Nadia Calviño sprach als Präsidentin der EIB-Gruppe bei einem Meinungsaustausch im Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments über die Lehren aus dem laufenden langfristigen EU-Haushalt
Vielen Dank, verehrter Vorsitzender.
Es ist wie immer eine große Freude, hier im Europäischen Parlament zu sein und sich mit Ihnen über den mehrjährigen Finanzrahmen auszutauschen.
Es ist auch eine Freude, so viele Freunde, Kolleginnen und Kollegen zu sehen, und es ist, milde ausgedrückt, eine Diskussion zur passenden Zeit.
Vielleicht sogar heute passender als gestern. Denn sicher haben Sie in verschiedenen Sitzungen heute darüber gesprochen: Die globale Ordnung, von der die EU in den letzten 80 Jahren profitiert hat, ändert sich gerade – so viel ist klar.
Und wenn Europa eine starke Stimme in der Welt haben und den Weg von Frieden, Wohlstand und Technologieführerschaft weitergehen will, dann müssen wir investieren.
Wir müssen Europas Kapital einsetzen, und dabei zahlt sich Einheit aus. Die europäische Wirtschaft hat den Stürmen der letzten Jahre vor allem deshalb gut standgehalten, weil wir gemeinsam in einem Geist der Einheit, Solidarität und Entschlossenheit reagiert haben. Kommissar Hahn verwies gerade darauf und auf den Einsatz gemeinsamer Finanzierungsinstrumente im großen Stil.
Der europäische Haushalt ist das wichtigste Finanzierungsinstrument, um die nötigen Maßnahmen und Projekte umzusetzen. Um Ressourcen zu bündeln für einen maximalen Effekt.
Und die EIB, die Europäische Investitionsbank-Gruppe, ist der wichtigste Durchführungspartner für die Mandate und Garantien unter dem EU-Haushalt, mit denen wir diese großen Investitionen für unsere gemeinsamen Prioritäten mobilisieren.
Wie Sie sicher wissen, ist die EIB-Gruppe wohl die größte multilaterale Entwicklungsbank der Welt, mit einer sehr großen Bilanzsumme von fast 600 Milliarden Euro. Sie ist auch die einzige Bank hier, die in der gesamten EU aktiv ist und Projekte in jeder einzelnen Region unserer Union finanziert.
Die EIB ist lokal verwurzelt und dient den Menschen und Unternehmen in unserer Union.
Wir investieren jährlich rund 88 Milliarden Euro, davon 90 Prozent in Projekte innerhalb der EU. Die übrigen 10 Prozent investieren wir außerhalb der EU, um Europas Stimme in der Welt zu stärken. Dabei ist die Unterstützung für die Ukraine derzeit unsere größte Priorität.
Künftig, so wird nachdrücklich gefordert, soll die EIB eine noch größere Rolle spielen. Ich meine, Sie haben gerade den Letta-Bericht diskutiert, den Draghi-Bericht, den Niinistö-Bericht. All diese Berichte befürworten einmütig die Rolle der EIB bei der Finanzierung vorrangiger Projekte.
Heute Morgen hatten wir eine erste Diskussion mit unserem Verwaltungsrat über den Operativen Plan für das nächste Jahr, der eine deutlichen Erhöhung des Finanzierungsvolumens auf bis zu 95 Milliarden Euro vorsieht. Das muss im Dezember natürlich noch vom Verwaltungsrat genehmigt werden und könnte Mitte nächsten Jahres, nach dem formellen Beschluss über eine Anhebung der Gearing Ratio, angepasst werden. Darüber werden wir gleich nach dieser Sitzung sprechen.
In diesem Operativen Plan spiegelt sich der Strategie-Fahrplan, den die 27 EU-Mitgliedstaaten als unsere Anteilseigner im Juni einstimmig gebilligt haben. Er konzentriert sich auf acht Ko-Investitionsprioritäten, die ganz den politischen Leitlinien der neuen Kommission entsprechen.
Erstens wollen wir die Rolle der EIB als Klimabank festigen. Mit über der Hälfte unserer Finanzierungen in der EU fördern wir die grüne Wende. Und das bedeutet: Investitionen in große Energieinfrastrukturen, nachhaltigen Verkehr und Erneuerbare, in die Dekarbonisierung der Schwerindustrie, in neue Kraftstoffe wie grünen Wasserstoff und Wasserinfrastrukturen.
Die jüngsten Überschwemmungen in Spanien und vor einigen Monaten in Mittel- und Osteuropa haben bestätigt, dass mehr in Anpassung und Resilienz investiert werden muss.
Und das ist nicht nur richtig, es ist auch klug. Denn jeder Euro, den wir in Resilienz und Anpassung investieren, spart fünf bis sieben Euro für die Reparatur von Schäden. Wasser rückt verstärkt in den Blick, mit dem fortschreitenden Klimawandel und seinen steigenden Kosten durch Dürren und Überschwemmungen.
Und so, wie wir Gelder für mitteleuropäische Länder bereitgestellt haben, die von Überschwemmungen betroffen sind, haben wir in dieser Sitzung mit unserem Verwaltungsrat über ein Soforthilfepaket für Spanien gesprochen, das wir zusammen mit der spanischen Regierung schnüren. Es soll Umschichtungen ermöglichen und die Auszahlung von bis zu 900 Millionen Euro für den Wiederaufbau von kritischer Infrastruktur aus bestehenden Fazilitäten beschleunigen. Dabei geht es darum, besser wieder aufzubauen – build back better –, damit die Infrastruktur solchen extremen Wetterereignissen künftig besser standhält.
Dies ist, denke ich, ein großartiges Beispiel dafür, wie wir den europäischen Haushalt nutzen können. Wie wir diese Mittel sehr schnell mit bestehenden Instrumenten mobilisieren können, die wir bei der Europäischen Investitionsbank-Gruppe haben.
Die zweite Priorität für die Zukunft ist mehr Tempo bei Digitalisierung und technologischer Innovation. Europa ist ein starker Technologiestandort. Wir haben führende Universitäten, Forschungszentren und Spitzenunternehmen in Gesundheit und Cleantech.
Wir müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihr Wachstum stärken, wie auch Letta und Draghi in ihren Berichten fordern.
Wenn wir alle unsere Instrumente und bestehenden Programme unter dem europäischen Haushalt bündeln, unter dem laufenden mehrjährigen Finanzrahmen, könnten wir 120 Milliarden Euro an Eigenkapitalinvestitionen mobilisieren. Wir könnten einen umfassenden strategischen Ansatz haben, um die Wirkung dieser Investitionen mit Eigenkapital und Venture Debt unter dem laufenden Finanzrahmen zu steigern. Und das ist eine sehr große Summe, die wirklich einen Unterschied machen kann. Wenn wir also überlegen, wie wir mit dem europäischen Haushalt mehr bewirken können: Hier ist noch Spielraum, um Finanzierungen im großen Stil zu mobilisieren.
Der Europäische Investitionsfonds ist ein führender Akteur in Europas Ökosystem für Risikokapital, und wir haben gesehen, dass der öffentliche Sektor wirklich private Mittel im großen Stil mobilisieren kann, um europäische Unternehmen mit einem sehr klaren Ziel zu finanzieren: Ideen, Technologien und Unternehmen, die in der EU geboren werden, sollen hier auch bleiben, wachsen und gedeihen können. Ich bin mir sicher, dass Sie alle diesem Ziel zustimmen.
Unsere dritte Priorität sind mehr Investitionen in Europas Sicherheits- und Verteidigungsindustrie unter Wahrung unseres AAA-Ratings.
Der Krieg in der Ukraine hat leider deutlich gemacht, dass Europa hier unabhängiger, geeinter sein muss, und diese Priorität ist heute extrem wichtig.
Wir sind seit Jahresbeginn stark von uns aus aktiv geworden. So können wir voraussichtlich schon im Laufe des Jahres 2024 einige Finanzierungen unterzeichnen und nächstes Jahr Fahrt aufnehmen.
Viertens wird die EIB weiter zu einer modernen Kohäsionspolitik beitragen. Ich weiß, das ist eine Top-Priorität für viele Abgeordnete, die heute hier sind.
Fast die Hälfte unserer jährlichen Finanzierungen innerhalb der EU fließen in Kohäsionsregionen. Sie ergänzen Zuschüsse aus dem EU-Haushalt für Projekte, die dort Chancen eröffnen, wo Talente sind.
Die fünfte Priorität: Unterstützung innovativer Finanzierungen für die Landwirtschaft und Bioökonomie.
Und es freut mich zu berichten, dass der Verwaltungsrat heute Morgen das bislang größte EIB-Programm für kleine und mittelgroße EU-Firmen in der Landwirtschaft und Bioökonomie beschlossen hat, mit drei Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2027. Wir loten außerdem Wege aus, Versicherungs- und Rückversicherungsmechanismen für die Landwirtschaft zu fördern.
Sechste Priorität: soziale Infrastruktur, der Kern der europäischen Lebensweise.
Das bedeutet Investitionen in Bildung, Gesundheit und Wohnraum – eine gemeinsame Herausforderung für die meisten europäischen Länder und auch eine Priorität für die neue Kommission.
Und schließlich: Investitionen außerhalb der EU. Hier liegt unsere Priorität auf Unterstützung für die Ukraine.
Im Moment ist die EIB-Gruppe wahrscheinlich der wichtigste Investitionspartner für die ukrainische Regierung, für eine erfolgreiche EU-Erweiterung und bei Projekten für mehr Stabilität im Mittelmeerraum und in Subsahara-Afrika.
Impact ist wohl das beste Wort, um unsere Rolle bei der Umsetzung wichtiger Mandate unter dem europäischen Haushalt zusammenzufassen, von der Ukraine-Fazilität bis zum Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit, kurz NDICI. Immer in enger Partnerschaft mit der Europäischen Kommission und im Sinne unserer strategischen Prioritäten.
Das ist es auf der Finanzierungsseite.
Unsere letzte Priorität sind Anstrengungen zur Stärkung der europäischen Kapitalmarktunion.
Zusammen mit der Kommission und den Mitgliedstaaten prüfen wir, wie wir Europas Vorreiterrolle bei grünen und digitalen Anleihen stärken können, um die Finanzierungslücke im Innovations- und Unternehmenszyklus zu schließen und um Großinvestitionen in Top-Prioritäten wie kritische Rohstoffe zu unterstützen.
Ich kann in der Frage-und-Antwort-Runde näher auf dieses sehr wichtige Element der Kapitalmarktunion eingehen, die meines Erachtens jetzt gerade mit obenan steht.
Lassen Sie mich mit einer letzten Botschaft zur zentralen Bedeutung des EU-Haushalts und einem Aufruf zum Handeln schließen:
Garantien und Mandate aus dem europäischen Haushalt sind unverzichtbar für die EIB-Gruppe, damit sie ihr Kapital hebeln, risikoreiche Aktivitäten finanzieren und gleichzeitig ihr AAA-Rating halten kann.
Der EU-Haushalt ist auch von entscheidender Bedeutung, um Beratung über Programme wie JASPERS zu finanzieren. Programme, die wirklich helfen, Projekte zu planen und Verwaltungskapazitäten aufzubauen, für unsere Volkswirtschaften und unsere Partner.
Dank InvestEU bauen wir beispielsweise in Finnland jetzt die erste vollintegrierte Anlage für den Abbau und die Verarbeitung von Lithium. Und wir unterstützen die Ukraine bei der Vorbereitung von Projekten und dem Wiederaufbau ihrer Infrastruktur.
Nach Schätzungen der Europäischen Kommission schiebt jeder Euro aus dem EU-Haushalt, der über Finanzinstrumente investiert wird, Investitionen der Endempfänger von durchschnittlich 15 Euro an.
Die EIB kann also eindeutig die Wirkung von jedem Euro aus dem europäischen Haushalt steigern und multiplizieren.
Damit zu meinem Handlungsaufruf für die Zukunft, lieber Vorsitzender, und ich zähle da auf Ihre Unterstützung. Ich möchte mit dieser letzten Botschaft schließen: Jeder neue Rahmen und jede Maßnahme, die wir unter dem laufenden mehrjährigen Finanzrahmen ergreifen, sollte wirklich auf Optimierung und Vereinfachung zielen. Denn die Mandatsverwaltung ist mit den Jahren immer komplizierter geworden.
Die EIB-Gruppe verwaltet 50 Mandate für die Europäischen Kommission. Davon stammen 38 aus vorangegangenen Programmplanungszeiträumen, aber sie binden immer noch finanzielle Ressourcen und erfordern eine sehr umfangreiche Überwachung.
Wir betreuen außerdem 87 Mandate, bei denen wir Ressourcen unter gemeinsamer Verwaltung einsetzen. Sie haben das sicherlich gerade mit den Rechnungshof besprochen. Es bedeutet, dass wir nicht weniger als 440 Berichte erstellen müssen, nur um der Europäischen Kommission über die Mandate zu berichten, die wir verwalten.
Der Impact europäischer Investitionen und das Tempo, mit dem sie umgesetzt werden, ließe sich also deutlich steigern.
Wir könnten uns auf die Vereinfachung, Optimierung und Konsolidierung bestehender Mandate konzentrieren. Dazu könnten wir alte Mandate beenden und sie in drei übergreifende große Mandate integrieren. Damit könnten wir nach unseren Schätzungen zusätzliche Investitionen von 50 Milliarden Euro unter dem laufenden mehrjährigen Finanzrahmen anstoßen.
Wenn wir weltweit vorne bleiben wollen, können wir nicht bis zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen warten und dann versuchen, die maximale Wirkung mit dem EU-Haushalt zu erzielen. Deshalb warten wir auf die endgültige Bestätigung der neuen Kommissarinnen und Kommissare durch das Europäische Parlament.
Aber natürlich sind wir schon jetzt im Kontakt mit der Kommission und sehen zu, wie wir die Wirkung vor Ort für die Menschen und Unternehmen in Europa optimieren und maximieren können.
Mit diesem Appell möchte ich schließen und zähle auf ihre Unterstützung bei diesem Bemühen.
Ich bin sehr gespannt auf ihre Ansichten zu diesen Themen und wie wir unsere Partnerschaft mit den verschiedenen europäischen Institutionen stärken können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Ich freue mich auf unsere Diskussion!