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Die Mutter von Wadym Chursin starb lange vor dem Krieg. Seit er klein ist, kümmert sich sein Vater Dmytro allein um ihn, ist Vater und bester Freund in einem. Noch stärker halten die beiden zusammen, seit ihre Stadt unweit der Südgrenze der Ukraine von russischen Soldaten besetzt wurde.

„Von unserem Haus ist heute fast nichts mehr übrig, und in der Altstadt sind alle Gebäude zerstört“, sagt Wadym. Der 16-Jährige lebte früher in Oleschky, einer Stadt in der Nähe von Cherson. Dort hatte sein Vater ein kleines Bauunternehmen, das auf trendige Tiny-Häuser auf Rädern spezialisiert war. Seit zwei Jahren wohnen Vater und Sohn im 220 Kilometer westlich gelegenen Odessa, wo sie in der Nähe von Wadyms neuer Schule eine Doppelhaushälfte gemietet haben. „Wir gehören jetzt zu den Vertriebenen. Hier sind viele, denen es so geht wie uns, und alle helfen sich gegenseitig.“

Wadym besucht die Schule Nr. 41 in Odessa. Sie war eine der ersten, die 2021 im Rahmen des ersten Wiederaufbauprogramms der Europäischen Investitionsbank (EIB) für die Ukraine instand gesetzt wurde. Seitdem hat die Bank die Modernisierung mehrerer Schulen und eines Krankenhauses in Odessa finanziell unterstützt.

Den Schulen gilt ein besonderes Augenmerk der vielen Ingenieurinnen, Wirtschaftswissenschaftler, Kreditreferenten und Beratungsspezialistinnen der EIB, die versuchen, den dringendsten Bedarf der Menschen in der Ukraine zu decken. Außerdem im Fokus stehen die Strom-, Wärme- und Wasserversorgung, Straßen, Krankenhäuser, Gemeindezentren und Luftschutzbunker. All das sorgt dafür, dass die Menschen ihrer Arbeit nachgehen, zum Arzt fahren, einkaufen, zur Schule gehen und sich bei Bombenangriffen in Sicherheit bringen können.

Die russische Invasion hat schwere Verwüstungen angerichtet und in der Ukraine sowie den angrenzenden Ländern eine humanitäre Krise ausgelöst. Straßen, Brücken, Krankenhäuser, Schulen und Wohnhäuser müssen repariert werden, insbesondere in den stark umkämpften Gebieten wie Charkiw und der Donbass-Region. Einer Studie zufolge beläuft sich der wirtschaftliche Schaden in der Ukraine seit dem Einmarsch Russlands im Februar 2022 auf schätzungsweise mehr als 150 Milliarden US-Dollar. Auf etwa 500 Milliarden US-Dollar werden die Kosten für den Wiederaufbau in den nächsten zehn Jahren geschätzt.

Die EIB unterstützt die Sanierung von mehr als 300 Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und Sozialwohnungen in rund 150 ukrainischen Städten. Die Bank hat geholfen, die Strom-, Gas- und Wasserversorgung sowie die Abwasser- und Abfallentsorgung in mehr als einem Dutzend Regionen zu modernisieren. Mehr als 100 Projekte hat die EIB inzwischen abgeschlossen. Aber jede Woche gehen neue Hilfeersuchen ein.

Im September wird die Wiedereröffnung einer Schule in Stryschawka in der Zentralukraine gefeiert, deren Renovierung aus Mitteln des Wiederaufbauprogramms der EIB finanziert wurde.

Pavel Novak ist Bauingenieur bei der EIB und stammt aus Kyjiw, wo seine Eltern auch heute noch wohnen. Ein Freund, der inzwischen zu den Kriegsversehrten zählt, habe ihn daran erinnert, dass die Soldatinnen und Soldaten kämpfen, um Russland zu besiegen. Aber auch, um dafür zu sorgen, dass die Menschen in der Ukraine in ihren Städten und Gemeinden weiter ein normales Leben führen können.

„Mein Freund sagte: ‚Weißt du, Pavel, wir tun das, damit das Leben weitergeht, damit Bäckereien und Restaurants offen bleiben, Kinder zur Schule gehen können und es in diesem Land noch etwas anderes gibt als Krieg.‘“

Im September legte die EIB einen 600 Millionen Euro schweren Energierettungsplan vor. Er soll der Ukraine helfen, vor dem Winter die Strom- und Wärmeversorgung von Industrie und Haushalten sicherzustellen. Spezielle Schutzkonstruktionen werden gebaut, um Umspannwerke vor Bombenangriffen zu schützen. Die Bank steht im engen Kontakt mit Ukrhydroenergo, dem größten ukrainischen Wasserkraftunternehmen, und mit Ukrenergo, dem staatlichen Stromnetzbetreiber, um die beschädigten Stromnetze zu reparieren. In manchen Landesteilen ist es normal, den halben Tag keinen Strom zu haben.

Neues Leid

Violaine Silvestro von Kameke, Kreditreferentin bei der EIB, besucht seit Dezember 2023 wieder ihre Projekte in der Ukraine, nachdem sie ihre Besuche bei Ausbruch des Krieges eingestellt hatte.

„Jedes Mal, wenn ich in die Ukraine fahre, sehe ich neues Leid, das dieser Krieg verursacht“, sagt sie. „Eine unserer Partnerinnen vor Ort hat in Bachmut ihre Eltern verloren und eine andere junge Kollegin ihren Ehemann. Jetzt steht sie mit ihrem zwölfjährigen Sohn allein da. Kollegen in der Ukraine erzählen mir von ihren Kinder, die so gestresst sind, dass sie nicht still sitzen können und ständig in Bewegung sind, und von Müttern, die während der Bombenangriffe das Haus putzen, um sich abzulenken.“

Die U-Bahn-Haltestelle Teremki im Süden Kyjiws. Die EIB unterstützt die Stadt dabei, veraltete U-Bahn-Wagen auszutauschen und unabhängig von Ersatzteilen aus Russland zu werden.
Shutterstock

Unsere wichtigsten Initiativen 2024

  • In den letzten drei Jahren hat die EIB-Gruppe in der Ukraine für den Wiederaufbau zerstörter Städte und zur Deckung des dringenden Bedarfs mehr als zwei Milliarden Euro ausgezahlt. Darüber hinaus hat die Bank Kredite von rund vier Milliarden Euro an die Nachbarländer der Ukraine vergeben, damit diese die medizinische Versorgung von Flüchtlingen sicherstellen und ihnen Wohnraum, Schulen sowie Arbeitsplätze bereitstellen können.
  • Eines der jüngsten Finanzierungsinstrumente ist der Treuhandfonds EU für die Ukraine (EU4U). Er zielt auf den Wiederaufbau kommunaler Einrichtungen, die Wiederaufnahme öffentlicher Dienstleistungen sowie die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen. Die Länder der Europäischen Union haben für diesen Fonds mehr als 420 Millionen Euro zugesagt.
  • Die EIB ist zudem Partner eines EU-Finanzhilfe-Programms, der Ukraine-Fazilität, einem 50 Milliarden Euro schweren Wiederaufbauprogramm, das bis 2027 läuft. Die Bank wird mehr als zwei Milliarden Euro aus diesem Fonds für die Energie- und Wasserversorgung, für Straßen, Schienenverkehr, Wohnungen und Bildungseinrichtungen bereitstellen.
  • Zu den wichtigen Projekten im laufenden Jahr gehört die Ausweitung der europäischen Notrufnummer 112 auf die Ukraine, über die man die Polizei, einen Krankenwagen oder die Feuerwehr rufen kann. Weitere zentrale Vorhaben sind die Unterstützung von UNIT.City, dem ersten ukrainischen Innovationspark für digitale Kompetenzen und Ausbildung, sowie ein 50-Millionen-Euro-Kredit für neue U-Bahn-Wagen in Kyjiw.

Mehr Unterstützung für arbeitende Frauen

Maria Gutsman vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen fordert mehr Unterstützung für Frauen in der Ukraine, die im Krieg neue Aufgaben in der Wirtschaft und der Gesellschaft übernehmen. UNDP

Während die Männer und viele Frauen an der Front kämpfen, wird häufig übersehen, welche Last die Frauen tragen, die zu Hause ihre Familien, die Wirtschaft und die Gesellschaft am Laufen halten. Frauen haben neue Aufgaben übernommen, um zu verhindern, dass Unternehmen und wichtige Dienstleistungen zusammenbrechen.

„Frauen fahren Traktoren in der Landwirtschaft, erledigen Reparaturen zu Hause und auf der Arbeit, sie arbeiten in Bergwerken und als Polizistinnen, und sie fahren Rettungsfahrzeuge“, sagt Maria Gutsman, die als Teamleiterin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Kyjiw eng mit der EIB zusammenarbeitet.

Gutsman würde es begrüßen, wenn internationale Programme den Ukrainerinnen mit mehr Schulungsangeboten und Finanzmitteln für die von ihnen geführten Unternehmen helfen würden. Außerdem fordert sie für Frauen einen besseren Zugang zu Informationen über Zuschüsse, zu humanitärer Hilfe und Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Führungsqualitäten.

„Wir spüren gerade jetzt einen Zusammenhalt im Land, den es so noch nicht gab“, sagt Gutsman. „Frauen haben die Möglichkeit, neue Jobs zu übernehmen und sich eine neue Karriere aufzubauen. Das wird auch der Wirtschaft zugutekommen.“

Die schwierige Suche nach Baufirmen

Die EIB-Kreditreferentin Violaine Silvestro von Kameke (links) bei den Eröffnungsfeierlichkeiten für eine Schule in der Region Winnyzja in der Zentralukraine EIB

Eine der schwierigsten Aufgaben bei Wiederaufbauprojekten ist es, Bauarbeiter zu finden, die bereit sind, in der Nähe von Kriegsschauplätzen zu arbeiten, sagt die Kreditreferentin Violaine Silvestro von Kameke. Die EIB hat daher die Ausschreibungsverfahren flexibler gestaltet, damit sich mehr Firmen finden, die Schulen reparieren, Luftschutzbunker bauen und Versorgungseinrichtungen instand setzen können. Der Bau von Schulen ist dabei eine besondere Herausforderung, da jede mit einem Bunker ausgestattet sein muss.

„Ich war im Juli in Odessa und stand kurz vor der Ausreise, als mich Bombenwarnungen zwangen, im Luftschutzbunker zu bleiben“, erzählt Silvestro von Kameke. „Auch in Kyjiw musste ich in einer Nacht vier Mal in einem Bunker Schutz suchen. Ich war immer in Alarmbereitschaft und ständig müde, aber für die Menschen in der Ukraine ist das momentan Alltag.“

Auch die technischen Beraterinnen und Berater der EIB kehrten im Rahmen des JASPERS-Programms in die Ukraine zurück. JASPERS steht für Joint Assistance to Support Projects in European Regions – also für gemeinsame Unterstützung von Projekten in Europa. Im September besuchte ein Beraterteam Lwiw und Kyjiw, um darüber zu diskutieren, wie die Bahnverbindungen zwischen den Großstädten verbessert und die Zugverbindungen in andere Länder modernisiert werden können.

„Obwohl das Land mitten im Krieg ist, will die Ukraine die Weichen für die Zukunft stellen und richtet den Fokus auf ausgefeilte Pläne für den Wiederaufbau“, so Rafael Alcayde Ferrús, der seit diesem Jahr als Verkehrsingenieur für die EIB in die Ukraine reist. „Die Bank sorgt mit ihrer Beratung dafür, dass die Ukraine näher an die Europäische Union herangeführt wird.“

Ein kürzlich von der EIB unterstütztes, viel beachtetes Projekt ist das Sport- und Reha-Zentrum Kolos in Reschetyliwka, etwa 180 Kilometer westlich von Charkiw und der russischen Grenze. Dessen Modernisierung wurde mit einem Darlehen der EIB von 930 000 Euro finanziert. Viele Kinder und Erwachsene mit körperlichen oder seelischen Problemen, darunter auch Kriegsverletzte, erhalten dort Hilfe. So auch die Mitglieder der ukrainischen Volleyballmannschaft, die bei den Paralympics in Paris antrat.

Die EIB unterstützt die Renovierung von Schulen in vielen Teilen des Landes. Für zwei Schulen in der Region Winnyzja in der Zentralukraine wurden 2024 über 500 000 Euro bereitgestellt, um die Gebäude zu isolieren, neue Fenster und Türen einzubauen und die Schulen winterfest zu machen. Das kommt den mehr als 700 Lernenden und 100 Beschäftigten zugute. In Ternopil in der Westukraine wurde im September eine Vorschule für 250 Kinder wieder eröffnet, ausgestattet mit Wärme-Isolierung, Fußbodenheizung, einem neuen Heizkessel und einer Lüftungsanlage.

Der Blick in die Zukunft ist schwierig

Wenn es sicher ist, gehen Dmytro Chursin und sein Sohn Wadym an den Wochenenden in der Nähe von Odessa angeln. Sie haben eine Doppelhaushälfte in der Stadt am Schwarzen Meer gemietet, weil ihre Heimatstadt unweit von Cherson vom Krieg völlig zerstört wurde.
Dmytro Chursin

Wadym Chursin, der mit seinem Vater nach Odessa umgesiedelt ist, hat in den letzten fünf Jahren nur selten die Schule besucht – zuerst wegen Corona, dann wegen des Krieges. Es sei zwar schön, in der Nähe einer renovierten Schule mit neuen Möbeln und modernen Klassenzimmern zu wohnen, sagt er, aber wegen drohender Granaten- oder Raketenangriffe „fällt es den Lehrkräften wirklich schwer, zu arbeiten und die Schülerinnen und Schüler zu motivieren“.

An den Wochenenden geht Wadym mit seinem Vater angeln oder Gokart-Fahren, sofern die Sicherheitslage es zulässt. Was auf sein Land zukommt, weiß er nicht.

„Manchmal will ich gar nicht an die Zukunft denken, weil es mir schwerfällt, mir etwas Schönes vorzustellen“, sagt er. „Wir haben die Besetzung miterlebt, unser Haus, unsere Familie und unsere Freunde verloren und fangen jetzt wieder ganz von vorn an. Wir denken lieber nicht an die Zukunft oder die Vergangenheit, sondern leben im Hier und Jetzt und sind dankbar für das, was wir haben.“