Eine niederländische Medizintechnikfirma entwickelt eine bahnbrechende Innovation in der Kinderherzchirurgie – eine mitwachsende Klappe, die weitere Eingriffe erspart
Kinder, die mit einem Herzdefekt geboren werden, müssen deswegen bis zu sieben Operationen über sich ergehen lassen. Der Grund: Die Implantate, die sie am Leben halten, wachsen nicht mit. Doch damit nicht genug. Ihr Körper reagiert mit Entzündungen, weil herkömmliche Pulmonalklappen-Implantate aus tierischem Material bestehen, das der Körper versucht abzustoßen. Deshalb müssen sie ein Leben lang starke Medikamente einnehmen.
Dagegen hat das niederländische Medizintechnikunternehmen Xeltis eine biologisch abbaubare Prothese aus Polymeren entwickelt. Nach einem einmaligen Eingriff bildet sich eine neue Herzklappe um die Prothese, die mit dem Kind mitwächst. Das erspart den kleinen Patienten und ihren Eltern nicht nur viel Kummer und Leid, sondern auch die Kosten zahlreicher Operationen und Behandlungen.
„Wir nutzen den natürlichen Heilungsprozess des Körpers“, erklärt Eliane Schutte, CEO von Xeltis. „Der Körper bildet Zellen inner- und außerhalb der Prothese, bis sie durch gesundes Gewebe ersetzt ist und verschwindet. Und da es eigenes Gewebe ist, wächst es mit dem Körper mit.“
Die Europäische Investitionsbank hilft dem Unternehmen auf dem Weg von der klinischen Erprobung zur Herstellung und Vermarktung seiner innovativen Produkte. Xeltis entwickelt modernste gewebewiederherstellende Implantate aus Polymeren für die Herz-Kreislauf-Medizin. Die Technologie selbstheilender Implantate beruht auf der Supramolekularforschung von Professor Jean-Marie Lehn, der dafür den Chemienobelpreis erhielt und Xeltis wissenschaftlich berät.
Während der Coronapandemie benötigte Xeltis Mittel für die weitere Entwicklung, unter anderem für die letzten Phasen der klinischen Studien vor der Zulassung.
Deshalb kam die EIB Xeltis mit dem Europäischen Garantiefonds zur Hilfe. Diese Initiative der EIB-Gruppe in Partnerschaft mit EU-Ländern unterstützt europäische Unternehmen, die unter den wirtschaftlichen Folgen von Covid-19 leiden.
Mit den 15 Millionen Euro der EIB konnte Xeltis das Pulmonalklappen-Implantat für angeborene Herzfehler bei Kindern und zwei andere Lösungen weiterentwickeln: künstliche Gefäße für Koronararterien-Bypässe und Gefäßtransplantate für die Hämodialyse, die sich schließlich zu einem natürlichen Zugang für die Dialysekanüle verwachsen. Davon profitieren vor allem ältere Erwachsene – hier ist das Marktpotenzial groß.
Lebende Materialien reparieren Herz und Blutgefäße und ermöglichen Hämodialyse bei chronischen Nierenerkrankungen
„Dank der EIB konnte Xeltis drei Anwendungen parallel weiterentwickeln und musste sich nicht für eine entscheiden“, erklärt Antoine de Lachaux, der als Kreditreferent der EIB an dem Projekt beteiligt war. „Unsere Finanzierung hat die Entwicklung beschleunigt, was bedeutet, dass diese fantastischen Produkte schneller auf den Markt und damit zu den Patienten kommen. Die Einschaltung der EIB ist wichtig für Schlüsselstudien bei Erstindikation, um den entscheidenden Machbarkeitsnachweis zu erbringen und so weitere Investoren ins Boot zu holen.“
Die Xeltis-Lösungen für Herzprobleme:
- Pulmonalklappen-Implantate für angeborene Herzfehler bei Kindern
- Gefäßtransplantate für ältere Erwachsene – Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen 31 Prozent aller Todesfälle weltweit, entsprechend groß ist das Marktpotenzial
- Zugangsverbessernde Hämodialyse-Transplantate für Menschen mit chronischen Nierenerkrankungen (9 Prozent der Weltbevölkerung)
Für Xeltis kam das Darlehen gerade zum richtigen Zeitpunkt. Unternehmen, die Medizintechnik entwickeln, brauchen viel Geld. Doch solange nicht alle klinischen Studien abgeschlossen sind, gelten ihre Produkte als nicht erprobt, und den meisten Geldgebern ist das Risiko zu hoch. Der Europäische Garantiefonds richtet sich speziell an kleine Firmen mit höherem Risikoprofil.
„Xeltis ist in neue Bereiche der Medizintechnik vorgestoßen“, meint Auvo Kaikkonen, Experte für Biowissenschaften in der Direktion Projekte der EIB. „Das Schwierige ist, Zellen anzulocken und eine stabilisierende Struktur zu schaffen. Xeltis ist beides auf einmal gelungen.
Die Polymere dienen als Stützgerüst für Herzklappen und Arterien, und weil das Material zellfreundlich ist, wachsen daran Zellen.“
„Die EIB fördert herausragende Wissenschaft, die finanziell tragfähig ist“, so Kaikkonen.
Körperteile in Serienfertigung
Xeltis hat Polymere entwickelt, die maßgeschneidert implantiert und dann durch gesundes Gewebe ersetzt werden. Die Implantate dienen als Stützgerüst und werden vom Körper absorbiert. Dieser Therapieansatz wird als endogene Gewebewiederherstellung bezeichnet. Durch den natürlichen Heilungsprozess des Körpers entsteht Gewebe, das das Implantat durchdringt und darin ein neues, natürliches und voll funktionsfähiges Gefäß (oder eine Herzklappe) ausbildet. Im Verlauf der Wiederherstellung werden die Implantate nach und nach vom Körper absorbiert.
Die Parameter der verschiedenen Polymere lassen sich einstellen. Zum Beispiel über welchen Zeitraum ein Polymer vom Körper absorbiert wird. Bei einer Herzklappe dauert dies länger als bei einem Blutgefäß, weil ihre Struktur komplexer ist.
„Wir stellen alles selbst her“, sagt Eliane Schutte. „Und zwar an unserem Standort in den Niederlanden mit einem Team von 35 bzw. bald 40 Leuten. Wir haben bewiesen, dass wir das können. Jetzt geht es darum, dass sich unsere Lösungen im klinischen Einsatz bewähren.“