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    Etwa jede dritte Frau weltweit erlebt häusliche Gewalt, so die Statistiken. Die wahre Zahl liegt wohl höher, weil viele Opfer sich gar nicht melden. Und mit der Pandemie ist das Problem nur noch schlimmer geworden. 

    Die Vereinten Nationen definieren häusliche Gewalt als „Verhalten in einer Beziehung, das eingesetzt wird, um Macht und Kontrolle über eine Bezugsperson zu gewinnen oder zu erhalten“. Betroffen sind nicht nur Frauen, und es geht auch nicht nur um körperliche Gewalt. Emotionaler, wirtschaftlicher, psychologischer oder sexueller Missbrauch zählen ebenfalls dazu. Weniger als 40 Prozent der Opfer suchen Hilfe und weniger als 10 Prozent gehen zur Polizei.  

    „Wenn Menschen Opfer von häuslicher Gewalt werden, dann sind die Täter oft Personen, denen sie besonders vertrauen – vielleicht die Liebe ihres Lebens“, sagt Rhiana Spring, die Gründerin von Spring Action-Compassion-Technology, kurz Spring ACT. „Sich selbst das einzugestehen, ist wirklich schwer. Es einer Freundin oder einem Freund oder anderen zu erzählen, noch viel schwerer.“ 

    Seit Dezember 2021 bietet Spring ACT Opfern einen sicheren, anonymen Weg, sich über Anzeichen von Missbrauch und Hilfsangebote zu informieren, Beweise zu sammeln und ihre Flucht zu planen.  

    Die Rede ist von dem Chatbot Sophia. Mit ihm gewann Spring ACT 2023 den ersten Preis in der allgemeinen Kategorie des Wettbewerbs für Soziale Innovation. Damit zeichnet das EIB-Institut jedes Jahr Start-ups aus, die sich sozial, ethisch oder ökologisch engagieren. 

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    Hilfe auf Knopfdruck

    Sophia ist weltweit rund um die Uhr erreichbar. Einfach sophia.chat auf dem Smartphone oder Computer in den Browser eingeben und loschatten. Oder den Hinweisen auf der Website folgen und WhatsApp, Telegram oder Viber nutzen. Wer nicht gut lesen und schreiben kann, meldet sich am besten über den Videochat.  

    Der Chatbot erklärt, wie er helfen kann, und zwar auf drei Wegen: Er informiert über Hilfsangebote, bietet einen Chat über Beziehungen und speichert Beweismaterial. Sophia schreibt beispielsweise: „Falls du dich alleine fühlst, sollst du wissen, dass es viele Menschen gibt, die da sind, um dir zu helfen.“ 

     „Sophia hilft zu erkennen, was eine gesunde Beziehung ausmacht, was Anzeichen von Missbrauch sind und wie man da rauskommt“, sagt Rhiana Spring. „Wir wollen die Betroffenen vor allem zu einer Anlaufstelle führen, wo sie Hilfe finden – zu Menschen, die für sie da sind. Sophia senkt die Hemmschwelle, sich dorthin zu wenden.“ 

    Der Chatbot hilft auch, Beweise zu sammeln. Fotos von Blutergüssen etwa oder Screenshots verletzender Nachrichten. Er speichert sie in einem innovativen digitalen Safe. Der Safe ist verschlüsselt. Er lässt sich über ein Bild öffnen, in dem Sophia ein mit steganografischen Mitteln verborgenes Passwort verbirgt.  

    „Das Passwort muss extrem sicher sein, weil dahinter hochvertrauliche Beweisdaten liegen können. Polizeiberichte, ärztliche Befunde und ähnliches“, sagt Spring. „Da können Sie das Passwort nicht irgendwo notieren oder auf dem Computer speichern. Sie müssen es ja vor jemandem verbergen, der vielleicht mit Ihnen zusammenwohnt.“  

    Sobald das Fenster geschlossen wird, überschreibt Sophia den Browserverlauf und ersetzt die Seite mit einer nicht auffindbaren falschen Website. 

    Der Chatbot Sophia hilft, Anzeichen von Missbrauch zu erkennen und Auswege zu finden
    Spring ACT

    Mit Technologie für Menschenrechte

    Spring war gerade 17, als sie in ihrer Schweizer Heimat ins Geschäftsleben startete, mit Computerprogrammen, die sie nebenher schrieb. Nach dem Jurastudium in England arbeitete sie als Expertin für Menschenrechte in verschiedenen Ländern.  

    Die Idee zu Spring ACT kam ihr 2017 im Senegal. Eine Flüchtlingsfamilie war auf der Suche nach einer Schule für ihr Kind und bat sie in ihrem dortigen UN-Büro um Hilfe. Spring erinnert sich noch gut: „Ich sprach mit Leuten in meinem Netzwerk und nach dem Wochenende hatten wir drei Plätze in Aussicht. Innerhalb eines Monats ging das Kind zur Schule. Wir schafften es, die Familie mit der richtigen Anlaufstelle in Kontakt zu bringen.“ 

    Da wurde ihr klar, dass Technologien helfen könnten, Menschen und Organisationen zusammenzubringen. „Menschen in schwieriger Lage wissen oft, was sie brauchen“, erklärt sie. „Sie wissen aber vielleicht nicht, wo sie das finden.“  

    Als die Pandemie kam und häusliche Gewalt massiv zunahm, beschloss sie, sich auf diese Opfer zu konzentrieren. „Damit trafen wir einen Nerv in der Gesellschaft und laufen seither der Nachfrage hinterher.“ 

    Was der Chatbot bewirkt, lässt sich schwer messen, weil die Nutzung anonym bleibt. Spring ACT weiß aber: Seit Ende 2021 haben Menschen aus 143 Ländern sophia.chat besucht, und mehr als 30 000 Personen haben mit Sophia gechattet. 

    Selbstbewusst und sicher

    Spring ACT arbeitet mit einem Kernteam und rund 80 Freiwilligen, die alle von zu Hause aus arbeiten. Auf allen Ebenen der Organisation sind Menschen mit Missbrauchserfahrung dabei, damit Sophia passend auf die Bedürfnisse der Opfer reagiert.  

    Grundsätzlich ist der Chatbot überall verfügbar, mit praktischem Rat, dem digitalen Safe und Kontaktdaten nationaler Organisationen. In bislang vier Ländern ist er außerdem mit landesspezifischeren Informationen am Start. 

    Das Angebot auszuweiten, mit genauen Hinweisen für jedes Land, ist eine gewaltige Aufgabe. Ganz zu schweigen von der Arbeit, die Angaben auf dem neuesten Stand zu halten. Betroffene für die Leistungen zahlen zu lassen, kommt für Spring ACT nicht infrage. Aber Geld und Kapazitäten sind schon ein großes Problem. Der Preis von der EIB hat Sophia das Überleben gesichert, sagt Rhiana Spring. Er deckt das halbe Jahresbudget ab, mit dem das Start-up sein Team und mehr Kapazitäten aufbaut. 

    Gleichzeitig arbeitet Spring ACT schon an weiteren Tools: Comeback CatZ etwa – eine App, die schlagfertige Antworten auf alltäglichen Sexismus liefert. Es richtet sich an einen anderen Personenkreis. Einige Leistungen sollen kostenlos sein, andere kostenpflichtig. Die Einnahmen fließen dann in das Angebot gegen häusliche Gewalt.   

    Spring ACT nutzt technische Möglichkeiten, um Menschen zu stärken und gegen soziale Missstände vorzugehen. Als es um einen Namen für die Firma ging, stand ACT schnell fest, die Abkürzung für „Action – Compassion – Technology“. Aus dem Team kam dann der Vorschlag „Spring“ dazu, aber Rhiana wehrte ab: „Wir sind ein Team, das bin ja nicht nur ich.“ Ihre Mutter meinte jedoch: „Rhiana, die Jahreszeit gehört dir nicht.“ Und so nahmen sie dann doch „Spring“ – den Frühling, die Jahreszeit des Neubeginns. „Manchmal bist du vielleicht in einer schwierigen Lage“, sagt Spring. „Aber es gibt Hoffnung. Du musst durch die harte Zeit durch, dann scheint auch wieder die Sonne und es geht aufwärts.“