielle Perspektive für Flüchtlinge

Eine finanzielle Perspektive für Flüchtlinge

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Mikrokredite oft einzige Finanzierungsquelle für Flüchtlinge

Als Student der Ingenieurswissenschaften in Irak hatte Said Al-Obaidi ein Verschlüsselungsverfahren entwickelt, mit dem Gegner des Saddam-Regimes untereinander kommunizieren konnten. Als die Untergrundgruppe 1992 aufflog, wurden einige seiner Mitstreiter hingerichtet, andere zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Al-Obaidi selbst wurde vier Jahre im berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis festgehalten. Erst zehn Jahre nach dem Sturz des Diktators entkam er der religiösen Gewalt in seinem Heimatland. „Als es Saddam noch gab, konnte man zwar nicht frei reden, dafür aber leben und arbeiten“, sagt der 56-Jährige. „Im Irak besteht heute Redefreiheit – aber leben und arbeiten kann man nicht.“

Al-Obaidi flüchtete nach Belgien und beschloss, eine Laptopwerkstatt einzurichten. Die Banken verweigerten ihm den Kredit von 3 000 Euro, den er brauchte, um einen Laden zu mieten. Deshalb wendete er sich 2012 an microStart. Das Mikrofinanzunternehmen in Brüssel vergibt Geschäftskredite bis zu 15 000 Euro und stellt sogar Minikredite ab 500 Euro bereit. Dank mehrerer microStart-Kredite und harter Arbeit läuft Al-Obaidis Werkstatt im Zentrum von Brüssel heute sehr gut. „Für die Banken hätte ich viel eigenes Kapital mitbringen müssen. Dann hätten sie eventuell überlegt, ob sie mir vielleicht helfen können“, so Al-Obaidi. „Die Leute von microStart sind sehr nett. Sie waren für mich wie Freunde – schon bevor ich den Kredit bekommen habe.“

Flüchtlinge wie Al-Obaidi, die in einem neuen Land Fuß fassen wollen, haben kaum Möglichkeiten, einen Kredit aufzunehmen. Selbst für Migranten aus Ländern der Europäischen Union wird es immer schwieriger, von Banken einen Kredit zu bekommen, da sie ihre Bonität nicht hinreichend belegen können. Angesichts der Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten und der Welle von EU-Arbeitsmigranten, die in einem anderen Mitgliedsland auf ein geregeltes Einkommen hoffen, werden Mikrokredite für die wirtschaftliche Zukunft des Kontinents immer wichtiger. Laut den Mikrokreditgebern stammen mittlerweile 30 bis 70 Prozent ihrer Kunden aus dem Ausland.

„Viele, die jetzt den Flüchtlingsstatus erhalten, werden am Ende zu Mikrofinanzunternehmen kommen“, meint Faisal Rahman, Gründer von Fair Finance, einem Anbieter von sozialen Finanzierungen in London. „Und die meisten anderen werden für kleine Firmen arbeiten, die sich über Mikrokredite finanzieren.“

Im Kampf gegen Kredithaie

Im Londoner Stadtteil Hackney, in dem Fair Finance ein Büro hat, wimmelt es von Kredithaien, die Kleinkredite mit Zinssätzen von 700 Prozent oder mehr anbieten. Die Aushänge an den Fenstern ihrer Büros sind nicht nur auf Arabisch, sondern auch auf Polnisch, Portugiesisch und Spanisch, denn Arbeitssuchende aus anderen EU-Ländern werden von den Banken vor Ort meist ebenfalls abgewiesen.

Fair Finance und andere soziale Kreditgeber wollen kleine Unternehmen aus den Fängen der Kredithaie befreien. Rund 8 Millionen Menschen in Großbritannien haben keinen ausreichenden Zugang zu Bankdienstleistungen. Sie haben zwar ein Bankkonto, können ihre Bonität jedoch nicht hinreichend belegen, um einen Dispokredit oder ein Darlehen zu bekommen. Zwischen dem Finanzierungsbedarf kleiner Unternehmen und dem Betrag, den Banken bereit sind zu verleihen, klafft eine Lücke von 2 Milliarden Pfund Sterling pro Jahr.

„Die Finanzierungslücke ist enorm“, erklärt Rahman, der mit seinem Unternehmen mehr Menschen den Zugang zu fairen Finanzdienstleistungen ermöglicht und dafür von Queen Elisabeth II. den britischen Verdienstorden „Order of the British Empire“ verliehen bekam.

Die Finanzdienstleistungen von Fair Finance funktionieren vor allem deshalb so gut, weil der Europäische Investitionsfonds (EIF) eine Garantie gestellt hat. Der EIF bietet Risikofinanzierungen für kleine und mittlere Unternehmen und gehört zur Europäischen Investitionsbank-Gruppe. Für seine Tätigkeit hat Fair Finance bei der italienischen Großbank UniCredit ein Darlehen von 1 Million Pfund Sterling aufgenommen. Ein Viertel dieses Darlehens ist durch die Garantie des EIF besichert. Dadurch verringert sich das Verlustrisiko für Fair Finance, sodass der Mikrofinanzierer auch mit Kunden arbeiten kann, die sonst zu unsicher wären.

„Manche unserer Kunden sind bereits in die Fänge von Kredithaien geraten“, so Rahman. „Durch die EIF-Garantie können wir das Risiko eingehen, die finanzielle Lage unserer Kunden wieder in Ordnung zu bringen.“

Der EIF baut sein Programm für Darlehensgarantien weiter aus. Am 19. Oktober unterzeichnete er Garantieverträge mit sechs Mikrokreditgebern in Europa, durch die sie 20 000 kleine Unternehmen mit Krediten von insgesamt 237 Millionen Euro unterstützen können.



Gesellschaftliche Bereicherung für die neue Heimat

Flüchtlinge können durchaus als riskante Geschäftspartner erscheinen. Jeder zweite, der über eine Mikrofinanzierung mit EIF-Garantie sein eigenes Unternehmen starten konnte, war arbeitslos, bevor er seinen Kredit bekam. Sofern sie die notwendigen Mittel erhalten, stellen Flüchtlinge für ihre neue Heimat eine gesellschaftliche Bereicherung dar – sie schaffen Arbeitsplätze und tragen zur kulturellen Vielfalt bei. So auch Vardan Babayan, der die armenische Küche erfolgreich in die toskanische Stadt Florenz gebracht hat, wo Essen sehr ernst genommen wird.

Babayan floh aus Armenien, als es in seiner Heimat zu Unruhen kam. Von Russland gelangte er über die Ukraine nach Österreich und kam 2012 schließlich nach Italien. Die Banken in Florenz wollten ihn nicht unterstützen, und nachdem er ein Jahr arbeitslos war, wandte er sich schließlich an PerMicro, einen Mikrokreditanbieter, der in Turin gegründet wurde und mittlerweile in ganz Italien aktiv ist. Die Filialleiterin Francesca di Giuseppe gab Babayan einen Kredit von 25 000 Euro. Damit eröffnete er sein Restaurant Ararat Le Bracerie, in dem er traditionelle armenische Gerichte anbietet.

„Dadurch konnte ich ein kleines Stück Armenien nach Italien zu bringen und mich zu Hause fühlen“, sagt Babayan. „Das war meine einzige Chance. Einen Plan B hatte ich nicht.“



Königliche Auszeichnung

Flüchtlinge brauchen aber nicht immer nur kleine Kredite. Die schwedische Förderagentur Almi, die kleine Unternehmen berät und finanziert, lieh zwei pakistanischen Brüdern 1,5 Millionen Euro. Die beiden hatten ein Verfahren entwickelt, um aus Reishülsen Holzdielen herzustellen.

Nasir Gill war bereits nach Europa gezogen, um den Export der gemeinsamen Firma Green Plank zu organisieren. Dann kam es 2009 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in Pakistan. Sein Bruder Jamshaid, der in Lahore geblieben war und sich dort um die Produktion kümmerte, verzweifelte immer mehr an der Korruption im Land. Vor allem Angestellte des lokalen Stromversorgers verlangten Schmiergelder von ihm. Anderenfalls würden sie der Firma den Strom abdrehen. Die öffentliche Ordnung ging immer mehr den Bach runter, und als Jamshaid eines Tages mit Waffengewalt ausgeraubt wurde, hatte er die Nase voll.

„Es war ein Albtraum in Pakistan“, sagt Nasir, der nun in Malmö lebt. „Hier werden wir als Menschen und Unternehmer akzeptiert. Dort wurden wir überhaupt nicht akzeptiert.“

„Akzeptiert“ ist der richtige Ausdruck. Am 14. Oktober wurden die beiden Brüdern, die inzwischen die schwedische Aufenthaltserlaubnis haben, als „New Builder of the Year“ ausgezeichnet – von König Carl XVI. Gustaf, der wie kein anderer die schwedische Oberschicht repräsentiert.



Flüchtlingsschicksale verhindern

Mikrofinanzierungen können auch wesentlich dazu beitragen, gebeutelte Regionen zu stabilisieren. Sie tragen dazu bei, Probleme zu beheben, die die Einwohner zur Flucht veranlassen. Die Europäische Investitionsbank hat dem Europäischen Fonds für Südosteuropa (EFSE) – einer Partnerschaft von Geberorganisationen, internationalen Finanzierungsinstitutionen und privaten Investoren – 80 Millionen Euro zugesagt. In den vergangenen zehn Jahren hat der EFSE 650 000 Kredite an kleine Unternehmen in südost- und osteuropäischen Ländern vergeben. Diese Länder sind nicht nur Zwischenstation für Flüchtlinge aus nichteuropäischen Ländern – von dort kommen auch viele EU-Arbeitsmigranten. Mithilfe der Kredite entstanden 500 000 Arbeitsplätze. Dadurch konnte ein ausreichender Wohlstand geschaffen werden, um die Menschen zu veranlassen, in ihren Heimatländern zu bleiben.

„Mikrofinanzierungen spielen eine wichtige Rolle, um Instabilität entgegenzuwirken“, erklärt Per-Erik Eriksson, der beim Europäischen Investitionsfonds in Luxemburg die Abteilung Garantien, Verbriefungen und Mikrofinanzierungen leitet.

Auch Minderheiten können über Mikrofinanzierungen unterstützt werden. Der in Sofia ansässige Mikrofond vergab drei Kredite von insgesamt 6 150 Euro an Anton Topalaw, einen Kleinbauern im Südosten Bulgariens. Topalaw beschäftigt auf seinem Hof fünf Roma und stellt zur Erntezeit weitere Hilfskräfte ein.

Sobald sich die Flüchtlinge, die derzeit auf dem Weg in eine neue Heimat sind, in einem Land legal niedergelassen haben, dürften Mikrokredite ausschlaggebend für ihren wirtschaftlichen Erfolg und somit für ihre Integration sein. „Flüchtlinge bieten in kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine Chance für die Volkswirtschaften in Europa“, sagt Patrick Sapy. Sapy leitet microStart, das Said Al-Obaidi geholfen hatte, seine Laptopwerkstatt in Brüssel zu finanzieren. „Für ihre soziale und finanzielle Integration ist es am besten, sie bei der Unternehmensgründung zu unterstützen.“



Weitere Informationen über den Europäischen Investitionsfonds und seine Mikrofinanzprodukte finden Sie hier.


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