Ein afrikanischer Eigenkapitalfonds mit Genderfokus zeigt: In Frauen investieren zahlt sich aus
Chika Russell war gerade sechs, als sie von Nigeria nach England zog. Was jedoch blieb, war die Liebe zur nigerianischen Küche – zu den landestypischen Köstlichkeiten, die Frauen daheim am Straßenrand verkauften: frittierte Kochbananen, die dort „Dodo“ heißen, geröstete Süßkartoffeln und „Epa“, die kleinen, würzigen Erdnüsse. Diese Kindheitserinnerungen gaben später den Anstoß zu einer Geschäftsidee.
Irgendwann wurde Russell bewusst, dass es in Großbritannien kaum afrikanische Spezialitäten zu kaufen gab. 2014 gründete sie nach sieben Jahren in der Finanzbranche ihre eigene Firma CHIKA’S, die nigerianische Snacks aus eigener Herstellung auf dem britischen Markt anbietet. Dazu arbeitet die junge Unternehmerin direkt mit lokalen Gruppen in Nigeria zusammen und kauft ihre Zutaten in ganz Afrika ein.
„Ich wollte etwas machen, das anderen Menschen hilft, aber auch als Geschäftsfrau erfolgreich sein“, sagt Russell.
Snacks4Change ist ihr Weg, den Frauen etwas zurückzugeben, die sie einst inspirierten. Die Initiative in Partnerschaft mit World Vision will bis 2025 insgesamt 38 000 Mädchen Zugang zu Bildung verschaffen und in den nächsten zehn Jahren in ganz Afrika Schulen bauen.
Zu den Investoren, die CHIKA’S mit Kapital unterstützen, zählt der Alitheia IDF – ein afrikanischer Fonds mit Genderfokus, der von den Gründungspartnerinnen Tokunboh Ishmael und Polo Leteka geleitet wird. An dem Pionierfonds beteiligt sich auch die Europäische Investitionsbank mit 24,6 Millionen US-Dollar. Mit ihrem Beitrag erreichte der Alitheia im November 2021 sein Zielvolumen von 100 Millionen US-Dollar. Die Bank der EU investiert damit erstmals in einen Private-Equity-Fonds, der sich auf frauengeführte kleine und mittelgroße Unternehmen in Afrika konzentriert.
Mehr als nur ein Traum
Der Alitheia arbeitet seit April 2020 mit CHIKA’S zusammen. „Tokunboh Ishmael war sehr direkt“, erzählt Russell. „Sie sagte zu mir: ‚Ihre Träume gefallen mir, aber Sie müssen auch Geld verdienen‘. Ich fand es gut, dass sie kein Blatt vor den Mund nahm. Wir kamen schnell zur Sache und haben keine Zeit verschwendet. Das war mir sehr recht!“
Mit dem Wachstumskapital des Fonds baut Russell eine Fertigungsstätte in Nigeria auf. Anfang 2022 soll sie in Betrieb gehen und 320 Menschen Arbeit geben, 70 Prozent davon Frauen. Das Werk soll Snacks für den nigerianischen und westafrikanischen Markt produzieren. Die Produkte werden also in Nachbarländer exportiert und schaffen auch dort neue Jobs. Außerdem kann Russell mithilfe des Alitheia das Team und Vertriebsnetz von CHIKA’S UK ausbauen und damit auf der britischen Insel schneller wachsen.
„Wir wollten gezielt Gründerinnen fördern, aber unabhängig davon achten wir besonders auf die Geschäftsidee und die Erfahrung derer, die dahinterstehen“, erklärt Ishmael. „Jenseits des Genderfokus sind uns vier Dinge wichtig: Management, Chancen, Ertragspotenzial und Optionen für den Ausstieg.“
Leteka ergänzt: „Chika Russell legte uns überzeugend dar, was sie mit ihrer Firma vor Ort bewirken kann. Außerdem sahen wir einen Markt für ihre Produkte, mit guten Ertragschancen. Russell ist eine großartige Unternehmerin: Sie sprüht vor Energie, sie versteht, was sie tut, und sie ist hungrig.“
Für mehr Gendervielfalt in Afrika
Der Alitheia IDF beteiligt sich an kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die auf gemischte Führungsteams setzen. Er hilft ihnen zu wachsen, damit sie solide Erträge erwirtschaften und die sozialen Verhältnisse in Afrika spürbar verbessern. Sein Schwerpunkt liegt auf Branchen mit einem erheblichen Anteil an Unternehmerinnen, Produzentinnen, Vertriebspartnerinnen oder Verbraucherinnen. Dazu zählen die Agrar- und Ernährungswirtschaft, Konsumgüter, Gesundheit, Bildung, die Kreativwirtschaft sowie Finanz- und Unternehmensdienstleistungen. Von seinen Standorten in Lagos und Johannesburg aus investiert der Fonds in sechs Ländern: Nigeria, Südafrika, Ghana, Sambia, Simbabwe und Lesotho.
Der Alithea IDF ist ein Joint Venture zwischen Alitheia Capital in Nigeria und IDF Capital in Südafrika. Ishmael und Leteka gründeten ihn 2008, um Unternehmen in Frauenhand zu stärken. Sie waren überzeugt: Mit dem nötigen Kapital könnten viele Frauen in Afrika ein erfolgreiches Geschäft aufbauen.
„Zuvor floss der Großteil des Kapitals, das wir einsetzten, an Gründer und männergeführte Unternehmen in von Männern dominierten Branchen“, schildert Ishmael ihre Beweggründe. „Ich war als Investorin die einzige Frau im Raum, umgeben von Männern, an deren Firmen wir uns beteiligten. Da dachte ich mir: ,Das kann doch nicht daran liegen, dass Frauen keine Unternehmen gründen!‘ Also forschte ich nach und die Zahlen belegten eindeutig, dass Diversität sich auszahlt – in puncto Geschäftserfolg, Corporate Governance und Innovationen.“
Rund 40 Prozent der Unternehmen südlich der Sahara gehören Frauen, aber nur 10 Prozent davon werden von herkömmlichen Geldgebern finanziert. „Diese Geldgeber lassen viele Chancen liegen, weil sie lieber ihresgleichen unterstützen – Leute, die aussehen wie sie, arbeiten wie sie, reden wie sie und dahin gehen, wo auch sie hingehen“, ergänzt Leteka.
Ein 2X-Flaggschiff-Fonds
Der Alitheia investiert mit Genderfokus. Er wendet die 2X-Kriterien an und zählt zu den 2X-Flaggschiff-Fonds. Diese Fonds sind Teil der 2X Challenge, einer multilateralen Initiative der G7-Institutionen für Entwicklungsfinanzierung. Die Initiative will bis Ende 2022 insgesamt 15 Milliarden US-Dollar für Projekte mobilisieren, die die Selbstbestimmung und wirtschaftliche Teilhabe von Frauen verbessern.
Die Europäische Investitionsbank hat als erste multilaterale Entwicklungsbank die 2X-Kriterien übernommen und schloss sich im Juni 2021 der Initiative an. Déborah Vouche und Matthieu Ducorroy aus dem Private-Equity-Team der Bank waren in die Beteiligung am Alitheia involviert.
„Ishmael und Leteka haben schon aus vorherigen Initiativen gute Erfolge mit Private-Equity-Investitionen vorzuweisen“, so Ducorroy. „Sie haben den Willen, ihre Ziele zu verwirklichen. Wir konnten ihnen bei der Strukturierung des Fonds helfen und dafür sorgen, dass Governance und Berichterstattung höchsten Standards entsprechen.“
Außerdem bot der Alitheia laut Vouche die Chance, in der von Männern beherrschten Private-Equity-Branche ein reines Frauenteam zu fördern. „Das ist ein echter Fonds von Frauen für Frauen“, sagt sie. „Sie waren Pionierinnen in diesem Segment und wirklich der erste Fonds mit Genderfokus in Subsahara-Afrika.“
Die Beteiligung am Alitheia IDF ist auch ein Beitrag zur Initiative SheInvest, mit der die Bank zwei Milliarden Euro für Projekte mit Genderbezug in Afrika mobilisieren will.
Allmählich verändert sich die Denkweise
Russell, Leteka und Ishmael mussten alle drei beruflich gegen Widerstände ankämpfen.
„Nur weil du eine Frau bist, hast du es überall schwerer“, so Russell. „Ob bei der Suche nach Vertriebspartnern oder wenn es du Kapital brauchst. Das habe ich vor zwei Jahren erst erlebt. Manche Investoren fragten mich, wie ich Job und Kinder unter einen Hut bringen wollte. Und das, obwohl sie selbst Väter waren.“
Ishmael rät Geschäftsfrauen: „Stecken Sie ihre Ziele höher. Es ist nicht leicht, Investoren zu gewinnen, aber hoffentlich klopfen Sie bei uns an. Und wenn Sie woanders anklopfen, lassen Sie sich von einem ,Nein‘ nicht abschrecken. Überlegen Sie, was Sie verändern müssen. Seien Sie offen dafür und flexibel. Wenn Sie feststellen, dass Sie nur an unbewussten Vorurteilen scheitern, dann sollten Sie wirklich zum Alitheia IDF kommen.“
Aber in den vergangenen fünf Jahren haben Leteka und Ishmael beobachtet, dass ein Wandel einsetzt. Diversität ist für Investoren jetzt ein Thema. Sie achten darauf, sind besser informiert oder fragen nach. „In ein oder zwei Jahren“, vermutet Leteka, „werden alle fragen: ,Welche Anlagestrategie verfolgen Sie mit Blick auf die Chancengleichheit?‘“