Das EIB-Forum 2024 erörtert Europas dringlichste Aufgaben für den Übergang zu erneuerbarer Energie und wirtschaftlicher Autonomie
Ein wettbewerbsfähiges Europa braucht mehr Investitionen, vor allem in erneuerbare Energien und innovative saubere Technologien. Und es braucht den politischen Willen für eine bessere Regulierung und einen gerechten Übergang.
Am 7. und 8. Februar erörterten Fachleute aus Politik und Wirtschaft auf dem zweiten Forum der EIB-Gruppe mögliche Lösungen für mehrere Herausforderungen Europas: vom Klimawandel bis zur sicheren Versorgung mit kritischen Ressourcen. Dabei hoben sie immer wieder hervor, wie wichtig ein koordiniertes europäisches Vorgehen ist.
„Partnerschaft ist ein Wort, das Sie auf dem Forum häufiger hören“, sagte Nadia Calviño, Präsidentin der Europäischen Investitionsbank. „Nur im Schulterschluss können wir die Herausforderungen, vor denen wir Europäerinnen und Europäer stehen, erfolgreich meistern.“
Calviño betonte, dass das geeinte europäische Handeln während der Covid-19-Pandemie und der russischen Invasion in die Ukraine die wirtschaftlichen Folgen der Krisen abfedern konnte. Europa reagierte: Es schuf den Europäischen Garantiefonds, arbeitete bei der Beschaffung zusammen, stellte sich der Invasion in die Ukraine geschlossen entgegen und brachte mit dem Grünen Deal und REPowerEU zwei wichtige Klimainitiativen auf den Weg.
„Die Krise war dank unserer koordinierten Reaktion nicht so folgenschwer wie viele erwartet hatten“, so Calviño. „Das ist eine gute Nachricht und eine Lektion für die Zukunft.“
Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit
Die Europäische Union muss sich jetzt in Stellung bringen, um der großen Herausforderung des Klimawandels und seinen geopolitischen und sozialen Auswirkungen zu begegnen. Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für Handel, unterstrich die zentrale Rolle von Investitionen für eine wettbewerbsfähigere und krisenfestere EU.
„Die Sache ist klar: Unser Wettbewerbsmotor muss gewartet werden“, so Dombrovskis. „Wir müssen Schritt halten, wenn andere vorpreschen. Die Frage lautet also: Wie können wir wettbewerbsfähig bleiben?“
Der Schlüssel zu mehr privaten Investitionen liegt in der Vollendung der Kapitalmarktunion – ein Schritt, der nach Ansicht zahlreicher Fachleute rasch vollzogen werden sollte. Dombrovskis: „Die Vertiefung und stärkere Integration der europäischen Kapitalmärkte ist der kosteneffizienteste Weg, um Kapital in langfristige Investitionen zu lenken.“
Mairead McGuinness, EU-Kommissarin für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion, forderte „mehr Tempo, weniger Widerstand, einen starken politischen Willen und eine Zeitleiste“ für die Vollendung und Festigung der Kapitalmarktunion.
EU-Ratspräsident Charles Michel sprach die Einheit Europas an. „Unser Binnenmarkt ist das Rückgrat unseres Wohnstands“, so Michel. „Unsere Unternehmen müssen leichter wachsen.
Dabei kommt der EIB eine sehr wichtige Rolle zu.“
Den Gasmarkt ausbalancieren
Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie, sieht im Übergang zu sauberer Energie einen wichtigen Hebel für mehr Markt- und Versorgungsstabilität.
„Seit Russland seinen ungerechtfertigten Krieg gegen die Ukraine begonnen und einen Großteil seiner Gaslieferungen nach Europa eingestellt hat, konnten wir den Gasmarkt ausbalancieren – hauptsächlich durch Einsparungen, aber im möglichen Rahmen auch durch erneuerbare Energien“, so Simson.
Der Energie-Kommissarin zufolge hat Europa in den letzten beiden Jahren rekordverdächtige 130 Gigawatt Wind- und Solarleistung zugebaut.
Das ist wichtig, wenn Europa auf die „Instrumentalisierung des Handels als Druckmittel“ reagieren will, ohne „eine Abhängigkeit wie die von russischem Gas durch andere Abhängigkeiten zu ersetzen, die die Industrie gefährden könnten“, erklärte Elga Bartsch, Abteilungsleiterin Wirtschaftspolitik im deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. „Die Energieproblematik steht in engem Zusammenhang mit der geopolitischen Zersplitterung.“
Maroš Šefčovič, in der Europäischen Kommission für den Grünen Deal zuständig, plädierte im Hinblick auf die Energiewende für ein „weniger dogmatisches Vorgehen“. „Wir müssen pragmatischer mit unseren Energiequellen und der Frage umgehen, wie wir mit grünen, aber auch mit kohlenstoffarmen Energiequellen und Wasserstoff arbeiten können“, so Šefčovič.
Wettbewerbsfähigkeit und Kohäsion
Mehrere Rednerinnen und Redner unterstrichen den Zusammenhang zwischen Europas Wettbewerbsfähigkeit, dem Klimaschutz und weiteren Stützpfeilern der EU-Politik wie der Kohäsionspolitik, die wirtschaftliche Unterschiede zwischen den EU-Regionen abbauen soll.
„Ohne Zusammenhalt gibt es kein wettbewerbsfähiges Europa“, sagte Themis Christophidou, Generaldirektorin für Regionalpolitik und Stadtentwicklung in der Europäischen Kommission.
Der „gerechte Übergang“ zu sauberer Energie trägt maßgeblich zu diesem Zusammenhalt bei. Er soll sicherstellen, dass keine Region zurückbleibt, wenn Arbeitsplätze in umweltbelastenden Industrien wegfallen. Klimaschutz und gerechter Übergang seien untrennbar miteinander verflochten, betonte Wopke Hoekstra, EU-Kommissar für Klimaschutz: „Das eine gibt es nicht ohne das andere.“
Wenn die Europäische Union derzeitige Beitrittskandidaten als Mitglieder aufnimmt, wird eine koordinierte Krisenreaktion noch schwieriger – und um so wichtiger. Laut Andrés Rodríguez-Pose, Professor für Wirtschaftsgeographie an der London School of Economics, muss die Europäische Union „einfacher und agiler“ werden. „Die Krisen, die wir bisher erlebt haben, zeigen, dass wir flexibler werden müssen.“
Regelungen für Wettbewerbsfähigkeit
Ein starker Binnenmarkt ist für Unternehmen in Zeiten der Energiewende besonders wichtig. Mathias Miedreich, CEO des belgischen Werkstoff- und Recyclingkonzerns Umicore, betrachtet unterschiedliche Regelungen in den Mitgliedstaaten als bedeutendes Hemmnis. Außerdem unterlaufen Bestimmungen, die den Export von Altbatterien innerhalb der EU verbieten, die Vorteile des Binnenmarktes, so Miedreich.
„Nur mit Batterie-Recycling kann die Industrie die CO2-Vorgaben für Elektrofahrzeuge erfüllen“, unterstrich Miedreich. Sein Unternehmen unterzeichnete im Zuge des Forums ein EIB-Darlehen über 350 Millionen Euro für Forschung, Entwicklung und Innovation.
Laut Nicola Kim, Chief Sustainability Officer bei Heidelberg Materials, einem der weltweit größten Betonhersteller, hemmen unterschiedliche Standards und lange Wartezeiten für Genehmigungen in der EU die Verbreitung von emissionssenkenden Technologien im Betonsektor. Dagegen helfen das europäische Emissionshandelssystem und der Carbon Border Adjustment Mechanism (CO2-Grenzausgleichsmechanismus, CBAM) Unternehmen, ihre Dekarbonisierung zu beschleunigen. Das EU-Emissionshandelssystem „hat uns wirklich geholfen, eine langfristige Planung für die Dekarbonisierung zu erstellen“, so Kim. Der CBAM werde ein „zweiter wichtiger Hebel“ sein.
„Lösungen gibt es schon“
Bertrand Piccard, Schweizer Umweltpionier und Vorsitzender der Solar Impulse Foundation, zog eine Linie zwischen den von anderen Teilnehmenden angesprochenen Themen – von der Wettbewerbsfähigkeit über saubere Energie bis zur Geopolitik.
„Wenn wir in Europa wettbewerbsfähig bleiben wollen, brauchen wir billige Energie. Dafür müssen wir auf Erneuerbare setzen, die funktionieren und erprobt sind. Und wir brauchen nicht nur Sonne und Wind, sondern auch Biomasse, Wasserkraft und natürlich Geothermie, um russisches Gas zu ersetzen.“
„Wir müssen über Lösungen sprechen“, so Piccard, „weil es diese Lösungen schon gibt.“