Ein polnisches Unternehmen entwickelt neuartige Medikamente für zielgerichtete Therapien gegen Blutkrebs und solide Tumoren
Akute myeloische Leukämie, kurz AML, ist eine schwere Form von Blutkrebs. Mit 20 000 Neufällen pro Jahr in Europa und ähnlich vielen in den Vereinigten Staaten ist die Krankheit eher selten; sie ist aber hochaggressiv und hat bei erwachsenen Patienten die geringste Überlebensrate unter allen Blutkrebsarten. Es gibt zwar Therapien, aber sie haben starke Nebenwirkungen und helfen meist nur vorübergehend. Aussicht auf Heilung verspricht bislang nur die Transplantation von Blutstammzellen einer anderen Person, die jedoch mit erheblichen Toxizitäten verbunden ist.
Neue Hoffnung für Menschen mit AML und anderen lebensbedrohlichen Krebserkrankungen wecken jetzt Medikamente, die das polnische Biotech-Unternehmen Ryvu Therapeutics entwickelt: Ryvu arbeitet an Medikamenten, die den Krebs über natürliche Zellprozesse stoppen. Einige helfen dem Immunsystem, Krebszellen zu erkennen und abzutöten, andere nutzen die Schwachstellen von Krebszellen, um sie zu zerstören.
„Unser Körper hat selbst starke Waffen“, sagt Krzysztof Brzózka, der Chief Scientific Officer von Ryvu. „Wir alle haben schon Krebszellen in unserem Körper gehabt, aber wir haben das kaum je gemerkt, weil unser Immunsystem die Tumorzellen ausschaltet. Nur ganz selten sind sie so aggressiv oder immunsuppressiv, dass wir an Krebs erkranken.“
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Kleine Moleküle mit großem Potenzial
Die Menschheit hat im Kampf gegen Krebs große Fortschritte gemacht. Erste Erfolge brachten vor über hundert Jahren die Strahlen- und Chemotherapien. Sie töten Krebszellen, aber auch gesunde Zellen. „Heute wissen wir, dass wir uns natürliche Zellprozesse zunutze machen können, um die entarteten Krebszellen zu zerstören“, erklärt Cristina Niculescu, die als Senior Life Science Specialist im Team der Europäischen Investitionsbank an einer Finanzierung für Ryvu arbeitete. „Wir können die Krebszellen gezielt angreifen, ohne die gesunden Zellen zu schädigen.“
Die Europäische Investitionsbank fördert Ryvu mit einem sogenannten Venture Loan über 22 Millionen Euro für die Forschung und klinische Studien.
Für den gezielten Angriff auf die kranken Zellen eignen sich kleine Moleküle: Sie binden an bestimmte Proteine in Zellen und können sie an- oder abschalten, um den Krebs zu stoppen.
Ryvu ist in der Lage, schnell geeignete Moleküle zu identifizieren und so zu optimieren, dass die Wirkmechanismen genau auf den jeweiligen Tumor und die Therapie zugeschnitten sind. Zwei Wirkstoffkandidaten sind derzeit in der klinischen Prüfung: SEL24 und RVU120 – beides sogenannte Kinasehemmer, die für das Krebswachstum verantwortliche Zellprozesse blockieren.
Beide Kandidaten werden für die Behandlung von Blutkrebs getestet, RVU120 auch für solide Tumoren wie Brust- oder Prostatakrebs. Die Medikamente können als Kapseln daheim eingenommen werden – ein großer Vorteil für Menschen, die durch häufige Krankenhausbesuche, Bluttransfusionen, Infektionen, Schmerzen und Erschöpfung ohnehin schon sehr belastet sind.
Weitere Ansätze für die Krebsbehandlung
Eine Schwierigkeit bei der Entwicklung neuer Therapien: Die Zahl der bekannten Proteine, die sich mit kleinen Molekülen angreifen lassen, ist begrenzt. Ryvu verfolgt deshalb zwei weitere Ansätze:
- Synthetische Letalität, die Schwachstellen von Krebszellen ausnutzt. In manchen Fällen gehen mit der Genmutation Zellfunktionen verloren. Das macht die Krebszellen von anderen Genen abhängig. Schaltet man gezielt diese Gene ab, sterben die Krebszellen ab.
- Immunonkologie, die mit ausgewählten kleinen Molekülen Immunzellen reaktiviert und wieder in die Lage bringt, Krebszellen abzutöten.
Die Wissenschaft ist immer noch am Lernen, wie wir unseren Körper im Kampf gegen Krankheiten nutzen können. „Je besser wir Krebs und unsere Immunantworten darauf verstehen, desto besser und sicherer werden die Therapien“, so Brzózka.
Ryvu Therapeutics wurde 2007 gegründet und hat heute 150 Beschäftigte. Die meisten arbeiten als hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Sitz der Firma in Krákow. Brzózkas Traum für die Stadt: eine Art Kendall Square wie in Boston, wo führende Biotech-Unternehmen, große Pharmafirmen und Top-Universitäten ein pulsierendes Innovationsumfeld schaffen.
„Wir glauben an die wissenschaftliche und technologische Kompetenz des Unternehmens“, sagt Anna Stodolkiewicz, die als Investment Officer bei der Europäischen Investitionsbank an der Finanzierung für Ryvu arbeitete. „Und weil es in einer Kohäsionsregion liegt, helfen wir mit dem Projekt auch beim Aufbau eines dynamischen Biotech-Ökosystems.“
EU-Mittel für Spitzenforschung in Polen
Die Venture-Debt-Finanzierung der Europäischen Investitionsbank ist über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) abgesichert. „Die bisherigen Pipeline-Daten sind beeindruckend“, so Niculescu. „Ryvus Strategie scheint uns vielversprechend.“
Dennoch sind Biotech-Projekte recht risikoreich, weil ungewiss ist, zu welchem Ergebnis die klinischen Studien führen. „Ohne die EFSI-Garantie hätten wir das Projekt nicht finanzieren können“, bestätigt Stodolkiewicz. Hinzu kommt der derzeit schwierige Markt für Eigenkapitalfinanzierungen: „Eine hohe Inflation, Wechselkursschwankungen, und jenseits der Grenze der Krieg – da halten sich viele private Investoren bei innovativen, aber risikoreichen Investments lieber zurück“, so die Finanzierungsspezialistin.
Seit 2015 hat die EIB rund eine Milliarde Euro in Forschungsprojekte zu Krebstherapien investiert, denn immer noch sterben jedes Jahr zehn Millionen Menschen weltweit an Krebs. „Viele Projekte scheitern vielleicht und kosten uns Geld, mit dem man eine neue Autobahn hätte bauen können“, sagt Niculescu. „Aber wenn ein Projekt ein Erfolg wird, verändert es das Leben von Millionen Menschen.“
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