Nadia Calviño, Präsidentin der Europäischen Investitionsbank, sprach bei einem Politikdialog, zu dem das European Policy Centre und das Real Instituto Elcano am 7. Juni 2024 nach Brüssel geladen hatten.


 

>@Matthieu Miller/EIB

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freunde und Freundinnen, meine Damen und Herren,

ein herzliches Willkommen auch von meiner Seite. Danke, dass Sie alle gekommen sind – ich freue mich über die Gelegenheit, zum European Policy Centre und dem Elcano zurückzukehren. Es war recht schwierig, ein Datum zu finden, an dem wir alle hier sein können. So hat es sich ergeben, dass wir uns gerade jetzt treffen, wo so viele Bürgerinnen und Bürger wählen gehen. In manchen Ländern hat die Wahl schon begonnen, in den meisten steht sie am Wochenende an. Ich kann also nur sagen, dass wir das bestmögliche Datum für diese Gespräche gefunden haben. Gratulation an EPC und Elcano zu ihrer Punktlandung mit Themen, die hochaktuell sind.

So wie wir kommen auch die Menschen, die bei der Europawahl ihre Stimme abgeben, aus verschiedenen Ländern. Sie haben verschiedene politische Überzeugungen und Visionen und verschiedene Sorgen.

Ich bin aber fest überzeugt, dass diese Vielfalt kein Zeichen der Schwäche ist, sondern tatsächlich eine der großen Stärken unserer Europäischen Union. Und egal wie die Wahlen ausgehen: Am Montag packen wir mit Einheit, Entschlossenheit und Solidarität unsere Zukunft an. Diese drei Prinzipien haben unsere Entscheidungen in den letzten Jahren und über die Jahrzehnte hinweg geleitet. Und ich denke, sie haben sich als das Fundament unserer Widerstandskraft erwiesen.

Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir uns alle auf die grundlegenden Herausforderungen und Prioritäten einigen. Und wenn wir diesen Prinzipien folgen, können wir diese Herausforderungen auch erfolgreich meistern. Wie gesagt, ich bin ziemlich überzeugt, dass wir uns alle auf die grundlegenden Herausforderungen einigen, auf die Diagnose. Ich meine, all die Veranstaltungen von Denkfabriken, an denen Sie teilnehmen, und all die Analysen, die erstellt werden, kommen weitgehend zur gleichen Diagnose. Die vergangenen fünf Jahre seit der letzten Europawahl waren gewiss schwierig: mit der Pandemie, geopolitischen Spannungen, dem Anstieg der Energiepreise und der Inflation, der technologischen Revolution – von Elektroautos bis zu künstlicher Intelligenz – und den immer heftigeren Folgen des Klimawandels.

Ich bin sicher, die meisten europäischen Bürgerinnen und Bürger können dem zustimmen, was wir mit unserer Reaktion darauf erreichen wollen:

  • Wir alle wollen Europas Wohlstand sichern – dafür sorgen, dass unsere Volkswirtschaften produktiv, wettbewerbsfähig und innovativ bleiben.
  • Wir alle wollen gute Jobs und eine hochwertige Versorgung, von Gesundheit über Bildung bis hin zu Wohnraum. Darauf fußt unsere europäische Lebensweise. Die Bürgerinnen und Bürger wollen die europäische Lebensweise bewahren.
  • Ich denke, wir sind uns auch fast alle einig, dass wir ein sichereres Europa und einen lebenswerten Planeten wollen, für uns selbst und für unsere Kinder. Nur so können wir unsere Ernährung und landwirtschaftliche Produktion sichern, unsere Infrastruktur schützen und eine bessere Zukunft bauen. Auch darauf fußt unsere europäische Lebensweise.

Natürlich haben die verschiedenen Parteien und Kandidaten, die uns in den europäischen Institutionen vertreten wollen, unterschiedliche Ansichten darüber, wie diese Ziele zu erreichen sind. Das ist doch das Wesen der Demokratie. Meinungsverschiedenheiten müssen nicht zur Spaltung führen. 

Mein Vertrauen in den weiteren Weg und darauf, dass wir weiter geeint unsere Zukunft gemeinsam gestalten, gründet auf zweierlei:

Erstens, Meinungen gehen auseinander, aber die Fakten ändern sich nicht. Und wenn wir eines in den fünf Jahren seit der letzten Europawahl gelernt haben, dann dies: Einheit zahlt sich aus.

Einheit zahlte sich aus, als wir gemeinsam die Entwicklung, Beschaffung und Verteilung lebensrettender Impfstoffe finanzierten. Damit boten wir Lösungen und sorgten dafür, dass Europa sich erholte. An der Stelle nur eine kurze Werbung für die EIB: Wir haben die Forschung von BioNTech finanziert, auf deren Grundlage der Impfstoff entwickelt wurde. Die Europäische Investitionsbank war da mit im Spiel.

Einheit zahlte sich aus, als wir unsere Ressourcen bündelten, um mit gemeinsamen Instrumenten die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern. Etwa mit der Aufbau- und Resilienzfazilität, die eine solide Grundlage für den Wiederaufschwung bildete. Sie schob Investitionen an und verhinderte eine Investitionslücke wie nach der Weltfinanzkrise 2008. Sie brachte EU-weit Investitionen und Reformen auf den Weg, und auch die grüne und digitale Wende – für einen Wiederaufbau zum Besseren.

Einheit zahlte sich aus, als wir angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine Entschlossenheit zeigten. So bewahrten wir unsere Volkswirtschaften vor Stromausfällen und verhinderten die Worst-Case-Szenarien, mit denen die meisten Analysten rechneten. Wissen Sie, rückblickend ist leicht zu erkennen, dass wir das Richtige taten. Dass wir die richtigen Maßnahmen ergriffen und so die Worst-Case-Szenarien verhindert haben. Aber Sie erleben es, und ich erlebe es tagtäglich, wie so viele Menschen die Worst-Case-Szenarien für unvermeidbar halten, für gewiss. Auch das haben wir dank unserer gemeinsamen Instrumente geschafft, wie dem REPowerEU-Plan. Natürlich hat die Europäische Investitionsbank eine sehr wichtige Rolle bei diesen Lösungen gespielt und in diesen kritischen Phasen die europäischen Ziele und die europäische Wirtschaft unterstützt – das versteht sich von selbst.

Unser EIB-Investitionsbericht zeigt, dass europäische Unternehmen nach wie vor eine bemerkenswerte Resilienz gegenüber sich überlappenden Krisen und Herausforderungen zeigen. Und das ist genau diesen gut konzipierten, gut abgestimmten und gut umgesetzten gemeinsamen europäischen Instrumenten zu verdanken.

Durch diese turbulenten Jahre hindurch hat die Europäische Investitionsbank-Gruppe gezeigt, dass sie ein mächtiges gemeinsames Instrument ist, um Europas Kernziele zu erreichen. Jeden Tag, auch jetzt gerade, setzen wir Europas Kapital wirksam ein, für Innovation, Produktivität, Sicherheit und strategische Autonomie. Seit meinem Antritt bei der Bank habe ich gesehen, wie wir die fast emissionsfreie Herstellung von Stahl hier in Europa, in Schweden fördern. In Italien finanzieren wir den Bau von Europas größter Fabrik für Solarmodule. In Polen den Einsatz von Dual-Use-Satelliten für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Wir helfen Spanien, seine Position als „Land der Erneuerbaren“ zu festigen. Um nur einige wenige zu nennen. In Bulgarien stärken wir die Landwirtschaft und kleinere Unternehmen, ebenso in Rumänien. Quer durch Europa, von der Iberischen Halbinsel bis zum Baltikum und vom Mittelmeer bis zur Nordsee, bringen wir neue Anlagen für erneuerbare Energie an den Start und modernisieren Stromnetze und grenzüberschreitende Leitungen.

Deshalb beruht der zweite Grund für meine Zuversicht auf meiner eigenen Erfahrung in der Regierung und jetzt seit sechs Monaten an der Spitze der Europäischen Investitionsbank.

Unsere Anteilseigner, die 27 EU-Länder mit unterschiedlichen Positionen im politischen Spektrum, sind sich allesamt einig, dass Projekte wie die eben genannten spürbare Verbesserungen für unsere Menschen, Unternehmen und für Europas Zukunft bringen. Sie stimmen auch zu, dass die Europäische Investitionsbank eine Schlüsselrolle spielen sollte – eine strategische Rolle, wenn es darum geht, Wachstum, Wohlstand, technologischen und sozialen Fortschritt in den einzelnen Mitgliedstaaten, EU- und weltweit zu fördern.

Darin sind wir uns nicht nur für die Vergangenheit und die Gegenwart einig. Auf meiner Tour durch die Hauptstädte habe ich vielmehr gesehen, dass unsere Anteilseigner die klare Liste strategischer Prioritäten begrüßen, an der sich die Europäische Investitionsbank-Gruppe künftig orientieren sollte. Ich rechne damit, dass unsere Anteilseigner diesen Strategie-Fahrplan in der Sitzung am 21. Juni genehmigen, also noch in diesem Monat.

Über den Dialog sind wir zum Konsens gelangt, und künftig fokussieren wir unsere Instrumente und Ressourcen auf die nachfolgenden acht Bereiche. Sie bilden im Strategie-Fahrplan den Mehrwert, die Stärken der EIB und auch die Prioritäten ab, die die verschiedenen Ministerinnen und Regierungschefs mir in den letzten sechs Monaten genannt haben.

Erstens werden wir die Position der EIB als Klimabank festigen. Wir wollen im kritischen Jahrzehnt bis 2030 grüne Investitionen von einer Billion Euro anstoßen, an diesem Ziel halten wir fest. Wir werden weiter mindestens die Hälfte unserer Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit lenken. Da bringen wir einen klaren Mehrwert, und Europa hat auch keine andere Wahl, als voranzuschreiten und das zu einem großen Erfolg zu machen.

Zweitens werden wir Europas Digitalisierung und technologische Innovation beschleunigen, mit neuen Finanzierungsinstrumenten für mehr Investitionen in Chips, künstliche Intelligenz, Life Sciences, neue Werkstoffe, kritische Rohstoffe und mehr.

Drittens legen wir bereits bei der Unterstützung für die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu. Dazu haben wir unseren Rechtsrahmen und die internen Prozesse angepasst. Mit einem One-Stop-Shop als zentraler Anlaufstelle wollen wir Finanzierungen beschleunigen und Europas Frieden und Sicherheit stärken, im Rahmen unserer Finanzierungskapazität natürlich.

Viertens bleiben wir ein finanzkräftiger Geldgeber für Kohäsionsregionen. Schon heute fließt fast die Hälfte der EIB-Finanzierungen in Kohäsions- und Übergangsregionen. Wir stehen absolut hinter der Konvergenz der Lebensstandards und unterstützen diese Regionen, die mehr als alles andere Europas Hilfe brauchen.

Darüber hinaus bieten wir auch innovative Finanzierungslösungen für die Landwirtschaft und die Bioökonomie. Europas Bäuerinnen und Bauern können auf die Europäische Union zählen. Sie können darauf zählen, dass die Europäische Investitionsbank sie bei der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung und -autonomie unterstützt und dabei begleitet, effizienter zu werden und die grüne Wende zu einem Erfolg zu machen.

Eine weitere Priorität ist soziale Infastruktur, etwa für Gesundheit, Bildung und bezahlbaren Wohnraum. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre, von der Pandemie bis zur Lebenskostenkrise in fast allen Mitgliedstaaten, haben gezeigt, dass diese Sektoren viel mehr Investitionen und passgenaue Unterstützung benötigen.

Und schließlich werden sich unsere Investitionsprioritäten außerhalb der EU nach der Wirkung richten. Letztes Jahr investierten wir rund 88 Milliarden Euro, zehn Prozent davon – etwa 8 Milliarden Euro – außerhalb der EU. Ich sage das, weil viele vielleicht nicht wissen, dass wir auch ein stolzes und wichtiges Mitglied der internationalen Familie multilateraler Entwicklungsbanken sind. Jetzt im Moment müssen wir natürlich mit der Ukraine anfangen. Nächste Woche bin ich auf der Konferenz in Berlin, um einige Vereinbarungen zu unterzeichnen und die Projekte vor Ort schneller an den Start zu bringen. Natürlich wird der Erweiterungsprozess eine Top-Priorität für die nächste Kommission und das nächste Parlament sein. Nachbarländer, östliche und südliche Nachbarschaft, Afrika, unser Nachbarkontinent, und Global-Gateway-Projekte und strategische Allianzen rund um die Welt, auch um sicherzustellen, dass Europa eine starke Stimme hat in dieser „schönen neuen Welt“, die gerade entsteht.

Und nicht zuletzt werden wir auch die Vertiefung der Kapitalmarktunion vorantreiben – aufbauend auf unseren Stärken und mit den Ressourcen, dem Know-how und der privilegierten Position der Europäischen Investitionsbank an den Kapitalmärkten.

Wir haben eine Bilanzsumme von 600 Milliarden Euro, ein sehr robustes Portfolio, sehr wenige notleidende Kredite, Anleiheemissionen mit dem Siegel Europas und ein AAA-Rating. Manchmal sage ich zum Spaß – nur halb zum Spaß – wir haben ein AAA, weil es kein besseres gibt. Jedenfalls haben wir ein sehr starkes, sehr solides AAA-Rating. Ich denke, die Europäische Investitionsbank ist selbst ein Instrument der Kapitalmarktunion. Sie bringt Akteure zusammen, baut EU-weit vor Ort die Brücke zwischen öffentlich und privat, zwischen sparen und investieren und sichert dabei faire Wettbewerbsbedingungen für europäische Unternehmen. Jetzt müssen wir den Weg bereiten für eine tiefere und breitere Kapitalmarktunion und dazu öffentliche und private Akteure auf europäischer und nationaler Ebene an einen Tisch bringen.

Ich glaube, diese acht Prioritäten enthalten die Kernelemente, die die Politikgestaltung in der nächsten Legislaturperiode prägen werden. Und ich bin überzeugt, dass wir auch nach diesen Wahlen einen Konsens finden, um auf Kurs zu bleiben. 

Ich freue mich wirklich darauf, gemeinsam mit unseren Partnern und Stakeholdern diese Prioritäten anzupacken, für Europas Ziele.

Denn für mich haben die fünf turbulenten Jahre seit der letzten Europawahl gezeigt: Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa. Um die Europäische Union als privilegierten Raum der Sicherheit, der Stabilität und des Wohlstands zu schützen, als Leuchtturm für den Rest der Welt. Um für unsere Gemeinwesen zu sorgen und unseren jungen und innovativen Unternehmen nach oben zu helfen. Weil wir vor gemeinsamen Herausforderungen stehen und sie solidarisch am besten meistern können.

Wie ich eingangs sagte: Einheit zahlt sich aus! Vielen Dank! Und denken Sie daran: Nutzen Sie Ihre Stimme!