Neuer Bericht zur Frage, wie sich das Potenzial des Privatsektors erschließen lässt und welche Faktoren diese Entwicklung behindern
Der Privatsektor kann im Nahen Osten und in Nordafrika (MENA-Region) wesentlich zu Wachstum und Wohlstand beitragen, sofern wirksame Strategien umgesetzt werden, um in der Region einige schwerwiegende Probleme zu lösen. Zu diesem Fazit kommen drei führende internationale Entwicklungs- und Finanzierungsinstitutionen in einem gemeinsamen Bericht.
In ihrem Bericht mit dem Titel „What’s holding back the private sector in MENA?“ befassen sich die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Weltbankgruppe (WBG) mit der Frage, was den Privatsektor in der MENA-Region behindert. Der Bericht stützt sich auf die Ergebnisse einer Befragung von mehr als 6 000 Unternehmen in acht MENA-Ländern*.
Viele der befragten Unternehmen führten politische Instabilität, Korruption, eine labile Stromversorgung und den unzureichenden Zugang zu Finanzierungsmitteln als Haupthindernisse für ihre Entwicklung an.
Innovation und Wachstum würden auch durch Handelsschranken und zu wenige Fachkräfte gehemmt, so die Umfrageteilnehmer. Vielerorts bestehe keine Verbindung zwischen den Unternehmen und den formellen Finanzierungskanälen, wodurch den Firmen Wachstumschancen entgehen.
Die Verfasser des Berichts kommen zu dem Schluss, dass die Behörden in der Region für Strategien sorgen müssen, die den Unternehmen helfen, ihre Produktivität zu steigern. Gleichzeitig müssten sie sich bei der Ressourcenzuweisung verstärkt auf produktivere Firmen konzentrieren.
Im Bericht werden vier Hauptaktionsbereiche hervorgehoben: Verbesserung des Unternehmensumfelds, Verbesserung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln, Verbesserungen im Bereich Bildung, Beschäftigung und Qualifikation sowie Förderung von Handel, Wettbewerb und Innovation.
Politische Stabilität sei eine Grundvoraussetzung für ein besseres Unternehmensumfeld, heißt es in dem Bericht. In vielen Ländern dürften auch die Bekämpfung der Korruption und eine zuverlässigere Stromversorgung zu den Hauptanliegen zählen.
„Wir müssen erst die Hindernisse und Probleme ermitteln, die den Privatsektor und das Wirtschaftswachstum in der MENA-Region behindern, um uns dann für politische Reformen einsetzen zu können, die für ein günstiges Unternehmensumfeld sorgen. Seit wir uns in der Region engagieren, versuchen wir, mit maßgeschneiderten Programmen und Investitionen in Infrastruktur und Dienstleistungen vor allem die Entwicklung des Privatsektors zu fördern. Auch eine bessere Wettbewerbsfähigkeit ist unerlässlich im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die zu den größten Problemen in der Region gehört und vor allem Frauen und junge Menschen betrifft“, so EBWE-Chefvolkswirt Sergej Gurijew.
Wie aus dem Bericht hervorgeht, ist der Bankensektor in den betreffenden Ländern zwar relativ gut entwickelt. Dennoch schottet sich ein Großteil der Firmen von den formellen Finanzierungskanälen ab – sie beantragen keine Kredite, weil sie nach eigenen Angaben über ausreichende Mittel verfügen. Der Zugang von Unternehmen zu Finanzierungsmitteln könnte verbessert werden, wenn die Banken besser in der Lage wären, ihr Kreditrisiko zu bewerten. Kreditgarantien sind eventuell eine Lösung für das Problem fehlender Sicherheiten. Auch die Einführung von Rechtsvorschriften für besicherte Transaktionen und ein effizienteres Sicherheitenverzeichnis wären hilfreich. Das würde die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen verbessern, ohne die finanzielle Stabilität der Institute zu gefährden.
„Die Firmen in der Region können ihre Wachstumschancen nur nutzen, wenn sie wieder Kredite bei den Banken aufnehmen. Die internationalen Finanzierungsinstitutionen haben die Erfahrung und den Willen, die Strategien der betreffenden Länder zu ergänzen“, erklärte EIB-Chefvolkswirtin Debora Revoltella. „Die Förderung des Privatsektors in der MENA-Region gehört zu den Hauptzielen der neuen Initiative, die die EIB in die Wege geleitet hat, um die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in der Region zu stärken und die MENA-Länder zu unterstützen. Diese Krisenbekämpfungs- und Resilienzinitiative wurde nun von den führenden Vertretern der EU befürwortet, sodass die traditionellen Aktivitäten nun deutlich ausgeweitet werden dürften, um das Wachstum, die Beschäftigung, wichtige Infrastruktur und den sozialen Zusammenhalt zu fördern.“
Laut Bericht besteht noch erheblicher Raum für Verbesserungen im Bereich Bildung, Beschäftigung und Qualifikation. Vor allem die Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen und junge Menschen müssen verbessert werden. Mit strategischen Maßnahmen müssen Verzerrungen abgebaut werden, die Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt versperren. Gleichzeitig müssen junge Menschen gezielter für den Arbeitsmarkt ausgebildet werden. Dazu sind auch Anreize für Unternehmen notwendig, ihr Ausbildungsangebot zu erweitern. Gleichzeitig dürften Maßnahmen, die die Gründung und das Wachstums junger innovativer Firmen fördern, ganz besonders die Beschäftigungschancen junger Menschen verbessern.
„Nur wenn sich die Beschäftigungsmöglichkeiten und unternehmerischen Chancen – vor allem für junge Männer und Frauen – verbessern, wird es möglich sein, die Lebensstandards zu erhöhen und für soziale und politische Stabilität zu sorgen. Unternehmergeist und Beschäftigung erhalten nur dann Auftrieb, wenn eine Neuausrichtung des Bildungssystems in der Region stattfindet. Die Qualifikationen müssen sich an der Berufsausbildung orientieren und den heutigen technologischen Fortschritten entsprechen“, erklärte Kaushik Basu, Chefvolkswirt und Senior Vice President der Weltbank.
Im Hinblick auf Handel, Wettbewerb und Innovation heißt es in dem Bericht, für eine höhere Produktivität der Firmen bedürfe es einer größeren Offenheit im internationalen Handel. Dazu seien wirksamere Zoll- und Handelsbestimmungen erforderlich – sowohl für den Import als auch für den Export. Mehr Wettbewerb ließe sich zudem durch die Abschaffung von Einschränkungen erreichen, die derzeit noch für den Marktein- und -austritt von Unternehmen sowie für Auslandsinvestitionen bestehen.
* Dschibuti, Ägypten, Jordanien, Libanon, Marokko, Tunesien, Westjordanland/Gazastreifen und Jemen (die acht an der Studie beteiligten MENA-Länder).