Nicht Apfel, Nuss und Mandelkern, sondern … ein Stromausfall.
Im Dezember 2011 musste Juha Sulkanen plötzlich einen Tag lang ohne Strom auskommen: „Der Winter war sehr mild und der Boden nicht gefroren. Plötzlich kam ein heftiger Wind auf – Bäume wurden entwurzelt, fielen auf elektrische Freileitungen und rissen die Masten um“, erinnert sich Sulkanen, der bei der Europäischen Investitionsbank als Kreditreferent für Projektfinanzierungen in Finnland zuständig ist. „Die Reste unseres Weihnachtsessens konnten wir an diesem Abend nur auf dem Holzofen aufwärmen.“
Vielen anderen Familien erging es ähnlich: Der Orkan Tapani hinterließ über 300 000 Haushalte in Südfinnland ohne Strom. Auch in Norwegen, Schweden, Estland und Russland verursachte der Orkan (je nach Land hieß er auch Patrick und Dagmar) erheblichen Schaden. Die Deutsche Bank schätzte damals, dass der Holzpreis aufgrund der Waldschäden um 15 Prozent einbrechen könnte.
Als Juha Sulkanen mit dem Verteilernetzbetreiber Caruna Gespräche über eine Finanzierung begann, wusste er aus erster Hand, worum es ging: Die Mittel waren für ein Projekt vorgesehen, das Stromleitungen besser gegen Wetterextreme wappnen soll.
Der Klimawandel macht auch vor Stromleitungen nicht halt
Das Unternehmen, das 2011 am härtesten vom Orkan Tapani getroffen wurde, ist der heutige Verteilernetzbetreiber Caruna. Er musste 20 Millionen Euro für Reparaturen und nochmals 29 Millionen Euro für Entschädigungszahlungen an Kunden aufbringen – zusätzlich zu einem Ausfall von rund 200 Millionen Euro für nicht gelieferten Strom, erinnert sich Bengt Söderlund, Carunas Spezialist für Regulierungsfragen.
Der Orkan wurde als eindeutiges Beispiel für ein extremes Wetterereignis eingestuft, das durch den Klimawandel bedingt war. In der Folge untersuchte die Regierung, wie verschiedene Infrastruktureinrichtungen an die Auswirkungen des Klimawandels angepasst werden können. „Im Winter 2011 war es mit Temperaturen bis zu neun Grad Celsius wesentlich wärmer als in dieser Jahreszeit üblich. Weil der Boden nicht gefroren war, kam es zu erheblichen Schäden in den Wäldern entlang der Küste“, erklärt Söderlund. „Die Stromausfälle lösten viele Diskussionen in den Medien und der Politik aus.”
Schlussendlich mündete die Debatte unter anderem in einem neuen Gesetz für Stromverteilungssysteme, das Anreize für Investitionen in die Netzzuverlässigkeit einführte. Außerdem wurden die direkten Entschädigungen für Stromausfälle von mehr als zwölf Stunden erhöht und die Informationspflichten der Unternehmen gegenüber den Kunden verschärft. Ab 2028 werden Stromausfälle in nichtländlichen Gebieten auf maximal sechs und in ländlichen Gebieten auf maximal 36 Stunden begrenzt. Als die nationalen Behörden den Preis festlegten, der Kunden gerechterweise für die Stromverteilung berechnet werden darf, berücksichtigten sie auch die den Unternehmen aufgebürdeten Investitionen. Trotz aller Kritik an diesem Vorgehen wich die Regierung nicht von ihrem Ziel ab, die Zuverlässigkeit der Stromverteilung zu verbessern, erläutert Söderlund.
2014 und 2015 führte Caruna an rund 4 100 Kilometern Freileitungen Rodungsarbeiten durch, um die Gefahr durch umfallende Bäume zu reduzieren. Das im Dezember unterzeichnete Darlehen der EIB über 200 Millionen Euro wird dem Verteilernetzbetreiber helfen, die unterirdische Kabelverlegung schneller voranzutreiben.
Netzausbau für erneuerbare Energien
Im Nachbarland Schweden unterzeichnete die EIB im Februar ein Darlehen über 250 Millionen Euro mit dem Verteilernetzbetreiber Ellevio, der ein ähnliches Projekt plant. In Schweden wütete der Orkan Patrick ebenfalls so stark, dass der Zugverkehr Richtung Norden am ersten Weihnachtsfeiertag eingestellt werden musste. Auf einer Schienenstrecke trieb der Wind 16 Eisenbahnwaggons mit einem Gewicht von 313 Tonnen über 500 Meter vor sich her, bis sie schließlich entgleisten. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.
Schweden hatte jedoch schon nach dem schweren Winterorkan Gudrun im Jahr 2005 neue Vorschriften eingeführt, deshalb kamen die Investitionen zum Schutz der Netze gegen Wetterextreme bereits früher in Gang. Seit Januar 2011 sind keine Stromausfälle von über 24 Stunden mehr zulässig. Ellevio investiert weiterhin in die Wetterfestigkeit, aber auch in die Erhöhung der Versorgungssicherheit. Anlagen, die in die Jahre gekommen sind, sollen erneuert und die Kapazität vor allem in Stockholm ausgebaut werden, um dem steigenden Bedarf der rapide wachsenden Hauptstadt gerecht zu werden. Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Anpassung der Netze, damit vermehrt erneuerbare Energien eingespeist werden können. Außerdem soll die Netznutzung für Ladestationen für Elektrofahrzeuge erleichtert werden. Ellevios Darlehen wurde ins Portfolio der Investitionsoffensive für Europa aufgenommen und ist somit teilweise von der Europäischen Kommission garantiert.
„Der Regulierer setzt Anreize für die Versorgungssicherheit. Wenn Netzausfälle eine bestimmte Stundenzahl überschreiten, führt dies zunehmend zu Sanktionen gegen die Netzwerkbetreiber. Aber bei der Berechnung der Erlösobergrenzen – also dessen, was die Betreiber ihren Kunden in Rechnung stellen dürfen – werden die Anlagen und damit die Netzinvestitionen eingerechnet“, erläutert Joakim Palmgren, der bei der EIB als Kreditreferent für Projektfinanzierungen in Schweden zuständig ist.
Das Projekt von Ellevio sorgt dafür, dass Haushalte verstärkt mit erneuerbarer Energie versorgt werden, und es erleichtert das Leben der Nutzer CO2-freier Fahrzeuge. Deshalb kann es dazu beitragen, die Auswirkungen unserer Energienutzung auf das Klima einzudämmen. Mit Erdleitungen, denen umfallende Bäume nichts anhaben können, leisten Finnen und Schweden nicht nur einen Beitrag zum Wohl unseres Planeten: Sie erhöhen auch die Chance, dass sie der Zug an Weihnachten rechtzeitig nach Hause bringt, um Apfel, Nuss und Mandelkern sowie die traditionellen „Piparkakut“ oder „Pepparkakor“ zu genießen. Es wäre ein sehr schwieriges Unterfangen, diese skandinavischen Pfefferkuchen ohne Strom wie früher im Holzofen zu backen, auf den Juha vor fünf Jahren zurückgreifen musste.