Österreichische Firma ersetzt potenziell schädliche synthetische Inhaltsstoffe in Konsumgütern durch nachhaltiges Lignin

Lignin ist nach Zellulose der zweithäufigste organische Stoff auf der Erde.

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaft und Forschung, das Potenzial von Lignin zu erschließen. Doch hochwertige Produkte ließen bislang auf sich warten. Der Holzstoff hat eine heterogene chemischen Struktur und ist schwer zu verarbeiten. Aber jetzt ist es gelungen.  

Der Chemieingenieur und Mitgründer von Lignovations Martin Miltner will die Chemieindustrie revolutionieren und potenziell schädliche synthetische Inhaltsstoffe in Konsumgütern durch eine sichere, nachhaltige Alternative aus Lignin ersetzen.

„Wir wollten die außergewöhnlichen Eigenschaften des Naturstoffs Lignin nutzen und daraus ein Industrieprodukt machen“, erklärt Miltner.

2016 entdeckten Miltner, seine Frau Angela und ein weiterer Chemieingenieur der Technischen Universität Wien ein Verfahren, mit dem sich Lignin fraktionieren und homogenisieren lässt. Das macht die Raffination deutlich einfacher. „Dabei machen wir aus Lignin etwas ganz Besonderes. Das ist weltweit neu“, sagt er.

Die drei ließen sich das Verfahren patentieren, gründeten 2021 Lignovations und nahmen als vierten Partner einen Wirtschaftsfachmann ins Team auf. Mit einer Pre-Seed-Finanzierung konnte das Start-up erste Produkte entwickeln und eine Pilotanlage bauen.

Was ist Lignin?

Vor etwa 500 Millionen Jahren, als die ersten Pflanzen an Land gingen, gab ihnen die Natur ein Molekül namens Lignin.

Der Holzstoff kommt in jeder Landpflanze vor, ob Grashalm oder Mammutbaum. Lignin ist ein Biopolymer, das die Pflanzen vor Umweltstressoren schützt: Sonnenlicht, freien Radikalen, Bakterien und Pilzen.

Lignin fällt als Abfallprodukt in der Papier- und Zellstoffindustrie und in Sägewerken an. Der Stoff steht also in großen Mengen zur Verfügung – ohne zusätzliche Umweltbelastung.

>@Lignovations
© Lignovations

Lignin nach der Extraktion aus Zellstoff

„In der Papier- und Zellstoffindustrie hieß es immer: Mit Lignin kann man alles machen außer Geld. Und bislang hat das wohl auch gestimmt“, sagt Miltner.

Lignovations stand 2022 im Finale des Wettbewerbs für Soziale Innovation der Europäischen Investitionsbank. Dort werden Unternehmen ausgezeichnet, die eine positive soziale, ethische oder ökologische Wirkung erzielen.

Sonnencreme ohne Chemie

Lignovations will zunächst hochwertige Anwendungen für Endverbraucher entwickeln, etwa Sonnencremes ohne chemische UV-Filter.

Zwar wird empfohlen, täglich Sonnencreme aufzutragen, um die Haut vor schädlicher Strahlung zu schützen. Doch zahlreiche Studien warnen vor hormonwirksamen Stoffen in chemischen Sonnenschutzmitteln, die noch lange nach der Anwendung im Blutkreislauf verbleiben.

Viele Inhaltsstoffe werden aus Erdöl hergestellt. Darüber hinaus gelangen jedes Jahr Tausende Tonnen dieser Chemikalien in die Meere und führen dort zu Korallenbleiche und Anomalien bei Meereslebewesen.

Ein Kilogramm Lignin kann zwei bis drei Kilogramm herkömmliche UV-Filter ersetzen.

Das ligninhaltige Produkt von Lignovations hat die Sicherheitsprüfungen für normale und empfindliche Haut bestanden. Es ersetzt die UV-Filter in chemischen Sonnenschutzmitteln und schützt die Haut vor UV-Licht und Alterung durch oxidativen Stress.

Das Produkt kann auch mineralische Sonnenschutzmittel verbessern, die sicherer und nachhaltiger sind, aber einen unschönen klebrigen Film auf der Haut hinterlassen. „Mit ein bisschen Lignin braucht man viel weniger mineralische Filter für denselben Lichtschutzfaktor und erhält ein angenehmeres Produkt.“ Wegen seiner hellbraunen Farbe eignet sich Lignin auch für getönte Sonnenschutzmittel.

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© Lignovations

Ligninhaltige Sonnenschutzmittel werden zunächst teurer sein als herkömmliche, bis der Preis durch Skaleneffekte sinkt.

Lignovations will schon bald seine erste Produktionsanlage fertigstellen. In etwa drei Jahren soll eine noch größere folgen, wenn die neuen Sonnencremes preislich mithalten können. Durch die guten Ergebnisse von Lignin werden auch die Kosten überschaubar bleiben, meint Miltner.

Ausbau des Geschäfts 

Neben Sonnenschutzmitteln konzentriert sich Lignovations auf Beschichtungen und will beispielsweise Chemikalien in Holzlacken ersetzen.

„Durch Regen und Wind gelangen diese Chemikalien in die Natur“, erklärt Miltner. „Dann werden sie leicht von Mensch und Tier aufgenommen. Im Körper wirken sie wie Hormone und können seltsame Wechselwirkungen auslösen.“

Langfristig hat das Start-up auch Lebensmittelverpackungen, Nahrungsergänzungsmittel (Lignin ist essbar und wirkt antioxidativ) und medizinische Anwendungen im Visier.

Lignovations hat zwar einige Wettbewerber. Aber das Start-ups hat sehr hochwertige Produkte, produziert energieeffizient und setzt dabei keine gefährlichen Chemikalien ein.

Derzeit verkauft die Firma ihren proprietären Inhaltsstoff an rund ein Dutzend kleine Pilotkunden in der Industrie. Wenn es mit dem Wachstum vorangeht, will Lignovations auch mit größeren Firmen zusammenarbeiten, entweder im Rahmen von Joint Ventures oder über Lizenzen für die Technologie. Außerdem will das Unternehmen Kunden helfen, mit seinem Produkt eigene Anwendungen zu entwickeln.

Miltner glaubt, dass die Kosmetik- und Farbprodukte von Lignovations bis 2026 weltweit mehr als fünf Millionen Menschen zugutekommen können. Los geht es am Strand, wenn demnächst in Deutschland, Österreich und der Schweiz die ersten Sonnenschutzmittel in die Läden kommen.