Mehr Ernährungssicherheit in Tunesien: 150-Millionen-Euro-Kredit für den Weizenankauf und moderne Getreidesilos
Als im Frühjahr 2022 die Weizenpreise weltweit auf den höchsten Stand seit 20 Jahren stiegen, kostete in Tunesien ein Baguette weiter so viel wie seit über 15 Jahren.
Ein Subventionsprogramm hielt den amtlich festgesetzten Brotpreis für die tunesische Bevölkerung unverändert bei 0,19 tunesischen Dinar (etwa 6 Eurocent). Doch die Kosten für das Programm explodierten. Wegen ausbleibender Lieferungen infolge der Coronakrise und des russischen Angriffs auf die Ukraine verdoppelten sich die Weizenpreise bis Mai 2022 gegenüber dem Vorjahr auf über 430 US-Dollar pro Tonne. Tunesien, das rund 95 Prozent des Weichweizens für Brot importiert, musste 2022 plötzlich 250 Millionen Dollar mehr dafür ausgeben.
Das ist viel Geld für ein wirtschaftlich angeschlagenes Land. „Natürlich hat der Krieg in der Ukraine die Importe von Getreide und anderen Grundnahrungsmitteln verteuert und gestört“, so Nabil Zarrouk, stellvertretender Generaldirektor des tunesischen Getreideamts, das für die Getreideversorgung des Landes zuständig ist. Tunesien importiert in normalen Zeiten etwa ein Zehntel seines Weizens aus Russland und 65 Prozent aus der Ukraine.
Um künftigen Preiskrisen bei Nahrungsmitteln besser standhalten zu können, plant Tunesien, sein Netz von Getreidesilos im ganzen Land auszubauen und zu sanieren. Mittelfristig will das Land seine Vorräte so von zwei auf vier Monate verdoppeln. „Das Ziel ist hochgesteckt“, sagt Giovanni Munoz Castaneda, leitender Ingenieur für das Projekt in der Abteilung Bioökonomie der Europäischen Investitionsbank (EIB).
Die EIB hat im Dezember 2022 ein Darlehen von 150 Millionen Euro für das Projekt unterzeichnet. Davon sind 82 Millionen Euro für den Kauf von Getreide bestimmt.
Mehr Nahrungsmittelreserven
In den neuen Getreidesilos kann Tunesien auch das im Land geerntete Getreide sicher lagern und so Nahrungsmittelverluste vermeiden. Während Tunesien nur fünf Prozent seines Bedarfs an Weichweizen selbst produziert, sind es bei Hartweizen etwa 50 bis 60 Prozent. Hartweizen wird für die Herstellung von Couscous und Nudeln verwendet, die in Tunesien zu den Grundnahrungsmitteln zählen.
Das Projekt umfasst:
- Bau und/oder Instandsetzung von Feldsilos zur Lagerung von Korn und Getreide, einschließlich zusätzlicher Infrastruktur, um die Silos an den Schienenverkehr anzubinden
- Bau und/oder Instandsetzung von Silos in großen Häfen, in denen Getreideimporte ankommen, einschließlich Eisenbahninfrastruktur. Mit den neuen Silos kann Tunesien per Schiff importierten Weizen schneller entladen und dadurch Verzugszahlungen vermeiden
- Mittel für technische Hilfe. So kann das Getreideamt die Qualitätsstandards der EIB für Umwelt- und Sozialverträglichkeit erfüllen und die Digitalisierung der Regierungsbehörde vorantreiben
Die Planungen der neuen Siloinfrastruktur dürften etwa ein Jahr dauern. Danach wird jedoch mit einem zügigen Bau gerechnet.
Zarrouk vom Getreideamt weist darauf hin, dass Tunesien mit den neuen Silokapazitäten Weizen kaufen kann, wenn die Preise niedrig sind. Das ist bei geringen Lagerkapazitäten oft nicht möglich. „Außerdem wird Tunesien dadurch widerstandsfähiger gegenüber Schocks und Nahrungsmittelkrisen“, so Zarrouk weiter.
Brot als Grundnahrungsmittel
15 Prozent der Menschen in Tunesien leben unter der nationalen Armutsgrenze. Brotsubventionen helfen armen Menschen, täglich ihre Kalorien zu bekommen. Armut und Unterernährung nehmen in vielen Ländern wieder zu, nachdem sie 15 bis 20 Jahre lang stetig zurückgegangen waren, so Munoz Castaneda von der EIB. „Die allgemeine Wirtschaftslage hat sich in den letzten fünf Jahren verschlechtert“, sagt er, „und das hat zu mehr Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung geführt.“
Hohe Brotpreise lösten in Tunesien in den 1980er-Jahren die sogenannten Brot-Unruhen aus und waren einer der Auslöser des Arabischen Frühlings, einer Serie von Protesten, die die arabische Welt in den Zehnerjahren erschütterten. „Länder wie Tunesien und Ägypten haben in der Vergangenheit die Folgen von Instabilität und sozialen Unruhen erlebt und tun alles, damit sich das nicht wiederholt“, so Munoz Castaneda.
Er räumt allerdings ein, dass die Versorgung der gesamten tunesischen Bevölkerung mit subventioniertem Brot – im Vergleich zu einem ähnlichen Programm in Ägypten, das rund 70 Prozent der Menschen abdeckt – zu Verschwendung führe. Deshalb überlegt die tunesische Regierung derzeit, wie sie das Programm reformieren und gleichzeitig weiterhin das Brot für die ärmsten Haushalte subventionieren kann.
Laut Zarrouk hatte Tunesien im vergangenen Jahr vorher günstig eingekauft und konnte daher die lokalen Märkte weiter beliefern. „Das hat uns geholfen, die Auswirkungen des Kriegs abzufedern“, sagt er. Doch die Mittel werden immer knapper. „Das Liquiditätsproblem macht es uns schwer, unseren Bedarf an importiertem Getreide zu decken.“
Bitte um Hilfe
Der klamme tunesische Staat kann sich nur unter großen Schwierigkeiten Geld auf den internationalen Finanzmärkten leihen. Die EIB finanziert deswegen gemeinsam mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Afrikanischen Entwicklungsbank und der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung den Ankauf von Weizen und den Bau von Getreidesilos.
Neben dem Kredit über 150 Millionen Euro beantragt die EIB bei der Europäischen Union einen Zuschuss von 20 Millionen Euro für Infrastruktur und technische Hilfe bei der Projektvorbereitung. Der EIB-Kredit ist durch eine Garantie des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI) abgesichert, das außerhalb der EU Armut bekämpft und eine nachhaltige Entwicklung fördert. Die 82 Millionen Euro der EU-Bank für den Ankauf von Getreide wurden in Rekordzeit nur drei Monate nach der Unterzeichnung ausgezahlt.
Ohne die Mittel der internationalen Entwicklungsbanken wäre das Projekt nicht möglich gewesen. Tunesien verhandelt derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds über einen Kredit von 1,9 Milliarden US-Dollar, da es sich aufgrund seiner angespannten Finanzlage kaum Geld auf den internationalen Märkten leihen kann. „Die meisten Hähne sind zugedreht“, sagt Sébastien Valleur, Kreditreferent bei der EIB Global, dem Geschäftsbereich der EIB für Finanzierungen außerhalb der EU.
„Die Krise ist mitverantwortlich dafür, dass sich das Getreideamt im vergangenen Jahr an internationale Finanzierungsinstitutionen gewandt hat“, sagt er. „Das hatte es vorher noch nie getan.“