Ein großes Wasserprojekt im Westen Kenias bringt den Bedürftigsten sauberes Wasser und moderne Kläranlagen
„Die Nächste, bitte“, ruft der Verkäufer und winkt das Mädchen aus der Warteschlange zu sich. Die 16-jährige Phoebe Atieno kauft Wasser für ihre Familie. Hastig füllt sie ihre zwei Plastikkanister.
„Das macht 50 Schilling“, sagt der Mann und hält die Hand auf. Atieno bezahlt und macht sich auf den beschwerlichen Heimweg. Zwei volle Wasserkanister zu tragen ist ohnehin schwer, aber Atieno hat auch schon einen langen Schultag hinter sich. Kurz nach 19 Uhr kommt sie endlich zu Hause an – nach einem dreistündigen Fußmarsch.
Atieno lebt in einer Behelfssiedlung in Kisumu, einer großen Hafenstadt am Viktoriasee ganz im Westen Kenias. Dort gehört der tägliche Wassermarsch für Frauen und Kinder zum Alltag. Wasserleitungen gibt es in der Gegend kaum. Viele Bewohnerinnen und Bewohner warten jeden Tag auf die Verkäufer, die mit Tankwagen oder Handkarren ankommen.
Die Europäische Investitionsbank (EIB) will die Versorgung mit Leitungswasser in der Region verbessern. 2020 vergab die EIB einen 35-Millionen-Euro-Kredit für ein 70 Millionen Euro teures Wasser- und Sanitärprojekt in Kisumu. Dank der Arbeiten, die noch andauern, bekommt die Region mehr Wasserleitungen und eine bessere Kanalisation, denn in Kisumu läuft Abwasser häufig noch ungeklärt durch die Gassen. Die Agence Française de Développement unterstützt das Projekt mit 20 Millionen Euro, die Europäische Kommission schießt 5 Millionen Euro zu.
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Spielen ist nicht
Die meisten Menschen in Kisumu, vor allem in den Behelfssiedlungen, verbringen viel Zeit damit, Wasser zu beschaffen. Regelmäßig sauberes und bezahlbares Trinkwasser aufzutreiben ist nicht leicht. Viele, die ohnehin wenig verdienen, geben einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel und Wasser aus. Da bleibt kaum etwas für Ersparnisse und Investitionen in ein besseres Leben.
„Nach der Schule mit meinen Freundinnen spielen? Dafür habe ich keine Zeit“, sagt Atieno. „Ich verbringe einen Großteil des Tages damit, für Wasser Schlange zu stehen und zu Hause zu helfen.“
Es sind aber nicht nur die Armen, die kaum an gutes Wasser kommen. Didi Otieno im wohlhabenden Viertel Milimani Estate geht es genauso.
„In unserem Teil des Viertels gibt es keine Wasserleitungen“, sagt sie. „Ich würde ja dafür bezahlen, aber die Infrastruktur ist einfach nicht da. Ich bestelle jeden Monat zwei Tankwagen, die mir meine private unterirdische Wasserreserve mit 10 000 Litern auffüllen. Von dort aus pumpe ich das Wasser ins gesamte Haus.“
Außerdem hat Otieno eine Klärgrube installieren lassen, denn ihr Haus ist auch nicht an die Kanalisation angeschlossen. Wenn es ein öffentliches Abwassersystem mit Kläranlage gäbe, würden sie und ihre Nachbarn liebend gern dafür bezahlen.
Internationale Hilfe ist entscheidend
Die Verwaltung von Kisumu versucht, Menschen wie Atieno und Otieno zu helfen. Ziel ist es, die gesamte Stadt mit sauberem Trinkwasser aus der Leitung zu versorgen. In den vergangenen Jahren hat sich die Lage schon deutlich verbessert.
Die größten Schwierigkeiten machen alte, marode Pumpen und Wasseraufbereitungsanlagen, die nicht richtig funktionieren. Viele Leitungen sind undicht. Und die Kanalisation reicht nicht aus. Deshalb fließt ungeklärtes Abwasser in den Viktoriasee und verunreinigt damit die wichtigste Wasserquelle der Stadt.
Ohne Gelder der EIB und anderer internationaler Organisationen wären solche Projekte nicht möglich, sagt Chrispine Juma, der frühere Chef der Lake Victoria South Water Works Development Agency. Wegen wenig attraktiver Renditen werde es immer schwerer, Investoren für Kenias Wassersektor zu gewinnen, sagt er.
Wasserschutz am Viktoriasee
Das Kisumu-Projekt hat viel vor: bessere Kläranlagen und Wasserleitungen, eine dritte Aufbereitungsanlage und neue Anschlüsse an die Kanalisation. Damit reduziert das Projekt auch die Verschmutzung des Viktoriasees, Afrikas größtem Süßwassersee.
Die erste Projektphase soll 2024 abgeschlossen werden. Schon jetzt spüren die Menschen die Verbesserungen. Bei der Wasserversorgung ist die Quote von 26 auf 60 Prozent gestiegen. Zum Projektende sollen es 90 Prozent sein. Beim Abwasser waren vorher nur 8 Prozent der Bevölkerung an die Kanalisation angeschlossen. Hier liegt der Zielwert bei 40 Prozent. Dafür werden mehr als 1 700 Abwasseranschlüsse für rund 600 000 Menschen in Kisumu eingerichtet. In den Behelfssiedlungen sollen nach dem Projekt 70 Prozent der Haushalte Zugang zu sauberem Wasser bekommen.
Die EIB ist bei Wasser- und Abwasserprojekten einer der größten Investoren weltweit und unterstützt noch eine ganze Reihe ähnlicher Vorhaben. Vergangenes Jahr stellte die Bank der EU über 33 Milliarden Euro für mehr als 300 Wasserprojekte zur Verfügung.
„Hier in Afrika hat die Bank in den vergangenen zehn Jahren knapp zwei Milliarden Euro an Krediten und Zuschüssen für Wasser- und Abwasserprojekte bereitgestellt“, sagt Wasseringenieurin Caroline Ogutu vom EIB-Büro in Nairobi. „Die Erfahrung aus früheren Projekten in Afrika hat uns geholfen, die technische Hilfe bei diesem Projekt noch einmal weiter zu verbessern.“
Sauberes, vergünstigtes Wasser
Früher hatte Atieno nach der Schule nicht viel Zeit zum Spielen oder Ausruhen. Sie musste schnell mit ihren Hausaufgaben beginnen, und erst gegen 22 Uhr ging sie schlafen. Heute hat sie mehr Zeit für eine normale Kindheit: Sie kann nach der Schule mit Freundinnen spielen, dann in Ruhe ihre Hausaufgaben machen und kommt immer noch beizeiten ins Bett. In ihrer Gegend gibt es inzwischen viele Wasserverkäufer, die größere Mengen zu fairen Preisen anbieten – mit Unterstützung der lokalen Regierung. Und vielerorts kommt das Wasser jetzt auch aus der Leitung.
„Wir bekommen in unserer Gegend jetzt auch subventioniertes sauberes Leitungswasser“, sagt Atieno. „Es ist aufbereitet; wir müssen also keine Angst mehr haben, dass es uns krank macht. Außerdem ist es bezahlbar, wir müssen nicht mehr rationieren. Und obendrein haben meine Mutter und ich jetzt mehr Freizeit.“
Atieno freut sich auf den Abschluss des Projekts, denn dann wird es in ihrer Gegend noch mehr Wasser- und Abwasserleitungen geben – und endlich fließendes Wasser zu Hause. Außerdem muss sie in den engen Gassen ihres Viertels dann nicht mehr ständig durch eine Kloake stapfen.
Breiter Nutzen
Wasserprobleme in den Griff zu bekommen, hat viele Vorteile, sagt Ogutu von der EIB.
„So fördert ein besseres Wassersystem in Kisumu auch das Wirtschaftswachstum“, sagt sie. „Eine sichere Versorgung bedeutet weniger Krankheiten durch Erreger im Wasser und geringere Gesundheitskosten. Und die Menschen verschwenden weniger Lebenszeit in Warteschlangen beim Wasserkaufen, was ja meist an Frauen und Kindern hängen bleibt.“