Kostenlose Mathe-Nachhilfe, um Kindern gleiche Chancen zu bieten
Nicht jeder Mensch ist ein Mathe-Crack. Aber im Leben braucht man nun mal Mathe und sei es für die eigenen Finanzen oder das Kuchenbacken. Doch der Mathematikunterricht verdirbt oft schon früh die Lust an Zahlen. Viele lassen sich entmutigen und wählen das Fach ab – mit lebenslangen Nachteilen. Wenn die Erwerbsbevölkerung eines Landes nicht über ausreichende Mathekenntnisse verfügt, kann dies der Wirtschaft und der Wettbewerbsfähigkeit schaden.
Über die Jahre hatte Schweden im internationalen Vergleich in Mathematik immer schlechter abgeschnitten, als ein schwedischer Ingenieur namens Johan Wendt 2008 das Mattecentrum gründete. Der 30-Jährige langweilte sich in seinem Job und erinnerte sich daran, wie viel Spaß es ihm gemacht hatte, den Nachbarskindern Nachhilfe zu geben.
Er kündigte seinen Job und gründete die gemeinnützige Organisation Mattecentrum, um Kindern aus allen sozialen Schichten kostenlose Mathe-Nachhilfe anzubieten.
Das Mattecentrum soll Ungleichheiten minimieren, Schülerinnen und Schülern einen gleichberechtigten Zugang zu gutem Förderunterricht bieten und Mathematik einfacher und interessanter machen. Alle Kinder sollen die gleichen Chancen bekommen, unabhängig davon, ob sie Eltern (oder Nachbarn) haben, die ihnen bei den Hausaufgaben helfen.
Einzelunterricht
Fast 450 Freiwillige bieten in 22 schwedischen Städten kostenlose Mathenachhilfe in Schulen und Bibliotheken an. Jedes Jahr geben sie mehr als 35 000 Stunden auf Schwedisch, Dänisch, Arabisch und Englisch.
Ellen Eriksson, die Generalsekretärin des Mattecentrums: „Schülerinnen und Schüler können einfach vorbeikommen oder einen Termin vereinbaren und sich einen Freiwilligen aussuchen. Wir lassen den Schüler das Gespräch führen, stellen dann Fragen und füllen die Lücken.“
Viele Schülerinnen und Schüler kommen ins Mattecentrum, weil sie Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen. Andere haben das umgekehrte Problem – sie sind ehrgeizig, aber im Unterricht unterfordert. „In diesem Fall passen wir das Tempo an und halten sie bei der Stange“, so Eriksson.
Seit seiner Gründung ist das Mattecentrum stetig gewachsen und hilft Lernenden im Alter von 6 bis 26 Jahren in Mathematik und anderen MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik).
2013 belegte das Mattecentrum den zweiten Platz in der allgemeinen Kategorie des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Damit zeichnet das EIB-Institut jedes Jahr Unternehmen für ihr soziales, ethisches oder ökologisches Engagement aus.
Personalisierte Online-Hilfe
Die Website des Mattecentrums bietet kostenlose, benutzerfreundliche Lektionen zu einer Reihe von Mathethemen mit Theorie, Videos und Übungen.
Die Lernenden können auch personalisierte Online-Hilfe erhalten und per Videokonferenz mit Freiwilligen in ihrer bevorzugten Sprache kommunizieren. 2022 wurden mehr als 3 000 Stunden individuelle Hausaufgabenhilfe in Mathematik online erteilt.
Die digitale Plattform für Hausaufgabenhilfe des Mattecentrums heißt „Pluggakuten“. Sie hat einen offenen Chat für Mitglieder. Das Forum ist anonym, sodass sich auch unsichere Schüler trauen, Fragen zu stellen.
Eriksson erklärt das so: „Fragen machen einen angreifbar, besonders in Mathe, weil wir so festgefahrene Vorstellungen haben, wer darin gut sein darf.“
Rechnet man alle Online-Angebote zusammen, hat das Mattecentrum 2022 fast zwei Millionen Minuten kostenlose interaktive Hilfe geleistet. Etwa ein Achtel davon entfiel auf Lernende außerhalb Schwedens – in den USA, den Philippinen, Saudi-Arabien und anderswo.
Durch unterschiedlichste Tools will das Mattecentrum sicherstellen, dass alle die Art von Hilfe finden, die ihren Bedürfnissen am besten entspricht. „Eines unserer Alleinstellungsmerkmale ist, dass wir Lernenden so helfen, wie sie es am liebsten möchten“, so Eriksson. „Manche wollen sich zu einem persönlichen Gespräch treffen, andere stellen Fragen lieber schriftlich.“
Freiwillige mit großem Herz
Das Mattecentrum erhält Mittel aus verschiedenen Quellen, darunter Zuschüsse, Spenden und Sponsoring. Der Schlüssel zum Erfolg der Organisation sind jedoch die engagierten Freiwilligen.
„Wir haben ein Team von begeisterten Freiwilligen“, erklärt Eriksson. „Es besteht aus pensionierten Lehrerinnen und Lehrern, die sich noch einbringen wollen, aus Studierenden und Berufstätigen und aus Sponsoren, die sich ebenfalls aktiv für unsere Gesellschaft engagieren.“
Marie, eine Rentnerin, hat früher ihren eigenen Kindern in Mathematik geholfen. Sie sagt: „Am meisten freue ich mich, wenn junge Menschen ihre Matheaufgaben selbst lösen können und ich ihnen nur dann helfe, wenn sie nicht weiterkommen. Wir finden dann die Lösung gemeinsam.“
Initative erobert das ganze Land
Über die Jahre hat das Mattecentrum neue Projekte ins Leben gerufen, sich auf andere Regionen in Schweden ausgedehnt und ist neue Partnerschaften eingegangen.
Die Organisation nutzt Schulen und Bibliotheken, um ihr Angebot bekannt zu machen und Netzwerke mit anderen gemeinnützigen Organisationen zu teilen. „Wir wissen, dass viele junge Menschen nicht zu uns kommen, weil sie längst aufgegeben haben“, so Eriksson. Sie will so viele Lernende wie möglich erreichen.
Die Mühe wird belohnt, wenn positive Rückmeldungen eintreffen. Wie zum Beispiel eine E-Mail vom Vater einer Schülerin im letzten Sommer. Er schrieb, dass die Mathenoten seiner Tochter immer schlechter wurden, bis sie auf das Online-Mathebuch von Mattecentrum stieß, mit dem sie gemeinsam zu Hause lernten. Dann begann die junge Frau, persönlich zu den Mathestunden zu kommen. Bei ihren Abschlussprüfungen war sie eine der besten Schülerinnen in ihrer Schule. Ihr Vater schrieb: „Da könnt Ihr sehen, was Ihr bewirkt. Danke für Eure Hilfe!“
Johan hat bereits etwas Neues angefangen und ist Mitbegründer eines anderen Unternehmens (auch ein Finalist des Wettbewerbs 2021), das sich mit Wasserschutz beschäftigt.