Die rasant gestiegenen Lebenshaltungskosten sind eine Folge der hohen Energiepreise und des Ukraine-Kriegs. Sie treffen vor allem Europas Kohäsionsregionen. Unsere Investitionen zur Überwindung dieser Krise müssen auf einen langfristigen Übergang zu einer CO2-freien, energieunabhängigen Zukunft ausgerichtet sein
Die Krise der Lebenshaltungskosten ist im Kern eine Energiekrise – ausgelöst durch Russland, um Europas Einheit zu schwächen und unsere Werte zu untergraben, die wir in der Ukraine verteidigen. Dies führt in der Tat zu neuen sozialen und regionalen Herausforderungen. Doch es zeigt vor allem, wie wichtig Investitionen der EU sind, damit sich ärmere, benachteiligte Regionen in Europa an eine sich verändernde Welt anpassen können. Unsere Investitionen zur Überwindung der Krise müssen auf einen langfristigen Übergang zu einer CO2-freien, energieunabhängigen Zukunft ausgerichtet sein
Der massive Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise, der durch die russische Invasion ausgelöst wurde, könnte bis zu 11 Millionen Menschen in Europa unter die Armutsgrenze drücken, befürchten unsere Ökonominnen und Ökonomen, die am 28. Februar ihren jährlichen Investitionsbericht veröffentlichen. Sinkende Lebensstandards wegen steigender Lebenshaltungskosten sind ein Phänomen, das ganz Europa trifft – einige Gruppen allerdings stärker als andere. Denken wir nur an die ärmeren, jüngeren und weniger qualifizierten Haushalte, die schon in der Pandemie hart rechnen mussten und meist einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben. Den größten Anstieg der Armut dürften Länder mit höherer Inflation und mehr Ungleichheit verzeichnen wie etwa die mittel- und osteuropäischen Länder, gerade im Baltikum.
Wie stark die verschiedenen Regionen in Europa betroffen sein werden, hängt davon ab, wie sie strukturell aufgestellt sind, wie widerstands- und anpassungsfähig ihre Volkswirtschaften sind und wie nahe sie dem Krieg in der Ukraine sind. Je weiter östlich sie liegen, je höher ihre Arbeitslosigkeit und je energieintensiver ihre Industrie, desto höher die Belastung.
Die Welt verändert sich, und das führt zu Herausforderungen. Europas Einheit ist in diesem Zusammenhang seine größte Stärke. Aber Einheit ist nicht selbstverständlich. Um sie zu bewahren und zu fördern, muss die EU weiter in ihren Zusammenhalt investieren.
Die europäische Kohäsionspolitik, also die Investition in einen höheren Lebensstandard in wirtschaftlich schwächeren Regionen, war stets der sichtbarste Ausdruck europäischer Solidarität und Verflechtung. Sie ist ein wichtiger Motor für wirtschaftliche Konvergenz und Wachstum in Mittel- und Osteuropa und bietet gleichzeitig starken Rückhalt in Krisenzeiten. Die Kohäsionspolitik war eines der ersten Instrumente der EU, um die wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie einzudämmen. Mit dem CARE-Programm (Einsatz von Kohäsionsmitteln zugunsten von Flüchtlingen in Europa) trat die EU einigen kurzfristigen Folgen des Krieges erfolgreich entgegen.
In der aktuellen Haushaltsperiode von 2021 bis 2027 will die EU den sozialen und regionalen Zusammenhalt mit 244 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds fördern. Hinzu kommen die Investitionen zwischen 2021 und 2026 aus der Aufbau- und Resilienzfazilität. Hiervon sind 193 Milliarden Euro für den sozialen und territorialen Zusammenhalt vorgesehen. Die größten Nutznießer (im Verhältnis zu ihrem BIP) werden die Länder Mittel- und Osteuropas sein, die besonders hart von den Kostensteigerungen getroffen sind.
2021 beschloss die Europäische Investitionsbank, die Kohäsionsförderung neu anzugehen: umfassender, mutiger, gezielter. Damit baut die Bank der EU ihre Unterstützung für die schwächeren Regionen Europas aus, wobei sie gleichzeitig sicherstellt, dass die Hälfte ihrer Finanzierungen für Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit vergeben werden.
Die beiden letzten Bereiche sind besonders wichtig für weniger entwickelte Kohäsionsregionen und für all jene, die wegen der steigenden Energiepreise Probleme haben, ihre Wohnungen zu heizen, ihre Autos zu betanken oder den Strom für ihre Unternehmen zu bezahlen.
Um den Kohäsionsregionen zu helfen und gleichzeitig die Energiekrise zu überwinden, müssen wir Investitionen den Vorzug geben, die beiden Zielen dienen. Etwa Investitionen in saubere Energie, sauberen Verkehr und Energieeffizienz. Sie können Regionen wirtschaftlich stärken und gleichzeitig die CO2-Emissionen reduzieren und Europa energieunabhängiger machen. Ich bin der Meinung: Wenn wir den europäischen Zusammenhalt fördern, indem wir in den am stärksten betroffenen Regionen in die grüne und digitale Wende investieren, dann ermöglichen wir nicht nur diesen Regionen sondern ganz Europa, stärker, grüner und besser vorbereitet in die Zukunft zu gehen.