Deutsche Drohnen-Firma revolutioniert die letzte Meile mit der nachhaltigen Lieferung von Gütern und Medizin
Tom Plümmer wollte unbedingt Filme drehen, die den Menschen helfen. Während seines Gap-Jahres ging er daher an eine westafrikanische Schule, die von einer örtlichen NGO betrieben wurde. Dort dokumentierte er mithilfe von Drohnen, mit welchen Problemen die Menschen täglich konfrontiert waren.
„Viele Menschen starben, nur weil sie nicht an einfache Medikamente wie Schmerzmittel oder Oxytocin kamen. Kleine Krankenhäuser waren schwer erreichbar und die Straßen schlecht“, erinnert sich Plümmer. „Als ich wieder in Deutschland war, habe ich mir überlegt, wie ich die Drohnen anders nutzen könnte. Ich wollte damit nicht filmen, sondern Medikamente, Laborproben, Blut oder Impfstoffe transportieren und so Leben retten.“
2015 hörte Plümmer von Jonathan Hesselbarth, der im Keller seines Elternhauses neuartige Drohnen baute. „Ich suchte nach einem Gerät, das Ladung über große Strecken transportieren kann, und er hatte einen Prototyp dafür“, berichtet Plümmer. „Bei unserem ersten Treffen merkte man: Hier waren zwei Menschen, die darauf brannten, Probleme anzupacken und etwas zu verändern.“
Zu den beiden gesellte sich Wirtschaftsingenieur Ansgar Kadura, und so entstand 2017 im hessischen Weiterstadt die Firma Wingcopter. Seitdem hat sich der Wingcopter 198 in vielen kleinen kommerziellen und humanitären Projekten bewährt. Weltweit versorgt er Menschen mit Medikamenten und Waren des täglichen Bedarfs.
Plümmer: „Wir wollen mit effizienter, nachhaltiger Drohnentechnologie Leben retten und Lebensbedingungen verbessern, überall auf der Welt.“
Die weltweit erste Triple-Drop-Lieferdrohne
Die Wingcopter-Drohne ist ein beeindruckendes Stück Technik. Ihr futuristisches, aerodynamisches Design weckt Science-Fiction-Assoziationen, auch dank der enormen Flügel mit einer Spannweite von 198 Zentimetern und der acht Rotoren. „Wenn man mal von den schweren und unheimlichen Militärdrohnen absieht, sehen Drohnen normalerweise eher aus wie Spinnen, mit kleinen Armen überall und vielen Rotoren“, erklärt Plümmer.
Wingcopter ging es beim Design allerdings nicht allein um die Ästhetik. Der Wingcopter 198 kann wie ein Helikopter senkrecht starten und dann so effizient und schnell fliegen wie ein Flächenflugzeug. Möglich macht das der patentierte Schwenkrotor-Mechanismus. So kann die Drohne nach dem Start direkt in einen horizontalen Flug übergehen.
„Wenn der Wingcopter die gewünschte Flughöhe erreicht hat, schwenken alle vier inneren Rotoren um 90 Grad. Damit wird aus der Drohne in Sekunden ein unbemanntes Flugzeug“, so Plümmer. „Durch diesen nahtlosen Übergang sind Reichweiten von bis zu 110 Kilometern möglich und sogar eine Guinness-Weltrekordgeschwindigkeit von 240 Stundenkilometern.“
Wingcopter baut die erste Triple-Drop-Lieferdrohne. Sie kann bis zu drei Pakete mit einem Gesamtgewicht von fünf Kilogramm an verschiedenen Standorten ausliefern – und das punktgenau. Dazu wechselt sie automatisch vom Flugmodus in den Schwebeflug und setzt die Pakete innerhalb von Sekunden ab. Die Vorteile dieser Technik: geringere Lieferkosten und optimierte Routen.
Dank des Schwenkrotors sind auch schwierige Wetterbedingungen wie starker Wind und Regen kein Problem für die Drohne. Damit ist sie eine gute Option für die mittlere und letzte Meile und erreicht auch abgelegene oder schwer zugängliche Standorte auf Inseln, Bergen oder Schiffen.
Innovationen für morgen
Wingcopter entstand aus einer Leidenschaft dreier Studenten in Hessen – mit null Budget. Hesselbarth etwa kommt aus einer Familie von Fluglehrern und baute in seiner Kindheit Modelle von Flugzeugen und Fluggleitern. Das Geld für den Bau der ersten Prototypen liehen sich die Studenten bei ihren Eltern.
Heute hat Wingcopter rund 150 Beschäftigte und arbeitet mit vielen Unternehmen auf der ganzen Welt zusammen. Der Firmensitz ist nach wie vor in Hessen – nur einen Steinwurf entfernt von Hesselbarths Keller, in dem alles begann. Wingcopters Drohnen sind eine umweltfreundliche Lieferalternative zu Motorrädern, Lieferwagen und Helikoptern und damit ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft.
Geld für die letzte Meile
Die Europäische Investitionsbank unterstützt Wingcopter mit einer eigenkapitalähnlichen Beteiligung von 40 Millionen Euro, die im Dezember 2022 unterzeichnet wurde. Hinter dieser Finanzierung steht das Programm InvestEU, mit dem die EU von 2021 bis 2027 zusätzliche Investitionen von über 372 Milliarden Euro in Europa mobilisieren will.
„In Europa gibt es zwar viele Ideen, aber oft fehlt das Geld, um diese Ideen auch umzusetzen“, weiß Tiago Lopes, Ingenieur bei der EIB, der an dem Projekt beteiligt war. „Das zwingt viele Unternehmen, zu verkaufen oder ins Ausland zu gehen. Wir wollen ein Gamechanger sein und den Firmen das nötige Kapital für ihre Innovationen geben.“
„Mit der EIB-Finanzierung können wir unsere Drohnentechnologie weiterentwickeln, drohnengestützte Logistiknetze aufbauen und das Werk in Hessen ausbauen, damit wir in Zukunft Tausende von Drohnen bauen können“, freut sich Plümmer.
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Auf dem Weg in eine bessere Zukunft
Das Potenzial von Wingcopter geht über den reinen Geschäftserfolg hinaus. Die Drohnen des Unternehmens könnten das Leben ganzer Gemeinschaften weltweit verändern, weil sie Waren des täglichen Bedarfs schneller und effizienter an bislang schwer erreichbare Orte liefern.
Beispiel Malawi: Hier versorgt Wingcopter im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammen mit UNICEF und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit abgelegene Gebiete mit lebensrettenden Medikamenten und medizinischem Material.
„Die schlechte Infrastruktur schränkt die Mobilität von Menschen in kleinen Dörfern oder ländlichen Gegenden oft ein“, erklärt Plümmer. „Selbst hier in Deutschland, wo wir gute Straßen haben, kommen manche Leute nicht an ihre tägliche Medizin oder ihre Lebensmittel.“
Die Drohnen liefern auch Alltagsgüter. Diesen Herbst hat das Unternehmen ein Pilotprojekt in Südhessen gestartet: die On-Demand-Lieferung von Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs per Drohne. So soll die Versorgung auf dem Land durch einen nachhaltigen Lieferservice verbessert werden.
Ziel des Unternehmens ist es, nachhaltige Liefernetze auf der letzten Meile aufzubauen, die weltweit mit Drohnen bedient werden. Betrieben werden diese Netze dann von den Menschen vor Ort.
„Wenn wir irgendwo ein drohnengestütztes Liefernetz aufbauen, dann schulen wir die Menschen vor Ort, damit sie die Technologie und die Netze selbst nutzen können“, sagt Plümmer. „So erhalten sie ein gutes Einkommen und können ihre Familien unterstützen und die Schulgebühren für ihre Kinder bezahlen.“