Ein ökonomisches Experiment zeigt, wie bereits eine kleine Änderung der Finanzierungskonditionen ein Unternehmen dazu bringen kann, doppelt so viel zu investieren.
Inwieweit beeinflussen die Finanzierungskonditionen die Investitionen eines Unternehmens? Reagiert ein Unternehmen eher auf niedrige Zinssätze oder auf geringere Besicherungsanforderungen? Und hängt dies von der Art des Unternehmens oder des Investitionsvorhabens ab?
Das sind wichtige strategische Fragen, besonders für die Europäische Investitionsbank, die Investitionen mit hohem sozialen und wirtschaftlichen Nutzen durch einen leichteren Zugang zu Kapital ankurbeln will. Bislang wurde allerdings weder theoretisch noch empirisch erforscht, welche Konditionen Unternehmen zu mehr Investitionen veranlassen.
Um das herauszufinden, führten wir ein Experiment mit 1 126 Unternehmen durch.
Wie sich herausstellte, können sogar kleine Änderungen der Konditionen die Wahrscheinlichkeit von Investitionen verdoppeln. Das sind wertvolle Informationen, vor allem in einer Zeit, in der die Zinssätze niedrig sind und die Geldpolitik an ihre Grenzen zu stoßen scheint.
Hier erfahren Sie, wie es zu dem Experiment kam und was wir herausgefunden haben.
Einfluss der Finanzierungskonditionen kaum erforscht
Die Frage, wie Unternehmen ihr Geschäft und ihre Investitionen finanzieren, wird in der wissenschaftlichen Literatur und in politischen Kreisen schon lange diskutiert. Eines ist klar: Marktwirtschaften brauchen ausreichende und geeignete Finanzierungsquellen, um zu funktionieren.
Führende Theorien zum optimalen Finanzierungsmix sind:
- Die Irrelevanz der Kapitalstruktur nach Modigliani and Miller's (1958)
- die Trade-Off-Theorie von Kraus and Litzenberger (1973)
- Agenturtheorien, z. B. von Jensen and Meckling (1976)
- die Hackordnungstheorie von Myers and Majluf (1984)
Die empirischen Analysen untersuchen überwiegend den Anteil von Fremd- und Eigenkapitalinstrumenten an den Gesamtverbindlichkeiten eines Unternehmens. Unseres Wissens analysiert jedoch kaum eine Studie
- welche Präferenzen Unternehmen bei Fremdkapitalfinanzierungen haben, z. B. in Bezug auf Besicherungsanforderungen, Laufzeit oder Art der Zinssätze
- wie diese Präferenzen die Investitionsentscheidungen tatsächlich beeinflussen
- wie diese Entscheidungen in konkrete Investitionen münden
Wissenslücke bei Finanzierungskonditionen
Diese Wissenslücke ist erstaunlich. Schließlich ist es für uns entscheidend, zu verstehen, wie Unternehmen in ihren jeweiligen Entwicklungsphasen verschiedene Finanzierungsoptionen bewerten und wie die Darlehenskonditionen ihre Investitionsentscheidungen beeinflussen. Besonders wichtig ist dies für
- die ökonomische Modellierung
- die Ausarbeitung von Darlehensangeboten durch private oder Förderbanken (z. B. die Europäische Investitionsbank)
- Zentralbanken, die anhand der Zinssätze (besonders, wenn sich diese Richtung null bewegen) beurteilen müssen, ob ihr geldpolitischer Transmissionskanal funktioniert
Im aktuellen Niedrigzinsumfeld könnten sich aus Sicht der Zentralbanken lange Laufzeiten fast ebenso stark auf die Investitionstätigkeit auswirken wie eine Politik, die noch niedrigere Zinssätze anpeilt.
Finanzierungskonditionen à la carte
Im Zuge der EIB-Investitionsumfrage 2016 werteten wir die Antworten von 1 126 Unternehmen (zu 80 Prozent kleine und mittlere Unternehmen) aus. Etwa ein Drittel von ihnen war im produzierenden Gewerbe tätig, ein weiteres Drittel im Infrastruktursektor, und der Rest verteilte sich relativ gleichmäßig auf den Dienstleistungssektor und das Baugewerbe. Das wollten wir wissen:
- Wir fragten jedes Unternehmen, ob es zurzeit ein bestimmtes Investitionsprojekt plant. Wenn ja, welches? Wir erkundigten uns nach der Projektgröße und wollten wissen, wie viele Fremdmittel es hierfür aufnehmen würde und im Idealfall mit welcher Laufzeit.
- Danach baten wir die Unternehmen, aus je zwei willkürlich zusammengestellten hypothetischen Finanzierungsangeboten zu wählen. Die Angebote unterschieden sich in Betrag und Laufzeit (angelehnt an die von den Unternehmen bevorzugten Werte) sowie in Tilgung, Zinssatz (angelehnt an die durchschnittlichen Sätze der Europäischen Zentralbank), Zinsart, Vorrangigkeit, Besicherungsanforderungen und darin, ob bei vorzeitiger Rückzahlung eine Vorfälligkeitsentschädigung zu leisten wäre.
- Zum Schluss sollten die Unternehmen angeben, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie ihr Investitionsvorhaben auf der Grundlage des von ihnen gewählten Angebots durchführen würden.
Allen Unternehmen wurden acht Bildflächen dieser Art angezeigt:
Konservative oder bessere Bedingungen?
Mit dem Experiment können wir zeigen, wie geänderte Finanzierungsbedingungen die Wahrscheinlichkeit von Investitionen beeinflussen.
Dies wird in der folgenden Tabelle veranschaulicht. Sie zeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass ein französisches produzierendes Unternehmen eine Investition tätigt. Es benötigt einen Kredit von fünf Millionen Euro, idealerweise mit einer Laufzeit von zehn Jahren. Zwei Optionen stehen ihm zur Wahl:
- ein Darlehen mit konservativen Konditionen
- ein Darlehen mit etwas besseren Konditionen, das die Wünsche des Unternehmens hinsichtlich Betrag und Laufzeit berücksichtigt, dessen Zinssatz unter dem marktüblichen Zinssatz für festverzinsliche Darlehen liegt und dessen Besicherungsanforderungen geringer sind
Die Durchführungswahrscheinlichkeit unterschied sich in den beiden Fällen erheblich. Nur jedes zweite Unternehmen wäre bereit, das Investitionsprojekt mithilfe des konservativen Darlehens durchzuführen. Bei dem besseren Angebot waren es vier von fünf.
Wer zieht welche Finanzierungsbedingungen vor?
Den stärksten Einfluss auf die Investitionsbereitschaft von Unternehmen hatten:
- der Zinssatz
- der Darlehensbetrag
- die Besicherungsanforderungen
Wurden die Besicherungsanforderungen z. B. von 100 Prozent auf 50 Prozent zurückgefahren, so stieg die Durchführungswahrscheinlichkeit um 15 Prozentpunkte.
Die Investitionsbereitschaft der Unternehmen hing in unterschiedlichem Maße von den einzelnen Finanzierungsbedingungen ab. Während die Durchführungswahrscheinlichkeit bei großen Unternehmen besonders durch Zinssätze beeinflusst wurde, reagierten kleinere Unternehmen (und hoch verschuldete Unternehmen) eher auf den Rang des angebotenen Darlehens.
Bei Dienstleistungsunternehmen und Unternehmen, die stark in immaterielle Vermögenswerte investieren, war der Darlehensbetrag ausschlaggebend. Produzierende Unternehmen achteten mehr auf feste Zinssätze
Richtwerte für Finanzierungskonditionen
Die Auswirkungen der verschiedenen Darlehenskonditionen auf die Projektdurchführung müssen quantifiziert werden. Nur so erhält man einen wichtigen Richtwert dafür, wie stark externe Finanzierungsmittel die Investitionstätigkeit fördern können. Es wird deutlich festgehalten, wie stark die Projektdurchführung vom Zinssatz – einer wichtigen Variablen bei der Transmission der Geldpolitik – und von anderen Konditionen, z. B. von den Besicherungsanforderungen und der Laufzeit, abhängt.
Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, welche Rolle Finanzierungsmittel bei der Mobilisierung von Investitionen spielen. Sie liefern nützliche neue Einblicke, vor allem für eine Institution wie die EIB, die Unternehmen – auch mit eigenen Produkten – den Zugang zu Kapital erleichtern will. Wir können unsere Maßnahmen dadurch so gestalten, dass sie die Durchführungswahrscheinlichkeit eines Projekts tatsächlich maximieren.