Würden wir mit mehr Frauen an der Spitze besser für das Klima kämpfen? Die Meinungen gehen auseinander.
Der Klimawandel gefährdet die Existenzgrundlagen, Gesundheit und Sicherheit von Frauen und Mädchen.1 Sie haben ein größeres Risiko als Männer, bei Naturkatastrophen zu sterben – vor allem, weil sie nicht das Geld haben, sich darauf vorzubereiten.
Frauen arbeiten auch eher in Bereichen, die besonders klimaanfällig sind: Landwirtschaft, Fischerei, Wasser- und Forstwirtschaft.2 Für Mädchen bedeuten Extremwetter oft, dass sie aus der Schule genommen werden und daheim helfen müssen.3 Viele Länder berichten dann auch über mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen.4 Die Folgen des Klimawandels sind hinlänglich bekannt. Welch große Rolle Frauen im Kampf dagegen spielen könnten, ist weniger ein Thema.
Seit fünf Jahren ermittelt die Europäische Investitionsbank über jährliche Klimaumfragen, wie Menschen in Europa, den Vereinigten Staaten, in Afrika, dem Nahen Osten und in China den Klimawandel wahrnehmen. Die jüngste EIB-Klimaumfrage 2022–2023 konzentrierte sich auf den Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiekrise.
Wie in den früheren Umfragen wollte die EIB wissen, ob Frauen ähnliche Ansichten und Sorgen haben wie Männer. Eine Frage lautete: Würden wir den Klimawandel wirksamer bekämpfen, wenn Frauen in der Politik mehr zu sagen hätten? Es ging darum, welches Vertrauen die Befragten – und die Frauen selbst – in Frauen an der Macht setzen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Meinungen von Frauen und Männern darüber weit auseinandergehen. Männer äußerten sich in allen Regionen skeptischer als Frauen. In der Europäischen Union meinten 45 Prozent der Männer, mehr Frauen an der Spitze würden einen Unterschied machen. Bei den Frauen waren 60 Prozent dieser Ansicht.5 In China war die Kluft geringer, aber immer noch messbar: 63 Prozent bei den Männern gegenüber 69 Prozent bei den Frauen. Am größten war der Unterschied auf der britischen Insel: Nur 38 Prozent der Männer trauen dort Frauen einen erfolgreicheren Kampf für das Klima zu; bei den Frauen sind es 61 Prozent.
Frauen an der Spitze: Ist das wichtig?
Studien aus aller Welt legen nahe, dass Frauen sich stärker für Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzen. Länder mit einem höheren Frauenanteil im Parlament sind eher geneigt, Umweltabkommen zu ratifizieren und Konzepte gegen den Klimawandel zu verabschieden.6, 7
Im Privatsektor zeigt sich: Unternehmen mit mehr Frauen in Leitungspositionen tun mehr, um energieeffizienter zu arbeiten und ihre Umweltbelastung zu verringern. Sie investieren auch eher in erneuerbare Energien.8, 9 Laut einer jüngsten Studie der Universität Urbino in Italien10 legen Frauen viel Wert auf eine gute Abfallwirtschaft und weniger Verschwendung von Wasser, Energie und anderen Ressourcen.11
Die Liste ließe sich fortführen. Die EIB-Studie Support for female entrepreneurs in Europe: Survey evidence for why it makes sense aus dem Jahr 2022 ergab: Frauengeführte Betriebe tun mehr, um Emissionen zu verringern, und erzielen bessere Ergebnisse in puncto Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG-Kriterien).12 Auch beim Europäischen Investitionsfonds schnitten Frauen mit ihren Firmen in puncto ESG besser ab. Sie investieren mehr in erneuerbare Energien und weniger in umweltbelastende Firmen.13
Warum weibliche Führungsstärke infrage gestellt wird
Vorurteile gegenüber Frauen treten nicht immer offen zutage. Die BBC ging in ihrem Artikel Why do we still distrust women leaders? unbewussten Vorbehalten auf den Grund – bei Menschen, die sich selbst für vorurteilsfrei halten, aber unterbewusst Stereotype festigen.14 Die Folge: Frauen wird die nötige Führungsstärke abgesprochen. Die Öffentlichkeit wünscht sich in der Politik oft Persönlichkeiten an der Spitze, die Autorität und Durchsetzungskraft zeigen, und das verbinden die meisten eher mit Männern und Männlichkeit.15 Auch Frauen haben Vorbehalte gegen Frauen. Im Ergebnis sind Frauen an der Spitze deshalb unterrepräsentiert. Das gilt selbst für Jobs, die die grüne Wende voranbringen und entsprechende Kompetenzen erfordern. Laut Global Green Skills Report 2022 kamen 2021 weltweit unter den sogenannten „Green Talents“, den ökologisch qualifizierten Fachkräften, auf 100 Männer nur 62 Frauen.16
Allerdings wehrt sich die Öffentlichkeit zunehmend gegen den Ausschluss von Frauen aus politischen Gremien. Bei der UN-Klimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow waren 2021 zehn von zwölf Spitzenpositionen in der britischen Delegation von Männern besetzt; die meisten Frauen im Team hatten beratende oder organisatorische Aufgaben.17 Als Protest dagegen unterzeichneten rund 450 Frauen und Männer aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft ein Schreiben von She Changes Climate an die britische Regierung. Darin forderte die Gruppe einen gleichstarken Frauenanteil in den COP-Delegationen.
Kampf gegen unbewusste Vorbehalte
Bis sich die Genderkluft schließt, wird es noch lange dauern – nämlich 131 Jahre, schreibt das Weltwirtschaftsforum in seinem Global Gender Gap Report 2023.18 Die gute Nachricht: Regierungen und die Öffentlichkeit werden sich der tief sitzenden Vorbehalte langsam bewusst und helfen Organisationen zu erkennen, wie und wo Frauen direkt oder indirekt diskriminiert werden.
Die schlechte Nachricht: Wir können nicht 131 Jahre warten. Gegen den Klimawandel mit seinen schlimmen Folgen, wie zuletzt der extremen Hitze und Waldbränden am Mittelmeer, müssen wir sofort angehen. Bei der Forderung nach mehr Frauen an der Spitze der Klimapolitik geht es nicht nur um Gleichberechtigung. Es geht auch um die Auswahl von Personen, die sich für ein Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze mit positiven sozialen, Umwelt- und Klimaeffekten stark machen.
Wir brauchen mehr Frauen an der Macht, in der Politik und in der Wirtschaft. Wir brauchen sie auch in der Wissenschaft und Technik, als Investorinnen und Gründerinnen. Dann kommen wir schneller mit den Klimalösungen voran, die wir so dringend brauchen.19
- https://www.unwomen.org/en/news-stories/explainer/2022/02/explainer-how-gender-inequality-and-climate-change-are-interconnected?gclid=EAIaIQobChMI5NTVouKr_wIVAdB3Ch37-QdfEAAYAiAAEgJtHPD_BwE.
- Climate change is sexist, our response shouldn’t be: EIB | Delano News.
- Ebenda.
- United Nations. (2022). Dimensions and examples of the gender-differentiated impacts of climate change, the role of women as agents of change and opportunities for women.
- In den Vereinigten Staaten betrug der Unterschied ebenfalls 15 Prozentpunkte: 43 Prozent bei den Männern und 58 Prozent bei den Frauen.
- Gender Equality and State Environmentalism, auf JSTOR.
- 2019-10-D4G_Brief_ClimateChange.pdf.
- More Female Board Directors Add Up to Improved Sustainability Performance | Haas News | Berkeley Haas https://newsroom.haas.berkeley.edu/more-female-board-directors-add-improved-sustainability-performance.
- BNEF Long Form Template (Grid).
- Pierli G., Murmura F. und Palazzi F. 2022. Women and Leadership: How Do Women Leaders Contribute to Companies’ Sustainable Choices?
- Ebenda.
- Pierli G., Murmura F. und Palazzi F. 2022. Women and Leadership: How Do Women Leaders Contribute to Companies’ Sustainable Choices?
- https://www.eib.org/stories/climate-women-profits.
- Ro, C. 2021, Why do we still distrust women leaders?. BBC.
- Ebenda.
- https://economicgraph.linkedin.com/content/dam/me/economicgraph/en-us/global-green-skills-report/global-green-skills-report-pdf/li-green-economy-report-2022.pdf.
- https://www.forbes.com/sites/bonniechiu/2021/10/30/cop26-why-are-women-still-missing-at-the-top-climate-table.
- Global Gender Gap Report 2023 | World Economic Forum.
- The Business Case for Women’s Climate Leadership von Barbara Balke und Thomas Östros – Project Syndicate.