Litauen will die Binnenschifffahrt wiederbeleben und mit Elektrofrachtern jährlich 48 000 Lkw-Fahrten und viele Tonnen CO2 einsparen
Der Mensch kann mit Einfallsreichtum die schwierigsten Probleme lösen und alle möglichen Hindernisse überwinden. Doch manchmal weist die Natur den besten Weg.
Um schwere Güter an die See zu bringen, bauen wir Straßen, Brücken und große Lastwagen, die klimaschädliche Abgase ausstoßen. Dabei könnten wir vieles über Flüsse leiten – die Straßen der Natur.
Die Memel fließt über fast 1 000 Kilometer vom Belarussischen Höhenrücken durch das litauische Marschland, bevor sie in die Ostsee mündet. In Litauen erstreckt sich das Memel-Becken mit über 20 000 Zuflüssen und Bächen über fast drei Viertel des Landes. Ab dem 19. Jahrhundert wurde der Fluss dort stark für den Warentransport genutzt. Zu Sowjetzeiten passierten bis zu drei Millionen Tonnen jährlich den wichtigsten Wasserweg im Land.
Aber nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde im Zuge der Privatisierung die gesamte litauische Flotte verschrottet. Seither liegt die Binnenschifffahrt brach.
Wiederbelebung des Frachtverkehrs auf der Memel
Jetzt arbeitet die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung Litauens (VVKD) an einem Plan zur Wiederbelebung des Frachtverkehrs auf der Memel. Eine Flotte von Elektroschiffen soll die 260 Kilometer lange Strecke zwischen dem Industriestandort und Verkehrsknoten Kaunas im Landesinnern und dem Hafen Klaipėda an der Ostsee verbinden.
Die Fahrt dauert etwa 20 Stunden mit einem 20- bis 30-minütigen Zwischenstopp für den Batteriewechsel, auf halber Strecke bei Jurbarkas.
„Litauen importiert den Großteil seiner Roh- und Grundstoffe und exportiert viel Getreide – rund fünf Millionen Tonnen pro Jahr“, sagt VVKD-Chef Vladimiras Vinokurovas. „Wasserwege eignen sich perfekt für den Transport solcher schweren Großfrachten, und Kaunas liegt als großes Produktionszentrum sehr zentral in Litauen.“
Der Transport über den Fluss dauert länger als auf dem Landweg, aber für Waren, die für den Seeverkehr bestimmt sind, spielt das kaum eine Rolle. Da wird die Wegzeit in Monaten gerechnet.
Die Anfangsinvestitionen für das Projekt sind mit 75,7 Millionen Euro veranschlagt:
- 33,0 Millionen Euro für sechs neue elektrische Schubschiffe und zwölf Frachtkähne, die die Strecke bedienen
- 32,4 Millionen Euro für die Batterien der neuen Schiffe
- 10,3 Millionen Euro für Hafeninfrastruktur, wie Kräne, Ladepunkte und Anschlüsse an das Stromnetz
Aber die Kosten sind nicht die größte Hürde.
Um die Ziele zu erreichen, arbeitet die VVKD zusammen mit den Beratungsdiensten der Europäischen Investitionsbank an einem passenden Geschäftsmodell. Die Fachleute der Bank ermittelten zunächst den am besten geeigneten E-Frachter für die flachen Wasser der Memel und halfen dann bei einer Machbarkeitsstudie für das Gesamtprojekt. So konnte die Behörde eine fundierte Entscheidung treffen und das Vorhaben angehen.
Eine umweltfreundliche Alternative
Die EIB analysierte auch, was das Projekt für die litauische Wirtschaft und die Umwelt bringen würde. Was bedeutet es für die Treibhausgas-Emissionen und die Luftverschmutzung? Für Staus und Unfälle, die Lärmbelastung und die Biodiversität?
„Der Güterverkehr auf dem Wasser ist umweltfreundlicher“, sagt Projektberater Brendan McDonagh von der Europäischen Investitionsbank. „Nach unseren Schätzungen kann eine Hin- und Rückfahrt mit dem Schiff über 100 Lkw-Fahrten ersetzen. Bei voller Kapazität lassen sich mit den Schiffen pro Jahr gut 48 000 Lkw-Fahrten und damit über 14 000 Tonnen CO2 einsparen.“
Die Europäische Kommission legte im Juni 2021 einen 35-Punkte-Plan zur Stärkung der Binnenschifffahrt vor. Hauptziel ist, mehr Frachtverkehr auf Europas Flüsse und Kanäle zu lenken und bis 2050 den Umstieg auf emissionsfreie Frachter zu schaffen. Das entspricht dem europäischen Grünen Deal und der Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität, die den Transport über Binnengewässer und den Kurzstrecken-Seeverkehr nach vorne bringen soll – mit Zuwächsen um 25 Prozent bis 2030 und um 50 Prozent bis 2050.
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2024 soll der Verkehr auf der Memel anlaufen. Aber die Behörde in Litauen denkt bereits weiter:
„In zehn Jahren können wir den Wasserweg hoffentlich mit einer Schleuse am Wasserkraftwerk Kaunas erweitern“, so Vinokurovas. „Damit würde sich die Strecke auf 500 Kilometer verlängern. Viel Potenzial für den Frachtverkehr verspricht auch die Neris, die durch die Hauptstadt Vilnius fließt und bei Kaunas in die Memel mündet. Ebenso der Nevėžis, der durch das agrarische Herz des Landes bei Kėdainiai fließt. Insgesamt könnten wir irgendwann an die 1 000 Kilometer voll schiffbare Wasserwege für den grünen Frachtverkehr haben.“