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Die Entwicklung des Stadtsystems: Anpassung und Investitionen in europäischen Städten
4.1 Entwicklungs- und Investitionszyklen in europäischen Städten
An diesem Punkt stellen sich zwei zentrale Fragen:
- Wie haben die europäischen Städte nach ihrem demografischen und wirtschaftlichen Niedergang die Wende geschafft?
- Was hat es ihnen ermöglicht, sich aus nationalen Hierarchien zu befreien und ihren Platz in einem neuen System zu finden, das auf konzentrierten Clustern und Strömen beruht?
Investitionen trugen zumindest zu dieser Entwicklung bei. Zunächst waren Investitionen für europäische Städte ein Mittel, um das Wachstum anzukurbeln und sich dem Niedergang der Innenstädte entgegenzustemmen. Später dienten sie zur regionalen Spezialisierung und Förderung neuer Industrien wie Technologie und Innovation. Dies trug zum Entstehen des derzeitigen Systems bei.
Der erste Investitionszyklus der europäischen Städte: 1980er- bis 2000er-Jahre
Ab den 1980er-Jahren führten die Städte umfangreiche Sanierungsprogramme durch, um das Wachstum in den Innenstädten anzukurbeln. In Rückbesinnung auf ihre Geschichte und Kultur setzten sie häufig auf die zahlreichen, aber vernachlässigten öffentlichen Bauten wie Rathäuser, Bibliotheken, Universitäten, Parks und öffentliche Plätze. [54]
Historische öffentliche Gebäude wurden restauriert, Industrieanlagen umgewidmet und attraktive Fußgängerzonen geschaffen. Außerdem unterstützten die Städte die Gründung neuer Dienstleistungsunternehmen, indem sie Inkubatorzentren einrichteten oder alte, verlassene Industriegebiete umwidmeten. Dadurch entstand ein neues wirtschaftliches Klima, das günstig für den privaten Sektor war und neue Arbeitsplätze schuf. So verbesserte sich das Umfeld, die Menschen zogen zurück in die Innenstadt und auf einen jahrzehntelangen Niedergang folgte ein Aufschwung. [55]
Der Staat spielte dabei eine zentrale Rolle. Er stellte die finanziellen Mittel für Umwidmungs- und Sanierungsprogramme bereit. [56] Entscheidend für die erfolgreiche Sanierung der Städte war jedoch, dass diese bei ihren Investitionsvorhaben auch auf Kompetenzen des privaten Sektors zurückgriffen. [57] Ohne diese private Unterstützung wären viele Großprojekte der 1980er- und 1990er-Jahre – etwa in Barcelona, den Londoner Docklands oder dem Stadtzentrum in Manchester – nicht möglich gewesen.
Darüber hinaus investierten die Städte massiv in die Verkehrsinfrastruktur. Sie wollten den öffentlichen Nahverkehr grundlegend verbessern, um den Individualverkehr zu verringern und den Flächenverbrauch durch Straßen zu bremsen. Außerdem sollten neue Anbindungen geschaffen, die Produktivität gesteigert und die Luftqualität verbessert werden. In den vergangenen Jahrzehnten investierten europäische Städte insbesondere in eine bessere Abstimmung der öffentlichen Verkehrsverbindungen. Hamburg führte als erste Stadt im Jahr 1967 mit dem Verkehrsverbund ein vollständig integriertes ÖPNV-System ein. Von 1970 bis zum Jahr 2000 entwickelten die meisten Großstädte ähnliche Systeme mit aufeinander abgestimmten Anschlüssen und Fahrpreisen. [58]
Zudem investierten die Städte in die Modernisierung und den Ausbau ihrer öffentlichen Verkehrsdienste. Der Fuhrpark wurde nahezu komplett ausgetauscht, es wurden neue Haltestellen, Fahrwege und Leitsysteme gebaut, und die Schieneninfrastruktur wurde modernisiert. Durch die quantitative und qualitative Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs sowie durch relativ niedrige Fahrpreise konnte die Auslastung des öffentlichen Nahverkehrs in europäischen Städten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesteigert werden. Dies gilt vor allem für westeuropäische Städte: Die Personenkilometer erhöhten sich im U-Bahn- und Straßenbahnbetrieb um 39 Prozent, im Schienenverkehr um 38 Prozent und im Busverkehr um 11 Prozent. [59]
Der zweite Investitionszyklus der europäischen Städte: ab den 2000er-Jahren
Seit den 2000er-Jahren investierten die Städte auch in Technologie und Innovation, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Zu den thematischen Zielen der EU-Kohäsionspolitik für die Jahre 2014–2020 gehören die Verbesserung des Zugangs zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und die Verbesserung ihrer Nutzung und Qualität. Dies umfasst auch die Entwicklung von IKT-Produkten und -Dienstleistungen und die Stärkung von IKT-Anwendungen. Der eGovernment-Aktionsplan der EU (2016–2020) sieht konkrete Maßnahmen vor, um die vorhandenen Rechtsvorschriften schneller umzusetzen, damit beispielsweise Online-Dienste genutzt werden können. [60]
Außerdem wird zunehmend in Klimaschutz- und Umweltmaßnahmen investiert. Jahrzehntelang wurden Städte als Umweltprobleme angesehen. Die Strategien konzentrierten sich europaweit vor allem darauf, Armut, Kriminalität und Verfall in den Städten zu bekämpfen. In jüngster Zeit dagegen haben Klima- und Umweltthemen stark an Bedeutung gewonnen, zumal die europäischen Regierungen mittlerweile strengere und ehrgeizigere Ziele setzen. Die Klimakonferenz von Paris war in dieser Hinsicht ein wichtiger Meilenstein, weil er verdeutlichte, dass Städte nun gemeinhin als Teil der Lösung gesehen werden. [61]
Im vergangenen Jahrzehnt haben sich die Städte zu wichtigen Akteuren im Klimaschutz entwickelt. Manche investierten in ihr Industrie- und Technik-Know-how und gehören jetzt zu den Vorreitern der neuen Umweltbranchen. Städte wie Stockholm, Berlin und London haben damit begonnen, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Dies gilt zunehmend als ein wichtiger Baustein einer nachhaltigen Zukunft für die europäischen Städte. [62]
Die EU-Kommission setzt sich besonders für Reformen ein, die Anreize für den Finanzsektor schaffen, zu dieser „grünen Wende“ beizutragen. Die Investitionsoffensive für Europa – der sogenannte Juncker-Plan – hat bereits Investitionen in Höhe von über 250 Milliarden Euro ermöglicht und Mittel aus verschiedenen anderen europäischen Geldquellen, darunter den Strukturfonds, mobilisiert, die zur Finanzierung zahlreicher Projekte in den Bereichen Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft beitragen. [63]
4.2 Europas Städte finanzieren
Woher kam das Geld bisher?
Sowohl die nationalen Regierungen als auch die Städte haben eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Bisher gehörte es nicht zu den Kernaufgaben der Stadtverwaltungen, externes Investitionskapital anzuziehen. In dieser Hinsicht mangelt es ihnen an Befugnissen, Kapazitäten und Kompetenzen. In Europa verfügen die Stadtverwaltungen in der Regel nicht über einen vergleichbaren fiskalischen und finanziellen Spielraum wie in Nordamerika. Selbst in nicht allzu zentral organisierten Staaten können die Städte nicht allein für ihren gesamten Investitionsbedarf aufkommen. [64] Gleichzeitig haben sich die Nationalregierungen einer externen Haushaltsdisziplin unterworfen (Stabilitätspakt/Maastricht-Prinzipien für die Mitgliedschaft im Euroraum), weshalb sie ihre öffentlichen Investitionen nicht einfach durch die Aufnahme höherer Schulden steigern können.
In Europa finanzieren die Kommunen Infrastrukturinvestitionen vor allem aus eigenen Mitteln. Darüber decken sie 50 Prozent des gesamten Finanzierungsbedarfs. Transferzahlungen nationaler und subnationaler Stellen decken weitere 23 Prozent ab, externe Finanzierungen einschließlich Bankkrediten 18 Prozent und EU-Mittel einschließlich der EU-Strukturfonds 8 Prozent. [65]
Investitionstrends in europäischen Städten
Es zeigt sich zunehmend, dass die Ziele der EU nur dann erreicht werden können, wenn auch die europäischen Städte langfristig erfolgreich sind. Dafür müssen Entwicklungs- und Investitionserfordernisse erfüllt werden. Vor diesem Hintergrund wird der private Sektor inzwischen deutlich stärker in die Investitionstätigkeit eingebunden.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten haben sich öffentliches und privates Kapital bei erfolgreichen Investitionen der Städte in den meisten Fällen gut ergänzt. Es zeigte sich immer deutlicher, wie wichtig private Investitionen sind. Zum einen helfen sie, die Finanzierungslücke zu schließen, und zum anderen sorgen sie in einem Projekt für eine gewisse Marktdisziplin, erhöhen die Qualität des Ergebnisses und zeigen den Anlegern insgesamt, dass es sich lohnt, in eine Stadt zu investieren. [66]
Die „Investitionslücke“
In den vergangenen fünf Jahren haben 42 Prozent aller Kommunen in der EU ihre Investitionstätigkeit gesteigert. [67]
Zwar ziehen die Städte effektiv Investitionen an und bieten auch eine angemessene externe und interne Verzinsung. Dies bedeutet aber nicht, dass alle europäischen Städte den erforderlichen oder gewünschten Zugang zu Investitionsmitteln haben. Vielmehr besteht in Europas Städten immer noch eine „Investitionslücke“.
Diese Lücke beschränkt sich nicht allein auf das verfügbare Kapital, sondern betrifft weitere Bereiche:
- Lücken im institutionellen Rahmenwerk – Öffentliche Investitionen sollen sich innerhalb kurzer Zeit rentieren, so die Erwartung. Deshalb werden die Rückzahlungsfristen kürzer gesetzt, sind nicht immer realistisch und bieten nicht die passenden Anreize für umfangreiche öffentliche Investitionen.
- Lücken bei der Zusammenarbeit – Es mangelt oft an der Koordination zwischen unterschiedlichen öffentlichen Institutionen in derselben Stadt. Hinzu kommt, dass PPPs und andere Investitionsmöglichkeiten noch nicht so weit entwickelt sind, dass sie überall angewendet werden können oder überall Vertrauen genießen.
- Wissenslücken – Den öffentlichen wie den privaten Akteuren ist zuweilen nicht klar, wie die jeweils andere Seite arbeitet und was für eine effektive Zusammenarbeit erforderlich ist. Außerdem mangelt es an Informationen über Investitionsmöglichkeiten . [68]
Neue Wege für Investitionen europäischer Städte
Um die Investitionslücke zu schließen, wurden verschiedene neue Strategien für eine bessere Kapitalausstattung vorgeschlagen. Insbesondere in den vergangenen zehn Jahren ging es wieder verstärkt darum, die Investitionsflüsse zu steigern. Hier sind einige wichtige Neuerungen zu nennen.
Erstens wird inzwischen mehr Gewicht auf die Bankfähigkeit gelegt. Die Finanzinstitute unterstützen die Kommunen bei der Entwicklung moderner Asset-Management- und Unternehmensfinanzierungssysteme. Ein Grund dafür ist die Erkenntnis, dass die Investitionslücken je nach Stadttyp unterschiedlich sind und daher jeweils andere Strategien benötigt werden, um sie zu schließen. Je stärker sich das europäische Stadtsystem ausdifferenziert, desto deutlicher wird, dass die unterschiedlichen Stadttypen auch unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und dementsprechend auch jeweils andere Investitionen benötigen. So sehen die Investitionslücken beispielsweise in Wissenszentren anders aus als in Forschungszentren, und damit sind auch andere Investitionsstrategien erforderlich. [69]
Außerdem wird Wert darauf gelegt, die Städte bei der Entwicklung solider Haushaltsstrategien zu unterstützen. Dies ist der erste Schritt zur Schaffung des notwendigen Vertrauens, damit sie sich in einer Weise darstellen können, die bei den Geldgebern Vertrauen erweckt.
Zweitens gewinnen neue Fremdkapitalarten an Bedeutung. Neben traditionellen Bankkrediten werden längerfristige strukturierte Finanzierungen wie über Anleihen immer beliebter. Möglich wurde dies durch neue Kreditinstrumente wie revolvierende Kredite sowie Garantien und Anreize, die die Risiken privater Investitionen verringern sollen.