Auf der Jahrespressekonferenz 2023 gab Präsident Werner Hoyer einen Überblick über die Aktivitäten der EIB-Gruppe im Jahr 2022
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen bei der heutigen Pressekonferenz – zum ersten Mal unter unserem neuen Logo, das die Bank der EU visuell eindeutig als Mitglied der europäischen Familie ausweist.
Die EIB ist die Bank der Europäischen Union. Das ist an dem neuen Logo klar zu erkennen.
Wir tragen mit unserem finanziellen Know-how und unserem Branchenwissen dazu bei, dass die EU ihre vielen Mammutaufgaben bewältigen kann.
Wie sagte einer der Gründerväter der EU so treffend? „Europa wird in Krisen geschmiedet und wird die Summe der Lösungen sein, die für diese Krisen gefunden wurden.“
Wir befinden uns jetzt nicht inmitten einer, sondern vieler Krisen, ausgelöst durch Russlands sinnlosen Angriffskrieg in der Ukraine.
In meiner langen beruflichen Laufbahn im Dienste der EU, meinen elf Jahren bei der Bank und über 25 Jahren in der Außenpolitik habe ich Jean Monnets weise Worte immer wieder bestätigt gefunden. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Europa auch aus diesen Krisen stärker, klüger und geeinter hervorgehen wird.
2022 hat die EIB-Gruppe – das heißt die Bank und ihre Tochtergesellschaft, der Europäische Investitionsfonds, – Finanzierungen über insgesamt 72,5 Milliarden Euro unterzeichnet.
Jeder Euro, den wir vergeben, stärkt die Nachhaltigkeit und Resilienz der Volkswirtschaften in Europa und weltweit.
Wir haben unsere Zusagen erfüllt und unsere Ziele übertroffen. Zu Jahresbeginn 2022 gingen wir noch von einer geringeren Aktivität aus. Mit dem Krieg kam alles anders.
Hinter der schieren Zahl stecken echte, greifbare Erfolge: Wir haben erneut bewiesen, dass weltweit kaum jemand menschlichen Erfindungsgeist und Innovation so sehr fördert wie die Europäische Investitionsbank.
So, wie wir BioNTech bei der Entwicklung des ersten Impfstoffs gegen Covid unterstützt haben. Wir sind deshalb auch sehr stolz, jetzt in Schweden Biopharmazeutika der nächsten Generation zu finanzieren, die gegen Krebs helfen. In Finnland begleiten wir die Entwicklung und Markteinführung von Quantencomputern. In Spanien helfen wir, gebrauchtes Speiseöl in saubere Energie umzuwandeln und mit Solarkraft grünen Wasserstoff zu erzeugen.
Unsere Volkswirtschaften haben das Glück, dass staatliche Ausgaben sie bislang gegen die schlimmsten Folgen des Kriegs abgeschirmt haben. Doch die Energiekrise hat nicht nur die Investitionsbudgets vieler Regierungen und Unternehmen geschröpft, sondern auch die Verschuldung der privaten Haushalte verschärft. Dabei müssen wir gerade jetzt mehr investieren, um den Klimawandel zu bremsen und uns von russischem Öl und Gas zu lösen.
Wie so oft wird in Krisenzeiten als Erstes bei den Investitionen gespart.
Chronische Investitionslücken werden sicher weiter wachsen. Investitionen im Wohnungsbau ausgenommen, beträgt der Rückstand der EU auf die USA bei produktiven Investitionen ganze zwei Prozent des BIP – pro Jahr. Entstanden ist die Lücke vor zehn Jahren, und sie wird sich weiter vergrößern, wenn wir nicht gemeinsam etwas dagegen unternehmen.
Bevor wir näher darauf eingehen, gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung.
Die tragischen Ereignisse in der Ukraine sind eine Chance, über unsere Vergangenheit und unsere Zukunft nachzudenken. Wir haben gesehen, wie entschieden und konsequent das ukrainische Volk reagiert hat.
Unsere Antwort auf die Krise ist eine Feuerprobe für uns als Führende und politische Entscheidungstragende! Die Treffen heute und morgen in Kiew zeigen: Die EU hilft so lange, wie es nötig ist.
Der furchtbare Krieg in der Ukraine beweist, dass Dekarbonisierung der einzig verlässliche und ethisch vertretbare Weg zu bezahlbarer Energie für Europa und die Welt ist.
Diese Richtung muss allen klar sein.
Russlands Erpressung mit Gas macht deutlich: Die EIB stand 2019 auf der richtigen Seite der Geschichte mit ihrer Entscheidung, keine Infrastruktur für fossile Brennstoffe mehr zu finanzieren und sich ganz auf saubere Energie zu konzentrieren.
Wir standen schon 2014, nach der Annexion der Krim, auf der richtigen Seite der Geschichte, als wir unsere Aktivitäten in Russland einstellten und unsere Mittel in andere Teile Mittel-, Ost- und Südosteuropas umleiteten.
Ich stelle die kurzfristigen Lösungen vieler Staaten in Zeiten knapper Energie keinesfalls infrage. Als langfristiger Investor war und ist es aber am klügsten, auf ein saubereres, nachhaltigeres Energiesystem der EU-Wirtschaft zu setzen.
Meine Damen und Herren, 2022 erreichten unsere Finanzierungen für saubere Energie mit 19,4 Milliarden Euro ein Rekordhoch.
In einer Zeit extremer Energieunsicherheit haben wir die Modernisierung des tschechischen Stromnetzes mit 790 Millionen Euro unterstützt. Das war unser bisher größter Kredit in diesem Land.
In Polen haben wir über 400 Millionen Euro vergeben, um erneuerbare Energien in das Netz zu integrieren. Und in Frankreich haben wir einige der ersten schwimmenden Windparks Europas im vorkommerziellen Maßstab finanziert – eine Technologie, mit der wir auch in tiefen Gewässern saubere Energie erzeugen können. Damit stehen wir vor einem Paradigmenwechsel.
Wir arbeiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette daran, unsere Volkswirtschaften schneller zu elektrifizieren, von der Herstellung fortschrittlicher Lithium-Ionen-Batteriezellen in den Niederlanden bis zur Verlegung eines 1 000 Kilometer langen Seekabels, das erneuerbare Kraftwerke in Sizilien und Sardinien mit dem italienischen Festlandsnetz verbindet.
Aber das ist noch nicht alles: Für die Initiative REPowerEU stellen wir in den nächsten fünf Jahren ein Paket von weiteren 30 Milliarden Euro an Krediten und Eigenkapital für Energieprojekte mit hoher Wirkung bereit, zusätzlich zu den Finanzierungen, die wir normal einplanen.
Ich bin stolz darauf, was die EIB 2022 geleistet hat und weiter leistet, um der Ukraine direkt zu helfen.
Genau in diesem Moment tragen EIB-Finanzierungen zum Aufbau oder Wiederaufbau von Schulen und Krankenhäusern von Odessa bis Kiew bei. Mit unserer technischen Hilfe stellt Charkiw seine kriegszerstörte Straßenbahn wieder auf die Schiene. Auch in die notdürftige Instandsetzung der zerbombten Straßen des Landes fließt unser Geld.
Dank der Unterstützung aus dem EU-Haushalt waren wir bereits Ende März mit die Ersten, die den ukrainischen Staat am Laufen hielten. Seitdem haben wir unter äußerst schwierigen Umständen 1,7 Milliarden Euro ausgezahlt. Weitere 540 Millionen Euro sollen folgen, sobald es mit konkreten Projekten vor Ort vorangeht.
Dieser Erfolg fällt nicht einfach vom Himmel: Wir sind seit vielen Jahren einer der aktivsten Projektfinanzierer des Landes.
Wir überlegen jetzt mit dem Europäischen Rat und der Kommission, wie wir unsere Aktivitäten in der Ukraine fortsetzen können. Um der Wirtschaft des Landes zu helfen, müssen wir einzelne Projekte finanzieren und kurzfristige Liquiditätshilfe leisten.
Die Diskussion in der Öffentlichkeit greift oft zu kurz, wenn es um Unterstützung für die Ukraine geht, und kreist fast nur um Militärhilfe.
Ich bin nachdrücklich für militärische Hilfe an die Ukraine, in meinen Augen ist es jedoch mindestens genauso essenziell, die ukrainische Wirtschaft durch konkrete Projekte in Gang zu halten, damit das Land die Oberhand hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass die stärkste Unterstützung für die ukrainischen Streitkräfte vor Ort vom Land selbst und seiner Wirtschaft kommt.
Es wäre auch töricht zu glauben, dass der Wiederaufbau allein von außen bezahlt werden kann. Externe Hilfe ist wichtig, am wichtigsten ist aber, dass die ukrainische Wirtschaft den Wiederaufbau zum großen Teil selbst stemmen kann.
Darauf müssen wir unsere Kräfte konzentrieren.
Und zwar sofort. Wir können nicht warten, bis irgendwann die Tinte auf einem Friedensvertrag getrocknet ist.
Bereits lange vor dem Krieg hat sich die EIB verpflichtet, mehr Geld für erneuerbare Energien zu mobilisieren – damit tragen wir zu Europas Grünem Deal bei. Daran hat sich nichts geändert.
So haben wir 2022 unsere Zusage übertroffen, die Hälfte aller Finanzierungen für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit zu vergeben. Mit unseren 36,5 Milliarden Euro haben wir grüne Investitionen von insgesamt 147 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Diese Zusage hatten wir auf dem UN-Klimagipfel 2019 gemacht. Damit liegen wir auch voll im Plan bei unserem Ziel, in diesem Jahrzehnt eine Billion Euro für Klimaprojekte zu mobilisieren.
In den vergangenen Monaten hieß es immer wieder, wegen des Krieges und seiner Folgen für die Kraftstoff- und Energiepreise solle die grüne Wende langsamer umgesetzt werden.
Mit Verlaub: Das ergibt keinen Sinn. Wir müssen begreifen, dass eine sichere Energieversorgung und der Kampf gegen den Klimawandel zwei Seiten einer Medaille sind.
Europa braucht mehr Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Energien, nicht nur um seine Klimaziele zu schaffen, sondern auch um weniger abhängig von Einfuhren zu werden – das ist die schlichte Wahrheit.
Leider haben wir in vielen Branchen unserer Wirtschaft noch keine konkurrenzfähigen Alternativen zu fossilen Brennstoffen. Nach Schätzungen unserer Wirtschaftsfachleute stammt fast die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen aus Aktivitäten, für die es noch keine sauberen Alternativen gibt, zumindest keine in einem marktfähigen Stadium.
Investitionen in neue Klimatechnologien gilt deshalb weiter unsere besondere Aufmerksamkeit.
Wenn es etwas gibt, wo Europa bislang die weltweite Technologieführerschaft beanspruchen kann, dann ist das der Schnittpunkt von grün und digital. In diesem Bereich kann die EU – so unsere Wirtschaftsfachleute – 75 Prozent mehr Patente anmelden als die USA und viermal so viele wie China. Noch haben wir hier die Nase vorn. Wir müssen diese Position aber besser schützen.
Wir müssen dafür sorgen, dass wir unseren Vorsprung nicht verlieren.
Mit seiner massiven Förderung zentraler Klimatechnologien übt der US Inflation Reduction Act eine enorme Sogwirkung aus, die Investitionen von der EU weglenkt.
Europa muss darauf klare Antworten finden. Wir begrüßen deshalb die laufenden Diskussionen und sind bereit, uns daran zu beteiligen.
Das Gros der Investitionen für Netto-Null muss aus der Privatwirtschaft kommen – die EIB-Gruppe hat mit dem EFSI und jetzt InvestEU gezeigt, wie sie diese Investitionen mobilisieren kann.
Die EIB-Gruppe wird in Kürze auch über einen milliardenschweren Dachfonds verfügen, die European Tech Champions Initiative, die europäische Innovatoren – vor allem in der Spätphase – in Europa hält. Verwaltet wird er von unserer Tochtergesellschaft, dem Europäischen Investitionsfonds.
Wenn unsere Anteilseigner, die EU-Länder, uns damit beauftragen, sind wir bereit, die tragende Säule einer EU-weiten Investitionsinitiative für strategisch wichtige Sektoren zu werden. Damit wollen wir Europas Wirtschaft und wirtschaftliche Resilienz stärken.
Womit wir beim Thema Souveränität wären. Wir dürfen nicht vergessen, dass Europas Verteidigung der Unterstützung bedarf. Die EIB finanziert zwar keine Waffen oder Sprengstoffe, aber mit Finanzierungen für Dual-Use-Sektoren wie Luft- und Raumfahrt oder Cybersicherheit erhöhen wir Europas Sicherheit.
Auch hier haben wir mit deutlich über einer Milliarde Euro im vergangenen Jahr unsere Ziele übertroffen.
Um Europas strategischer Autonomie willen müssen wir uns auf gemeinsame europäische Lösungen verständigen, die die nationalen ergänzen.
Nicht alle Länder haben gleich tiefe öffentliche Taschen. Solange wir nicht sicherstellen, dass auf dem Weg aus dem Krisental alle die gleichen Startbedingungen haben, riskieren wir eine Verzerrung unserer wertvollsten Errungenschaft: den Zusammenhalt unseres Binnenmarktes.
Was auch immer Europa tun will, um die vielen Herkulesaufgaben zu stemmen, ausschlaggebend ist, dass wir es zusammen tun. Vor dem Schaden, den unausgewogene Maßnahmen in einem Land politisch, aber auch wirtschaftlich anrichten, kann gar nicht oft genug gewarnt werden.
Ich erinnere mich da an die Diskussionen über unsere Antwort auf die Covid-Krise vor drei Jahren. Christine Lagarde für die EZB, Klaus Regling für den ESM und ich für die EIB-Gruppe sagten damals zur Euro-Gruppe und zum Ecofin: „Was wir zusätzlich zu den nationalen Maßnahmen brauchen, muss ‚fett, fix, flexibel und europäisch‘ kommen.“ Denn alles andere hätte die Integrität des Binnenmarktes untergraben.
Gerne berichte ich daher, dass 2022 fast die Hälfte (45 Prozent) unserer Finanzierungen in der EU in Kohäsionsregionen geflossen sind. Auch hier haben wir unsere Ziele übertroffen.
Meine Damen und Herren,
erlauben Sie mir einen letzten Hinweis: Im vergangenen Jahr ging auch die EIB Global an den Start, unser neuer Geschäftsbereich für die Entwicklungsfinanzierungen und Partnerschaften der EU.
Besser hätten wir es nicht treffen können!
In ihrem ersten Jahr hat die EIB Global 9,1 Milliarden Euro für neue Projekte unterzeichnet – zusätzlich zu den 1,7 Milliarden Euro für die Ukraine. Mit dem Geld finanzieren wir Solarkraftwerke in Brasilien, Impfstoff-Initiativen rund um den Erdball und ein Großprojekt in Jordanien: eine der größten Entsalzungsanlagen der Welt, die den Menschen im Land sauberes Wasser bringen soll.
Unsere Projekte zeigen beispielhaft, wie wir weltweit für die Ziele der EU arbeiten.
Ja, die EU muss ihre strategische Autonomie stärken, aus der Nabelschauperspektive wird ihr das aber nicht gelingen. Wenn die EU resilienter werden soll, müssen wir neue, nachhaltige Partnerschaften und Bündnisse rund um den Globus schmieden.
Mit der EIB Global leisten wir dazu einen aktiven Beitrag unter dem Banner der EU. Darauf bin ich sehr stolz.