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2017 baute Thomas von der Ohe autonom fahrende Shuttles im Silicon Valley. Dass fahrerlose Autos spätestens in drei Jahren fest zum Straßenbild gehören würden, galt damals als gesetzt. „Alle sagten: 2020 sind in San Francisco und überall auf der Welt Autos ohne Fahrer unterwegs“, erinnert sich der deutsche Mitgründer und CEO von Vay, einem Start-up für fahrerlose Mobilität. „Dieses Drei-Jahres-Fenster verschob sich Jahr um Jahr – inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen, ohne dass sich etwas Wesentliches getan hätte.“

Aber von der Ohe hatte eine Idee. Wie wäre es, wenn man nicht länger auf das perfekte autonome Fahrzeug wartet, sondern sauberes und effizientes Carsharing mit Telefahrern möglich macht? Er kündigte seinen Job, ging zurück nach Europa und gründete in Berlin mit zwei europäischen Ingenieuren, Fabrizio Scelsi und Bogdan Djukic, das Start-up Vay.

„Wir wollten im Herzen Europas ein globales Deep-Tech-Unternehmen aufbauen“, sagt von der Ohe. „Nicht einfach etwas aus China oder den USA übernehmen und auch keine Aufholjagd mit anderen Unternehmen, sondern etwas ganz Neues schaffen.“



Telefahren: So funktionierts

Eine Kundin bucht über die Vay-App ein Auto, und ein ausgebildeter Telefahrer steuert das Fahrzeug zum gewünschten Standort. Dort übernimmt die Kundin und fährt selbst – wie bei einem normalen Mietwagen. Am Ziel gibt die Kundin das Auto in der App zurück und steigt aus. Eine Telefahrerin parkt das Auto oder bringt es zum nächsten Kunden. Das System bietet nachhaltige Mobilität von Tür zu Tür mit der Besonderheit, dass ein menschlicher Fahrer das Fahrzeug in Echtzeit aus der Ferne steuert.

„Wir sind überzeugt, dass Mensch und Computer künftig zusammenarbeiten werden“, erläutert von der Ohe. „Wir führen autonomes Fahren Schritt für Schritt ein und stellen nicht von heute auf morgen komplett vom Menschen auf die Maschine um. Aus unserer Sicht ist das der richtige Ansatz. Er schafft gesellschaftliche Akzeptanz und ist auch unter technologischen Gesichtspunkten sinnvoll.“

Die Vay-Gründer Fabrizio Scelsi, Thomas von der Ohe und Bogdan Djukic (v.l.n.r.)
Vay

Auf dem Weg nach Europa

Seit Januar 2024 bietet Vay seinen Service kommerziell in Las Vegas an, wo die Vorschriften für fahrerlose Fahrzeuge aktuell weniger strikt sind als in Europa. 20 E-Autos vom Typ Kia Niro wurden mit der Technologie ausgerüstet, und der Service ist in einem Viertel des Stadtgebiets verfügbar. Vay plant, seinen Service in Las Vegas auszubauen und dann den Schritt nach Europa zu machen.

Natürlich kosten die Entwicklung der Technologie und der Ausbau des Service viel Geld. Das Unternehmen konnte aber rasch Kapital einwerben. „Wir haben fantastische Investoren. Unser erstes Pre-Seed-Kapital hatten wir innerhalb von drei Tagen zusammen – immerhin 1,1 Millionen Euro“, erinnert sich von der Ohe. Acht Monate später sammelte das Unternehmen weitere 12,5 Millionen Euro und 2021 noch einmal 95 Millionen Euro ein. „Dabei half natürlich unsere Erfahrung im Silicon Valley“, gibt er zu.

Im September 2024 unterzeichnete die Europäische Investitionsbank einen von InvestEU geförderten Venture-Debt-Kredit über 34 Millionen Euro, damit Vay seinen Service und seine Technologie schneller weiterentwickeln kann.

„Die EIB unterstützt uns mit attraktiven Kreditbedingungen dabei, unsere Technologie voranzubringen“, sagt von der Ohe. „So können wir neue Märkte erschließen, vor allem in Europa.“

Von der Ohe will nach Europa – da passt gut, dass Vay bisher als erstes und einziges Unternehmen ohne Sicherheitsfahrer auf öffentlichen Straßen in Europa unterwegs sein darf. 2023 schickte Vay das erste fahrerlose Auto durch Hamburg.

„Das ist der entscheidende Schritt: Der Fahrer sitzt nicht mehr physisch im Auto“, erläutert von der Ohe. „Selbst in den USA hat das bisher nur Waymo geschafft, und das gehört zu Google, das jedes Jahr Milliarden Dollar in die Technologie steckt.“

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Telefahren: So funktionierts

Aufbau von Partnerschaften

Im Juni 2024 gab Vay eine Partnerschaft mit dem belgischen Carsharing-Unternehmen Poppy bekannt, um auch in Belgien Telefahrten einzuführen.

Außerdem bauen die Berliner B2B-Partnerschaften auf: mit Autoherstellern, Speditionen, ÖPNV-Betreibern, Carsharing-Anbietern und Autovermietern. Zum Beispiel hat Vay eine Vereinbarung mit Peugeot unterzeichnet, um drei Dinge zu entwickeln:

  • einen fahrerlosen Carsharing-Service  
  • Technologie für ferngesteuertes Fahren von Pkw
  • Technologie für ferngesteuertes Fahren von Lieferwagen

Vay will seine ferngesteuerten Fahrzeuge in die Flotte von Free2Move integrieren. Das Carsharing-Unternehmen von Peugeot ist eines der größten in Europa.

Durch die Installation der Vay-Technologie in Privatwagen und Carsharing-Flotten können Kunden den Service „on demand“ nutzen. „Sie haben auf einer Feier etwas getrunken? Eine Telefahrerin kann Sie im eigenen Auto nach Hause bringen. Sie kann Ihnen als ‚Valet on demand‘ auch das Parken abnehmen oder sich sozusagen in Ihr Auto beamen, um für Sie zu parken. Sie bringt Ihr Auto auch für Sie zum Aufladen oder zum Reifenwechsel“, zeigt von der Ohe die Möglichkeiten auf.



Als Drittes wollen Vay und Peugeot die Technologie von Vay in Lkw und Lieferwagen einbauen, um die Lieferung auf der letzten Meile durch Telefahren effizienter zu machen.

„In der Logistik sind noch viele weitere Nutzungsmöglichkeiten denkbar“, meint Khalid Naqib, der als Senior Investment Officer Cleantech bei der EIB für das Investment zuständig ist. „Zum Beispiel müssten Lkw-Fahrer nicht mehr tagelang unterwegs sein, sondern könnten ihr Fahrzeug in einer wohnortnahen Zentrale aus der Ferne steuern.“

Alternative zum eigenen Auto

Für die EIB ist die Technologie von Vay attraktiv, weil sie unter anderem den Verkehr effizienter gestalten und dekarbonisieren will, um die Luftqualität zu verbessern. Dazu investiert sie weltweit in nachhaltige öffentliche Verkehrssysteme und andere Lösungen, wie Carsharing mit E-Fahrzeugen.

„Es geht um eine Alternative zum eigenen Auto“, sagt Stephane Petti, Senior Engineer für technologiegestützte Mobilität bei der EIB. „Für uns ist bei diesem Unternehmen vor allem der Shared-Mobility-Ansatz spannend. Wir haben schon viele Carsharing-Systeme finanziert, weil dadurch die Standzeit sinkt: Ein privater Pkw rollt nur drei bis vier Prozent der Zeit auf der Straße. Wirtschaftlich gesehen ist das kompletter Unfug. Und trotzdem haben wir alle ein Auto.“

„Durch Shared Mobility wird die Energie, die zur Produktion eines Autos benötigt wird, viel besser genutzt“, erklärt Petti, „weil viel mehr Menschen das Auto fahren.“

Aber klassische Carsharing-Angebote haben einige Nachteile. Wenn das Auto nicht gefahren wird, muss es irgendwo geparkt werden, Vandalismus ist ein weiteres Problem. Außerdem müssen Kunden erst einmal ein Auto in der Nähe finden, es abholen, später am Zielort einen freien Parkplatz suchen und es wieder aufladen. Vay bietet dafür eine Lösung.

Die Telefahrerinnen und -fahrer von Vay sind vollständig in das Fahrerlebnis eingebunden. Kamerasensoren übertragen das Umfeld des Autos auf die Bildschirme in der Telefahrstation. Geräusche des Straßenverkehrs wie Sirenen von Krankenwagen und andere Warnsignale werden per Mikrofon an die Kopfhörer der Fahrerinnen und Fahrer übertragen. Außerdem werden die Telefahrer sorgfältig ausgebildet und evaluiert, bevor sie zum kommerziellen Service zugelassen werden.

Eine Vay-Fahrerin steuert ein Auto
Vay

Wie wichtig ist die Technologie?

„Die Technologie ist außerordentlich wichtig“, erklärt Petti. „Es reicht nicht, eine ‚Kamera ins Auto packen und sich hinter ein Xbox-Lenkrad zu setzen‘. Das ist erheblich komplizierter – das ist ausgefeilte Robotik-Technologie. Je autonomer das Auto fahren kann, desto geringer wird die kognitive Belastung für den Menschen und desto größer wird die Zahl der Autos, die von einem Fahrer gesteuert werden können“, so Petti.

Langfristig soll ein Fahrer mehrere Autos gleichzeitig lenken können. Wenn zum Beispiel ein von der Telefahrerin ferngesteuertes Auto außerorts auf einer geraden Straße fährt, könnte wie bei einem selbstfahrenden Auto vorübergehend der Autopilot übernehmen. In der Zeit kann die Telefahrerin ein anderes Auto einparken.

Die Gründer von Vay machen sich keine Sorgen, dass ihnen vollständig autonom fahrende Autos den Markt wegnehmen könnten.

„Wenn Robotaxis kommen, wird der Preis auf absehbare Zeit ähnlich hoch sein wie bei normalen Taxis oder Ride-Hailing-Anbietern – vielleicht zehn Prozent billiger“, sagt von der Ohe. „Unser Service kostet dagegen nur halb so viel, weil unsere Kundinnen und Kunden das Auto selbst fahren. Außerdem sind längere Fahrten von zwei oder drei Stunden möglich.“