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Als Kind der 1980er wuchs Jurij Dreo mit Raumschiff Enterprise auf, das damals im Fernsehen lief. „Immer wenn jemand schlimm verletzt war“, erinnert er sich, „kam der Doktor oder sie brachten die Leute zu ihm. Und der Doktor nahm dann ein kleines Gerät, fuhr damit über den Körper und wusste sofort genau, was los war.“ 

Später erkannte Dreo, dass die Realität oft Lichtjahre von dieser Science-Fiction entfernt war, zumindest bei der Behandlung von Erkrankungen des Gehirns. Für Lunge, Leber, Herz und Nieren gab es längst Geräte zur Schnell-Diagnose. Aber für das Gehirn gab es nichts – keinen klinischen Test, der verlässlich bei der Früherkennung half und allgemein verfügbar war. Stattdessen prüfte man die kognitiven Fähigkeiten mit Papier und Bleistift. Eine genaue Diagnose brachten nur teure Untersuchungen wie die Magnet-Resonanz-Tomografie oder die Positronen-Emissions-Tomografie, kurz MRT und PET.

Dreo studierte in Slowenien Medizin. Doch bald erkannte er: Seine wahre Stärke lag darin, wissenschaftliche Erkenntnisse in die klinische Praxis umzusetzen. Er arbeitete als Forscher in einem neurowissenschaftlichen Labor, als er den Bewusstseinsforscher David Sakić traf.

Die beiden Gehirn-Spezialisten taten sich zusammen, verabschiedeten sich von der Wissenschaft und gründeten das Start-up BrainTrip. Ihr Ziel: Gehirntests in die Praxen vor Ort bringen.

2023 stand BrainTrip im Finale des Wettbewerbs für Soziale Innovation des EIB-Instituts. Dort werden Start-ups ausgezeichnet, die für die Gesellschaft oder Umwelt Gutes bewirken.

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Ein Gehirntest ohne Maschinen

BrainTrip

Laut Dreo betreffen 92 Prozent der Erkrankungen des Gehirns dessen Funktionen. Weil sie die Feinstruktur, die Verbindungen schädigen, arbeitet das Gehirn nicht mehr normal. Zu diesen Erkrankungen zählen schwere Depressionen und Angststörungen, Demenz, bipolare Störungen und Parkinson. Nur 8 Prozent der Erkrankungen betreffen das Hirngewebe. Verletzungen, Schlaganfälle, Epilepsie und Gehirntumore sind Beispiele dafür.  

Bildgebende Verfahren wie MRT, CT und PET sind das beste Mittel, um Schäden am Hirngewebe zu erkennen. Für Erkrankungen, die die Hirnfunktionen stören, eignet sich am besten das Elektro-Enzephalogramm, kurz EEG. Es misst die elektrische Aktivität des Gehirns und zeichnet sie als Wellen auf.

„Das EEG ist auch die günstigste Untersuchungsmethode“, sagt Dreo. „Viel billiger als andere bildgebende Verfahren wie das MRT.“

Der Haken ist, ein EEG ist schwer zu analysieren. Im Grunde gibt es zwei Wege, das Wellenbild zu interpretieren: Entweder der Arzt zieht Schlüsse aus den bizarren Linien, was viel Kenntnis und Erfahrung verlangt. Oder man berechnet messbare biologische Merkmale – sogenannte Biomarker; auch das können nur wissenschaftliche Fachleute.

BrainTrip hat nun eine neue Methode zur EEG-Analyse entwickelt, bei der die aufgezeichneten Daten direkt ausgewertet werden. Damit kann der Arzt oder die Ärztin beurteilen, ob ein Patient vermutlich an Demenz erkrankt ist. „Wir automatisieren die fachlich schwierige Analyse und geben den Medizinern praktisch einen Neurowissenschaftler an die Hand“, erklärt Dreo.

Demenz früh erkennen

BrainTrip

Dreo und Sakić beschlossen, zunächst auf Demenz zu testen. Denn Demenzen sind mit der alternden Bevölkerung auf dem Vormarsch und machen schon jetzt fast 20 Prozent aller neuen Fälle von Gehirnerkrankungen aus.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt: Weltweit leiden rund 55 Millionen Menschen an Demenz, und jedes Jahr gibt es fast 10 Millionen neue Fälle. Dreo geht von noch höheren Zahlen aus, weil nur etwa ein Drittel aller Fälle diagnostiziert wird.

Im Frühstadium ist Demenz normalerweise eine Funktionsstörung, die sich auf dem EEG erkennen lässt. Meistens greift sie nach und nach aber das Hirngewebe an und ist dann schwerer zu behandeln.

„Wir fanden, Demenz ist ein gutes erstes Ziel für unseren Test. Demenz ist nicht nur eine häufige Erkrankung, sondern es gibt bislang auch kaum objektive Mittel, um sie früh zu erkennen“, so Dreo. „Hinzu kommt: Man arbeitet intensiv an neuen Behandlungen, aber sie alle helfen offenbar umso besser, desto früher man damit beginnt.“

Ein neuer Wirkstoff ist Lecanemab. Er ist in den USA bereits zugelassen und wird in Europa derzeit geprüft. Lecanemab soll das Fortschreiten der Demenz um beachtliche 27 Prozent bremsen – aber nur im Frühstadium.

Der BrainTrip Dementia Index-Test ist schnell und nicht invasiv. Der Patient oder die Patientin muss nur eine Kappe mit Sensoren für das EEG aufsetzen. Eine Software zeichnet etwa acht Minuten lang die EEG-Daten auf und sendet sie dann verschlüsselt in die Cloud, wo sie analysiert werden. Nach wenigen Minuten kommt das Ergebnis auf einer Skala von 0 bis 100. 50 ist die empfohlene Grenze für Anzeichen einer beginnenden Demenz.

95 Prozent der Tests sind laut Dreo deutlich negativ. Damit lässt sich eine Demenz wie Alzheimer ausschließen. Der Test hat eine Genauigkeit von 93 Prozent. Nicht perfekt, sagt Dreo, aber sehr gut im Vergleich zu anderen hochmodernen Verfahren zur Diagnose von Demenz. Und er liefert keine falsch positiven Ergebnisse. „Der Test hilft Ärzten bei der Entscheidung, welche Patientinnen und Patienten sie zu weiteren Untersuchungen schicken. Das ist seine große Stärke.“

Bezahlbar und für alle zugänglich

Einen Meilenstein hat der Test von BrainTrip schon geschafft: die CE-Kennzeichnung für Europa im Jahr 2021. Die Buchstaben „CE“ sieht man auf vielen Produkten im Europäischen Wirtschaftsraum. Sie bedeuten, dass die Produkte hohe Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllen.

Jetzt beginnt die Vermarktung der Kappe und der Screening-Technologie. Dazu arbeitet das Unternehmen mit interessierten Ärztinnen und Ärzten zusammen, denen sie beides für eine Testphase anbietet. Nach ein paar Monaten können sie dann entscheiden, ob sie die Ausrüstung kaufen und dauerhaft in ihrer Praxis nutzen wollen.

Als erste Märkte steuert das Start-up Malta (wo sein Standort ist), Slowenien und Österreich an. In den nächsten zwei Jahren hofft es, in Krankenhäuser quer durch Europa zu kommen. Für 2026 visiert BrainTrip den US-Markt an, je nach Zulassung durch die dortige Behörde FDA.

Mit dem Test können Gesundheitssysteme ein Vermögen für unnötige Tests und Facharzthonorare sparen. Trotzdem übernimmt bislang noch keine Versicherung die Kosten. Die Patienten müssen ihn also selbst bezahlen.

„Wir versuchen, den Test so bezahlbar wie möglich zu machen“, sagt Dreo. Höchstens 20 Prozent dessen, was ein Gehirn-MRT kostet, will das Unternehmen verlangen, in Europa rund 150–200 Euro. Für viele Patienten ist das ein Preis, den sie gerne zahlen, weil der Test ihnen eine große Sorge nehmen kann.