EIB-Präsidentin Nadia Calviño war Gastrednerin beim Forum Europa zum Thema „Ideas to Strengthen the Union“. Das Event war Teil einer Veranstaltungsreihe, bei der sich die Spitzen der europäischen Institutionen zur Zukunft Europas äußern.
Begrüßt wurde Nadia Calviño von Margaritis Schinas, Vizepräsident der Europäischen Kommission für die Förderung der europäischen Lebensweise.
Meine Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, erneut mit dem Nueva Economia Forum zusammenzuarbeiten und heute auf dem Forum Europa zu sprechen. Und natürlich freue ich mich besonders, dass Vizepräsident Margaritis Schinas heute mit mir hier ist.
Lieber Margaritis, wir haben in diesen Mäandern der europäischen Politik, von denen Du gesprochen hast, in der Tat schon eine Reihe schwieriger und interessanter Situationen erlebt. Und ich denke sagen zu können, dass wir in den turbulenten vergangenen Jahren alle eine wichtige Lektion gelernt haben: Gemeinsam sind wir stärker. Wenn wir in Europa alle an einem Strang ziehen, können wir die heutigen und auch alle künftigen Herausforderungen meistern.
Das dürfen wir nicht vergessen, vor allem im Vorfeld der Europawahl. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist, und erklären, was die EU für die Sicherheit, das Wohlergehen und den Wohlstand der Menschen und Unternehmen in allen Mitgliedstaaten bedeutet.
Ich will ja nicht spoilern, aber es dürfte Sie nicht überraschen, dass dies das Leitmotiv meines heutigen Vortrags ist. Es dürfte niemanden überraschen. Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, dass Margaritis die einleitenden Worte spricht. Denn es geht hier nicht um einen bestimmten Ansatz oder eine bestimmte Ideologie. Wie Sie alle wissen, bin ich ein Mensch, der an Fortschritt glaubt. Und ich bin Feministin. In allererster Linie bin ich aber Pro-Europäerin.
Und es ist mir eine Freude, aus aktuellem Anlass und in meiner neuen Funktion als Präsidentin der Europäischen Investitionsbank-Gruppe meine Sicht auf die Themen unserer Zeit darzulegen.
Ich werde zunächst auf die Lage in der Welt eingehen, dann auf Europa und zuletzt auf die wichtigsten strategischen Top-Prioritäten der EIB-Gruppe.
1. Die EIB auf der Weltbühne
Beginnen wir mit dem Zustand der Welt. Letzten Monat kamen wir auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank zu einem frappierenden Fazit: Die wirtschaftliche Lage ist besser, die geopolitische Lage schlechter als erwartet.
Zentralbanken, Finanzministerien und das globale Sicherheitsnetz haben den Drahtseilakt offenbar geschafft: Sie konnten die Inflation drosseln und gleichzeitig das weltweite Wachstum am Laufen halten ... Aber wie wir alle täglich sehen, gibt es immer mehr Handelsspannungen und offene Konflikte, die furchtbare Auswirkungen auf die Weltlage haben.
Darin zeigt sich, dass sich die tektonischen Platten der Weltordnung verschieben. Eine Weltordnung, die uns allen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehr gut gedient hat und natürlich auch ein Katalysator für den Fortschritt in Europa war.
Nun entsteht eine neue Weltordnung, die durch unsere heutigen Entscheidungen geprägt wird.
Als stolzes Mitglied des Netzwerks der multilateralen Entwicklungsbanken kann die EIB zu den Zielen Europas beitragen. Und zu einer besseren Welt.
Eine meiner Prioritäten in den ersten vier Monaten nach meinem Amtsantritt war es, die Zusammenarbeit zu vertiefen – zunächst einmal mit der Europäischen Kommission und dann auch mit multilateralen Institutionen, um unsere Aktivitäten zu verstärken und vor Ort mehr zu bewirken.
Das bedeutet, dass wir bei der Unterstützung der Ukraine sehr eng mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung kooperieren und bei Projekten vor Ort mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Gemeinsam mit der Weltbank legen wir Indikatoren fest, mit denen öffentliche und private Investoren das Risiko eines Investments leichter einschätzen können. Wir arbeiten mit der Weltgesundheitsorganisation und privaten Stiftungen zusammen, um die Kinderlähmung weltweit auszurotten oder die Impfstoffproduktion in Afrika zu ermöglichen. Diese Projekte sind absolute Game Changer und erfordern eine enge Zusammenarbeit mit anderen multilateralen Institutionen.
Diese Beispiele sind mir wichtig. Denn in der heutigen Zeit, in der alle über Sicherheit und Verteidigung sprechen und sich der Diskurs deutlich verschiebt, sollten wir nicht vergessen, dass Europa eine Kraft des Guten in der Welt ist. Das müssen wir schätzen!
Wir müssen den Nord-Süd-Dialog fördern. Wir müssen weiterhin ein Leuchtturm des Friedens, des Wohlstands, der Menschenrechte und des Schutzes von Minderheiten sein ... Denn genau das trägt zu Sicherheit, Wohlergehen und Wohlstand in der EU bei. Und wir müssen unseren Worten Taten folgen lassen. Deshalb wird sich die EIB ganz sicher weiter dafür einsetzen, dass Europa in der Welt als eine Kraft des Guten wahrgenommen wird.
2. Die EIB in Europa
Damit komme ich zum zweiten Teil meiner Ausführungen: Europa.
Wenn man bedenkt, was wir in letzter Zeit durchgemacht haben und immer noch durchmachen – eine Pandemie, Krieg, Inflation ... – dann haben wir, denke ich, wirklich allen Grund stolz zu sein.
Europa hat auf diese Herausforderungen effizient und wirksam reagiert und dabei drei Grundsätze befolgt: Einheit, Entschlossenheit und Solidarität.
Ein wichtiges Beispiel, aus dem wir klare Lehren ziehen können, ist Europas Reaktion auf die Pandemie: Die Europäische Zentralbank stellte Liquidität bereit, die Kommission kofinanzierte staatliche Kurzarbeitsmodelle, um Jobs zu erhalten und Unternehmen zu schützen, und die EIB ergänzte staatliche Garantien, um kleine und mittlere Unternehmen EU-weit zu unterstützen ... Und dann brachte die Aufbau- und Resilienzfazilität ein massives Investitions- und Reformprogramm auf den Weg, um uns in Bezug auf Investitionen vor einem verlorenen Jahrzehnt zu bewahren, mit dem nach der Finanzkrise von 2008 so viele Länder zu kämpfen hatten.
Dieser gut koordinierten Reaktion ist es zu verdanken, dass Europa sich seit 2021 stark erholt hat und Wirtschaft und Arbeitsmarkt trotz aller Herausforderungen und Spannungen um uns herum heute so widerstandsfähig sind.
Laut jährlichem Investitionsbericht der EIB wurde schätzungsweise die Hälfte des erwarteten Anstiegs der öffentlichen Investitionen zwischen 2019 und 2025 aus der Aufbau- und Resilienzfazilität finanziert. Das vermittelt uns eine Vorstellung davon, wie wichtig es war, schnell und agil zu reagieren – mit Einheit, Entschlossenheit und Solidarität.
Die Europäische Investitionsbank fungiert dabei natürlich als wichtiger Partner: Der paneuropäische Garantiefonds ist ein voller Erfolg, auch dank der vielen Mitgliedstaaten, mit denen wir bei Finanzierungen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität zusammenarbeiten, darunter übrigens auch Spanien. Ich hoffe, dass wir in den kommenden Wochen bereits den neuen Resilienzfonds einrichten und starten können, um strategische Investitionen von spanischen Regionen zu unterstützen. Und natürlich wollen wir auch bei der Umsetzung von Mandaten und Garantien aus dem EU-Haushalt eine zentrale Rolle spielen.
Solche Maßnahmen sind unerlässlich, damit Europas Stimme in der neuen Weltordnung gehört wird.
Technologische Innovation und Führerschaft gehören zweifellos zu den wichtigsten Triebfedern im geopolitischen Kontext. Die EU verfügt über eine solide Basis, auf der sie aufbauen kann. Die EU ist eine Welthandelsmacht. Die EU ist Technologieführer in den Bereichen Cleantech und Gesundheit. Und diese Position müssen wir auch in Zukunft behaupten.
Die grüne Wende ist nicht nur etwas, das wir vielleicht einmal für künftige Generationen in Erwägung ziehen sollten. Sie hat bereits heute oberste Priorität für Europas Wettbewerbsfähigkeit, strategische Autonomie und Sicherheit. Sauberere und günstigere Energiequellen machen Europa wettbewerbsfähiger. Deshalb müssen wir von fossilen Brennstoffen wegkommen und unsere Führungsrolle bei der grünen Wende bewahren.
Wir müssen den am stärksten betroffenen Sektoren und Regionen unter die Arme greifen. Wir müssen in innovative Technologien investieren, die den Übergang zu Netto-Null ermöglichen. Und wir müssen die Methoden, die wir bereits haben, skalieren, damit die grüne Wende bezahlbar und ein europäischer Erfolg wird. Wir müssen auch die Digitalisierung unserer Volkswirtschaften unterstützen, und zwar in einer Weise, die unsere liberale Wirtschaftsordnung und Demokratie bewahrt und der europäischen Lebensweise gerecht wird, für die sich Margaritis einsetzt. Und das muss sich in einer starken, geeinten Gesellschaft, einer besseren Gesundheit, einer besseren Bildung und einer besseren sozialen Infrastruktur niederschlagen.
Im Vorfeld der Europawahl ist es umso wichtiger, eine Antwort auf die Frage zu geben: Was hat Europa für uns getan? Was tut Europa für mich?
Die Europäische Investitionsbank-Gruppe kann viele konkrete Projekte nennen, die nur mit Unterstützung und Mitteln der EU verwirklicht werden können.
Gemeinsam mit der Kommission tun wir eine ganze Menge:
- In Deutschland treiben wir die Entwicklung von Lithium-Alternativen für den Antrieb von Elektrofahrzeugen voran.
- In Schweden – und damit außerhalb Chinas – bauen wir eine kreislauforientierte Gigafabrik für Batterien und fördern eine fast emissionsfreie Stahlproduktion.
- In Polen finanzieren wir eine Technologie zur Brustkrebserkennung.
- In Belgien unterstützen wir innovative Knochentherapien.
- In Frankreich eine Chipfabrik.
- Die EIB trägt dazu bei, Spanien als „Land der erneuerbaren Energien“ zu positionieren.
- In Italien finanzieren wir die größte europäische Fabrik für Solarmodule.
- Und wir entwickeln innovative Finanzierungen, um innovative Start-ups voranzubringen und europäische Einhörner aufzubauen.
Ich bin sehr stolz, an der Spitze dieser Institution zu stehen, weil sie wirklich in Projekte investiert, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger und die Zukunft der europäischen Unternehmen verbessern, und damit europäische Ideen, Träume, Erwartungen und Ziele mit konkreten Projekten vor Ort umsetzt.
Ich bin überzeugt, dass die EIB-Gruppe bereits jetzt in die bahnbrechenden Technologien investiert, die dafür sorgen, dass wir in Zukunft weiter stark wachsen und eine nachhaltigere Wirtschaft haben. Genau wie die EIB-Gruppe auch die Forschung finanziert hat, die die Entwicklung des Covid-Impfstoffs hier in Europa ermöglicht hat.
Lassen Sie mich zuletzt noch auf unsere Top-Prioritäten für die Zukunft eingehen.
3. Der Strategie-Fahrplan der EIB
Seit meinem Amtsantritt als Präsidentin der Europäischen Investitionsbank stehe ich in einem intensiven Dialog mit unseren Anteilseignern, den EU-Mitgliedstaaten, und anderen wichtigen Stakeholdern, um unsere Prioritäten zu klären.
Kürzlich habe ich den Taoiseach, den irischen Premierminister, in Irland getroffen. In den kommenden Wochen werde ich Präsident Macron und die Premierminister Tusk und Montenegro in Polen und Portugal treffen.
Bei all diesen Treffen höre ich die Aufforderung an die Europäische Investitionsbank, privates Kapital zu mobilisieren – also ihrer wichtigen Katalysatorrolle, die Du, Margaritis, gerade erwähnt hast, gerecht zu werden – und öffentliche Investitionen zu unterstützen. Und ich sehe auch, dass die Projekte, die wir in der Gruppe umsetzen, sehr genau den Prioritäten der Regierungen entsprechen.
Was müssen wir also in Zukunft tun? Wir müssen unsere Stärken nutzen: eine Bilanzsumme von 600 Milliarden Euro, ein sehr solides AAA-Rating, das sich auf ein sehr solides Portfolio stützt, beispielloses technisches Know-how und eine Erfolgsbilanz bei Investitionen in wichtige Infrastruktur, Klima und Innovation, die ihresgleichen sucht. Unsere Fähigkeit, Kapital zu mobilisieren und die Mandate aus dem EU-Haushalt zu nutzen, um unsere gemeinsamen Prioritäten voranzubringen. Unsere Fähigkeit, das Kapital der Gruppe und damit die Beiträge der Mitgliedstaaten zu nutzen.
Wir müssen unser Potenzial voll ausschöpfen und unsere Wirkung maximieren, indem wir uns auf acht Kernprioritäten konzentrieren:
1. Unsere Rolle als Klimabank festigen.
2. Die Digitalisierung und technologische Innovationen in Europa schneller vorantreiben.
3. Zur Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beitragen.
4. Die Wertschöpfungsketten in der Landwirtschaft, der Agrar- und Lebensmittelindustrie und der Bioökonomie unterstützen.
5. Den sozialen und territorialen Zusammenhalt fördern. Das ist eine sehr wichtige Priorität für die Union, die Europäische Investitionsbank und auch aus politischer Sicht unerlässlich.
6. Die soziale Infrastruktur stärken. Ich denke dabei an Gesundheit und Bildung, aber auch an den Wohnungsbau, eine Top-Priorität in so vielen unserer Mitgliedstaaten.
7. Außerhalb der EU unsere Wirkung erhöhen und die Investitionen an den politischen Prioritäten ausrichten.
8. Und last, but not least müssen wir zur Vollendung der Kapitalmarktunion beitragen.
All diese Prioritäten entsprechen sehr genau der Agenda der europäischen Führungsspitzen in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit, strategische Autonomie und wirtschaftliche Sicherheit ...
Und eines ist klar: Wirtschaftlicher Erfolg kann Europa zweifellos eine starke Stimme in der neuen Welt sichern und uns bei der Bewältigung geopolitischer Herausforderungen helfen.
Nochmal zum Zustand der Welt aus wirtschaftlicher und geopolitischer Sicht: Diese zwei Aspekte sind ganz klar miteinander verknüpft, und die Europäische Investitionsbank-Gruppe kann zu beiden beitragen. Letztlich sind diese Prioritäten und Ziele alle miteinander verzahnt, damit die EU die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand erfüllen kann.
Für eine bessere Welt und um Europa zu einem besseren Ort für künftige Generationen zu machen.
Lassen Sie mich mit diesem positiven Statement schließen. Ich freue mich auf Ihre Fragen.
Vielen Dank!